Salzburger Nachrichten

Vom Erlebnis, sich zu verlesen

- Gerhard Öhlinger

ICHwar leicht irritiert, als ich neulich auf der Autobahn an einem Hinweissch­ild vorbeifuhr. Stand da wirklich „Erlebnistä­ter“geschriebe­n? Möglich wär’s ja. Früher musste man den Kopf einziehen, wenn es hieß: „Jetzt kannst du was erleben!“Heutzutage verkauft sich nichts mehr ohne zumindest eine kleine Prise Erlebnis. Der Erlebnisur­laub wird im Erlebnisho­tel gebucht, nach der Erlebniswa­nderung hüpft man in den Erlebnispo­ol und gönnt sich vorm Schlaf im Erlebnisbe­tt noch ein Erlebnises­sen.

Ich habe auch schon einmal statt „Erlebnises­sen“versehentl­ich „Erlaubnise­ssen“gelesen. Das kommt der Realität sowieso in den meisten Fällen näher, fragt sich doch der gesundheit­s- und ernährungs­bewusste Mensch vor jeder Mahlzeit: „Kann ich mir das eigentlich erlauben?“

Zum abenteuerl­ichen Erlebnis gerät bei so einem Dinner oft nur die Rechnung. Die Frage ist dann angebracht: Handelt es sich beim Abzocker-Wirt um einen Erlebnistä­ter? Sprich, kassiert der Schuft nicht nur kräftig ab, sondern empfindet dabei auch noch Vergnügen? Ich hörte, während ich vom ominösen Hinweissch­ild schon ein paar Kilometer entfernt war, förmlich die Schlagzeil­e vor meinem geistigen Ohr: „Die Polizei warnt vor dem zunehmende­n Auftreten von Erlebnistä­tern in der Gastronomi­e.“Manche dieser übelmeinen­den Figuren würden sich wohl auch noch zu Banden zusammensc­hließen. Eine besonders gefährlich­e Bande vermutete ich einmal, als ich von der Tather-Gang las. Wer ist wohl dieser Tather? Gibt es Phantombil­der von ihm? Hängt sein Fahndungsf­oto auf Polizeiwac­hstuben? Meine Sorge war unbegründe­t. Wieder ein Verleser, es ging gottlob nur um den Tat-Hergang.

Vor Gericht gestellt, könnte ein Erlebnistä­ter einem beleidigte­n Sachverstä­ndigen begegnen. Natürlich nur wenn er sich verliest. Obwohl man beeideten Sachverstä­ndigen nachsagt, sie seien sehr schnell beleidigt, wenn man an ihrem Sachversta­nd zweifelt.

Was meinen eigenen Verstand anging, hegte ich aber langsam auch Zweifel. Bis mir aufging, dass da nicht „Erlebnistä­ter“gestanden war, sondern „Erlebnistä­ler“. Und sollten sich dort Erlebnistä­ter herumtreib­en, wäre Gästehaus garantiert. Gästehaus? Äh, natürlich Gänsehaut.

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