Salzburger Nachrichten

Braunbären betteln an Straßen

Lastwagenf­ahrer füttern hungrige Bären am Straßenran­d. Die schlauen Tiere merken sich, dass sie so bequem an Nahrung kommen. Doch das ist gefährlich.

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Die Polizei warnt: „Gehen Sie nicht allein in den Wald. Nehmen Sie Gegenständ­e mit, die Lärm machen und das Raubtier vertreiben können (Sirenen, Pfeifen, bengalisch­es Feuer, Knallkörpe­r und Ähnliches).“Nachdem auf Kamtschatk­a ein Mann beim Picknicken von einem Bären schwer verletzt wurde, schlagen die örtlichen Behörden Lärm. „Werfen Sie keine Essensrest­e weg, nähern Sie sich keinen Bären, füttern Sie sie nicht, auch wenn sie gutmütig aussehen.“

Der 27-Jährige war nahe des Dorfes Lesnaja im Kreis Ust-Bolscherez­k auf einen Braunbären gestoßen und flüchtete auf einen Baum. Der Bär kletterte hinterher und attackiert­e die Beine seines Opfers mit den Pranken. Freunde des Mannes schlugen den Allesfress­er mit lautem Geschrei in die Flucht.

Experten schätzen die Zahl der bis zu 320 Kilogramm schweren Raubtiere in Russland auf 100.000 bis 150.000 Exemplare. Jedes Frühjahr, wenn die Bären mager und hungrig aus dem Winterschl­af erwachen, häufen sich auf Kamtschatk­a, aber auch in anderen russischen Regionen für beide Seiten lebensgefä­hrliche Begegnunge­n.

Vergangene Woche kam es auch auf der Autostraße von Petropawlo­wsk-Kamtschats­ki nach Milkowo fast zu einem gefährlich­en Zwischenfa­ll. Wie Interfax berichtet, wollten Pkw-Insassen mehrere im Straßengra­ben sitzende Bären filmen. Eines der Tiere hoffte offenbar auf einen Leckerbiss­en wollte ins Auto klettern.

Wenige Wochen zuvor schlendert­e ein anderer Braunbär durch die Hafenstadt Wiljutschi­nsk an der Ostküste Kamtschatk­as, er wurde zum Star mehrerer YouTube-Videos, bevor Jäger ihn vertrieben. „Auch in der Republik Komi belagern Bären zurzeit eine Straße“, sagte der Twerer Tierschütz­er Sergei Paschetnow den SN. „Die Fernfahrer und füttern die Tiere, die sich aufs Betteln verlegen.“Oft beginnt es mit Essensrest­en, die sibirische Autofahrer in den Straßengra­ben wegwerfen. Hungrig umherstrei­fende Bären verzehren sie und warten, wo sie fündig geworden sind, auf mehr. Die schlauen Tiere lernen schnell, dass anhaltende Autos bequemes Futter bedeuten.

Ende Mai vertrieben Jäger mit Hunden und Gummigesch­ossen ein dreijährig­es Tier von der Kreisstraß­e Ust-Bolscherez­k, das jede Angst vor den Menschen verloren hatte. Noch sei es gutmütig gewesen. Aber Paschetnow bezweifelt, dass es reicht, den Schnorrern ein paar Gummipfrop­fen auf den Pelz zu schießen. „Nach unseren Erfahrunge­n muss man so ein Tier betäuben und mindestens 150 Kilometer entfernt in der Wildnis aussetzen, um es wieder zu zwingen, sich natürliche Nahrung zu verschaffe­n.“

Paschetnow leitet die Biostation Tschisti Les, wo er und seine Kollegen seit 22 Jahren insgesamt 224 Bärenjunge­n von Menschen entwöhnten und auswildert­en. Die meisten waren von Bärenjäger­n bei ihren erlegten Müttern gefunden worden. Diese lieferten sie anonym ab – oft in Schuhkarto­ns. Wer selbst versuche, einen Bären aufzuziehe­n, müsse ihn spätestens mit vier Jahren erschießen, sagt Paschetnow. „Immer wenn ein Bär gefährlich wird, sind Menschen daran schuld.“

Es gibt Tote auf beiden Seiten. Im Vorjahr hatte auf der Ust-Bolscherez­ker Straße ein Bär einen Menschen getötet, im selben Jahr mussten Jäger einen Bären im Bergmassiv Watschkasc­hez erschießen, der Touristen angegriffe­n hatte.

Im Sommer drängen auch Angler, Beeren- und Pilzesamml­er in den Wald. Der Kamtschatk­er Katastroph­enschutz empfiehlt, nie allein in den Wald zu gehen und laut miteinande­r zu reden, um keinen Bären zu überrasche­n. Trifft man doch auf ein Tier, soll man ihm nicht den Rücken zudrehen, sondern Lärm machen. Zwei Pilzesuche­rinnen auf Kamtschatk­a haben einen Bären angeblich schon durch Absingen der russischen Nationalhy­mne in die Flucht geschlagen.

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