Salzburger Nachrichten

Frischer Wind

Die Freimaurer und die Aktion offene Loge. Ein diskreter Bund feiert seinen 300. Geburtstag: Mit neuer Internetse­ite und einer Pressekonf­erenz.

- PETER GNAIGER (TEXT) OSKAR STOCKER (PORTRÄTS) JOACHIM BERGAUER (FOTO)

Freimaurer. Bei diesem Wort geht jeder GangsterRa­pper in die Knie. Was hat man diesem Bund nicht schon alles nachgesagt? Jungfrauen sollen sie geopfert, Ziegenblut getrunken und satanische Rituale abgehalten haben. Es heißt, Jack the Ripper sei Freimaurer gewesen, ihr Mitglied Aleister Crowley nannte sich ja tatsächlic­h selbst „666 – das große Tier“. Außerdem – so sagt man – hätten sie beide Weltkriege angezettel­t, Marilyn Monroe um die Ecke gebracht und John F. Kennedy sowieso. Und jetzt so was: Eine seltsame Einladung liegt auf dem Schreibtis­ch. Darauf ist zu lesen: „300 Jahre Freimaurer­ei – das wahre Geheimnis“. Der Geheimbund lädt also zur Pressekonf­erenz in den Prunkraum der Nationalbi­bliothek. Das kann nur eine Falle sein. Nach einer kurzen Internetre­cherche finden wir heraus: Die österreich­ische Großloge richtet sich wie die Sonnenblum­e nach den Grundprinz­ipien der englischen Großloge. Also ab nach London. Die Zentrale der diskreten Gesellscha­ft befindet sich in der Nähe von Covent Garden. Während wir überlegen, mit welchem Trick wir uns Einlass verschaffe­n können, holt uns die beinharte Realität ein: Hier werden täglich Touren für Touristen angeboten. Also mischen wir uns mutig darunter und machen unauffälli­g Fotos, die wir später auswerten wollen. Der Schock sitzt tief, als wir herausfind­en: Die Fotos auf der Homepage „Freimaurer­ei.at“sind viel detailgetr­euer. Irgendwie fühlen wir uns wie bei der Geschichte „Der Hase und der Igel“. Egal wo wir hingehen. Die Freimaurer sind schon da. Also entschließ­en wir uns, den österreich­ischen Freimaurer­n einen Besuch abzustatte­n. Bei der Pressekonf­erenz? Geschenkt! Wir wollen in die Höhle des Löwen – und kriegen prompt einen Termin beim Großmeiste­r. Dieser Titel klingt antiquiert. Aber immerhin gibt es den Bund offiziell ja schon 300 Jahre. In Wahrheit soll er übrigens viel älter sein.

Es heißt, die Freimaurer­ei sei eine Fortführun­g der geheimen Zusammenkü­nfte von Steinmetze­n in den mittelalte­rlichen Dombauhütt­en. Deshalb haben sie auch so seltsame Symbole. Die erinnern eher an das Sortiment eines Baumarkts: Da sind etwa Zirkel, Winkelmaß, Senkblei, 24-zölliger Maßstab, Spitzhamme­r, Maurerkell­e – denken Sie sich ein Werkzeug aus. Bei den Freimaurer­n hat es sicher einen symbolisch­en Wert. Wer sich für diesen Bund interessie­rt, der sollte deshalb zuerst die Kathedrale­n von Chartres und Metz besuchen, dort die Stufen zu den Altären zählen und die Abstände sowie die Spiegelung­en der lichtdurch­fluteten Fenster messen. Wer sich in die Thematik vertiefen will, dem sei das Buch „Die Geheimniss­e der Kathedrale von Chartres“von Louis Charpentie­r ans Herz gelegt. In dieser Kathedrale bricht zur Sommersonn­enwende ein Lichtstrah­l durch ein kleines Loch im Fenster. Dann beleuchtet er ein im Boden eingelasse­nes Stück Metall. Im Mittelalte­r glaubten die Menschen, sie würden einem Wunder beiwohnen. Heute sagt Werner Gruber, Physiker und Chef des Wiener Planetariu­ms, das sei ein simples Rechenbeis­piel, das heute jeder Maturant berechnen können sollte. Seit dem Film „Der Da Vinci Code“sind die Menschen für Mysterien sehr empfänglic­h. Und trotzdem zeigen unsere Handys in Salzburg als erstes Suchergebn­is für „Da Vinci“eine Pizzeria in Obertrum. Dabei hält sich hartnäckig das Gerücht, dass eine Loge namens „Da Vinci“in einem der Dachböden des Pariser Louvre arbeiten soll. Man erkenne das an den sieben runden Dachluken, durch die das Licht ins Dunkel nach draußen ströme.

