Parteien sind auch an ihrer digitalen Verantwortung zu messen
Verantwortungsloser Einsatz von Social Media im Wahlkampf zerstört die demokratische Gesprächsgrundlage.
Österreich erlebt den Beginn seines ersten Nationalratswahlkampfs im Schatten von Social Media. Oberflächlich dominiert zwar das Fernsehen mit bereits fixierten 45 Sommergesprächen, Duellen, Dreikämpfen und Elefantenrunden. Doch so wie diese TV-Spektakel immer schon die Einordnung durch die Zeitungen benötigten, wird ihre Wirkung jetzt durch Facebook & Co. multipliziert.
Dabei geht es um die Schöpfung von Parallelwirklichkeiten. FPÖ-Getreue verbreiten seit Langem Artikel von unzensuriert.at und infodirekt.eu, SPÖ-Anhänger teilen nun Meldungen von kontrast-blog.at und politiknews.at, ÖVP-Sympathisanten geben vermehrt Inhalte von fass-ohne-boden.at weiter. Gegen diese Propaganda wirken sogar die einstigen Parteiblätter wie nach dem Reinheitsgebot der Objektivität gebraut. Dennoch findet die Agitation im Tarnmantel der Information zuhauf Gläubige. Immer mehr Menschen schürfen nicht tiefer und vertrauen dem vermeintlichen Ursprung Facebook so wie bisher nur Zeitung, Radio und Fernsehen.
Gegen das feinmaschige gesetzliche Regelwerk, dem diese klassischen Medien unterliegen, wirken Social Media wie eine freie Wildbahn. Die viel zitierten Bots – fiktive Freunde, Fans und Follower, die computergeneriert Kommentare verbreiten – sind nur die Spitze des Eisbergs. Nicht von ungefähr gibt es in Deutschland bereits die Forderung nach ihrer Kennzeichnungspflicht. Denn Bots haben die Präsidentenwahl in den USA beeinflusst. Auch aufgrund der massiven Desinformation via Facebook und Twitter durch Republikaner und Demokraten ist dort die Polarisierung der Gesellschaft derart fortgeschritten, dass sie sich nicht einmal auf gemeinsame TatsachenGrundlagen einigen kann.
Trotzdem sind in Österreich Politiker eine Ausnahme, die wie Kärntens Landeshaupt- mann Peter Kaiser „klare Regeln für den Einsatz digitaler Wahlhelfer“fordern, um Manipulationen zu vermeiden. Die jeweils analogen Heerscharen fahren ohnehin unverdrossen mit ihrer als Information getarnten Realitätskonstruktion fort. Social Media gelten parteiübergreifend als Chance, herkömmlichen Medien zu entkommen. Während sich – ausgenommen die FPÖ – die Parteispitzen zumindest im Stil zurückhalten, brechen ab der zweiten Funktionärsreihe alle Dämme.
Eine solche Polarisierung wie in den USA gefährdet längst die gemeinsame demokratische Gesprächsbasis. Wer Österreich regieren will, ist auch daran zu messen, ob er derartige Vorgangsweisen fördert oder auch nur zulässt. Diese Nationalratswahl ist auch eine Abstimmung über das zynische Erfolgsmodell Trump.