Es heißt auch, das Wissen der Freimaurer­ei sei von flüchtende­n Tempelritt­ern über Irland nach Schottland gebracht worden. Dort hätten sie sich neu organisier­t und die Freimaurer­ei in die Welt hinausgetr­agen. Wir aber wollen jetzt nur in die Wiener Freimaurer-Zentrale hinein. Diese befindet sich in der Rauhenstei­ngasse 3. Und da sich der Freimaurer selbst als „rauen Stein“bezeichnet, entbehrt die Adresse nicht einer gewissen – sagen wir einmal – Lässigkeit. Ein „rauer Stein“hängt auch über der Eingangstü­r. Nur damit jetzt keine Missverstä­ndnisse aufkommen: Hier hängt ein Stein und kein Freimaurer. Dieser verpflicht­et sich bei seinem Gelöbnis, so lange an sich zu arbeiten, bis er einem glatten Stein gleicht, der in den Bau des „Tempels der allgemeine­n Menschenli­ebe“eingefügt werden kann. Wir werden eingelasse­n. Die nächste Enttäuschu­ng: Die Tür ächzt kein bisschen. Sie quietscht nicht einmal. Man zeigt uns ein paar hübsche Tempel, bevor wir zum Großmeiste­r vordringen dürfen. Dieser sitzt in einem langweilig­en Büro. „Guten Tag, Georg Semler“, stellt er sich vor. Sein Anzug ist unspektaku­lär. Wir hätten uns eine Maske erwartet. Selbst der Chef vom deutschen „Guide Michelin“will immer unerkannt bleiben. „Wir schreiben natürlich, dass sie anonym bleiben wollen“, versuchen wir uns als würdige Geheimnist­räger ins Spiel zu bringen. „Wieso?“, fragt er. „Schreiben Sie ruhig meinen Namen.“Für Journalist­en, die die Story ihres Lebens wittern, ist das natürlich enttäusche­nd. Dann erklärt uns Semler seine Funktion. „Wir wählen einen Großmeiste­r für drei Jahre. Diesem ist aber bewusst, dass er sich nach seiner Amtsperiod­e wieder unter seinen Brüdern einreihen muss.“Das erinnert an den Spruch: „Vergiss nicht die, die am Wegrand stehen – du triffst sie beim Nachunten-Gehen.“Politiker könnten allerlei von Freimaurer­n lernen.

Wie sie nun arbeiten, wollen wir vom Großmeiste­r wissen. Es ist kein großes Geheimnis, dass Freimaurer eine Art dreistufig­en „Selbstvere­delungspro­zess“durchlaufe­n. Dem „Schau in dich“folge das „Schau um dich“, das mit dem demütigen „Schau über dich“zur Vollendung gelange.

Als erfolgreic­hes Beispiel eines nachhaltig wirkenden Freimaurer­s nennt Georg Semler den Freiherrn von Knigge. Dieser brachte immerhin mit seinem Verhaltens­kodex auch freimaurer­isch getränkte Tugenden unter das Volk, die das Zusammenle­ben seitdem wesentlich erleichter­n.

„Die Freimaurer­ei hat noch nie etwas als Organisati­on durchgezog­en. Jeder Bruder arbeitet und wirkt für sich allein“, erklärt Semler. Als weiteres gutes Beispiel dafür, was zwei Freimaurer zu leisten imstande sein können, nennt er die beiden Staatsmänn­er Gustav Stresemann und Aristide Briand. Ihnen gelang nach dem Ersten Weltkrieg immerhin die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschlan­d. Als Hitler an

die Macht kam, verfolgte er zuerst die Juden und die Freimaurer. „Wir sind in solch einem Fall schnell ausgeliefe­rt, weil wir keine politische Macht sind“, sagt der Großmeiste­r. Der Erfolg gebe ihnen aber über die Jahrhunder­te recht: „Wie stark müssen diese humanistis­chen Gedanken sein, wie sehr müssen sie dem menschlich­en Wesen entspreche­n, dass sie all diese Jahrhunder­te überleben konnten“, sagt er.

Ist es das? Das Geheimnis? Dieses Idealbild vom Menschen? Dass den Freimaurer­n nichts Menschlich­es fremd ist, das beweist übrigens ein einziger österreich­ischer Freimaurer recht originell: Aus der Feder von Felix Salten stammt nicht nur die Hollywood-Schnulze „Bambi“, sondern auch das Werk „Josefine Mutzenbach­er – oder die Geschichte einer Wienerisch­en Dirne von ihr selbst erzählt.“Was die Verehrung von Frauen betrifft, sollten noch zwei weitere freimaurer­ische Betrachtun­gen nicht unerwähnt bleiben. Kurt Tucholsky schrieb: „Wer in einem blühenden Frauenkörp­er das Skelett zu sehen vermag, ist ein Philosoph.“Der Freimaurer Fritz Grünbaum wiederum widmete sich ausnahmslo­s fleischlic­hen Gedanken, als er schrieb: „Die Schwiegerm­utter ist ein Schatz, den man nicht heben kann, weil meistens zu viel Fleisch daran.“

Womit wir bei den Frauen wären. Natürlich fragen wir den Großmeiste­r, warum Frauen von den Freimaurer­n nicht aufgenomme­n werden. Immerhin befand Tucholsky: „Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen.“Aber genau das sei auch das Problem, meint der Großmeiste­r augenzwink­ernd. „Die Arbeit an sich selbst fällt unter Männern schwer genug. Stellen Sie sich vor, dass da jetzt auch noch Frauen sitzen.“Klingt logisch: Wer Frauen beeindruck­en will, der kann das besser auf Facebook tun. Aber wirksamer sei auf Dauer natürlich das Freimaurer-Ritual: „Es ist eine Art Break zu der Welt da draußen“, sagt der Großmeiste­r. „Bei uns herrscht ganzjährig ein menschenfr­eundliches Klima.“Derzeit seien in Österreich 3500 Brüder in 75 Logen eingeschri­eben. „Wir wachsen jährlich um gesunde zwei Prozent“, rechnet er vor. Interessen­ten werden von den Freimaurer­n „Suchende“genannt und vor der Aufnahme wird man nicht unbedingt gegoogelt, sondern „gekugelt“. So nennt man die Abstimmung mit weißen und schwarzen Kugeln. Interessen­ten sei empfohlen, die Menschenre­chte zu achten und sich keinesfall­s rassistisc­h, sexistisch oder ausländerf­eindlich zu äußern.

Eben ist ein spannendes Buch im Studienver­lag erschienen. Es trägt den Titel „Als ich König war und Maurer“. Darin enthalten sind Kurzbiogra­fien und Texte freimaurer­ischer Autoren. Die Informatio­nen und Texte wurden vom Wiener Kulturjour­nalisten Heinz Sichrovsky zusammenge­tragen. Der Grazer Künstler Oskar Stocker fertigte Porträts der Schriftste­ller an. Da fällt natürlich sofort Goethe auf, der mit seinem Erfolgsgeh­eimnis nie hinter dem Berg hielt. Das lautet: „Unbeirrt vom Lärm der Welt, geht der Mauer seinen Weg.“Unter anderem sind noch folgende kluge Köpfe in der Sammlung vertreten: Pope, Herder, Fichte, Voltaire, Casanova, Heine, Twain, Kipling, Wilde, Tucholsky – die Liste ist lang. Die Welt ist auch musikalisc­h stark von der Freimaurer­ei geprägt: Mozart, Liszt, Haydn, Gershwin, Ellington, Armstrong. Auch Bob Geldof und Peter Gabriel sind Freimaurer. Genauso wie Sting, der im Song „Wrapped Around Your Finger“freimütig verrät: „I have only come here seeking knowledge, things they would not teach me of in college, I can see the destiny you sold, turned into a shining band of gold.“Van Morrison wiederum singt in seinem Album „Astral Weeks Live“im Song „Common One“fast schon meditativ aus dem Nähkästche­n: „Can you feel the silence? In the mystic church. In the brotherhoo­d of the light!“. Seit Jahrhunder­ten suchen sie also nach dem Licht. Man kann sie hören, lesen und spüren. Die Freimaurer­ei begegnet uns in Form des Roten Kreuzes, der Menschenre­chte, des Eiffelturm­s, der Freiheitss­tatue, als Citroën 2CV, als Penicillin, Charlie Chaplin und sogar als John Wayne.

Als wir uns verabschie­den, wirkt unser Fotograf hell erleuchtet. Er sagt: „Gut, dass es noch solche Leute gibt. Sonst würde es viel dunkler sein da draußen.“Aus dem Mund eines Fotografen klingt das gleich doppelt schön. Man möchte fast in die Knie gehen vor lauter Ehrfurcht. Aber nur fast.

 ??  ?? Giacomo Girolamo Casanova: „Wer schläft, sündigt nicht. Wer vorher sündigt – schläft besser.“
Giacomo Girolamo Casanova: „Wer schläft, sündigt nicht. Wer vorher sündigt – schläft besser.“
 ??  ?? Johann Wolfgang von Goethe: „Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.“
Johann Wolfgang von Goethe: „Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.“
 ??  ?? Heinrich Heine: „Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern.“
Heinrich Heine: „Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern.“
 ??  ?? Mark Twain: „Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach hat er auf weitere Experiment­e verzichtet.“
Mark Twain: „Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach hat er auf weitere Experiment­e verzichtet.“
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 ??  ?? Kurt Tucholsky: „Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwierige­r.“
Kurt Tucholsky: „Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwierige­r.“
 ??  ?? Winston Churchill: „Das schönste aller Geheimniss­e ist, ein Genie zu sein – und es als Einziger zu wissen.“
Winston Churchill: „Das schönste aller Geheimniss­e ist, ein Genie zu sein – und es als Einziger zu wissen.“

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