Frischer Wind
Die Freimaurer und die Aktion offene Loge. Ein diskreter Bund feiert seinen 300. Geburtstag: Mit neuer Internetseite und einer Pressekonferenz.
Freimaurer. Bei diesem Wort geht jeder GangsterRapper in die Knie. Was hat man diesem Bund nicht schon alles nachgesagt? Jungfrauen sollen sie geopfert, Ziegenblut getrunken und satanische Rituale abgehalten haben. Es heißt, Jack the Ripper sei Freimaurer gewesen, ihr Mitglied Aleister Crowley nannte sich ja tatsächlich selbst „666 – das große Tier“. Außerdem – so sagt man – hätten sie beide Weltkriege angezettelt, Marilyn Monroe um die Ecke gebracht und John F. Kennedy sowieso. Und jetzt so was: Eine seltsame Einladung liegt auf dem Schreibtisch. Darauf ist zu lesen: „300 Jahre Freimaurerei – das wahre Geheimnis“. Der Geheimbund lädt also zur Pressekonferenz in den Prunkraum der Nationalbibliothek. Das kann nur eine Falle sein. Nach einer kurzen Internetrecherche finden wir heraus: Die österreichische Großloge richtet sich wie die Sonnenblume nach den Grundprinzipien der englischen Großloge. Also ab nach London. Die Zentrale der diskreten Gesellschaft befindet sich in der Nähe von Covent Garden. Während wir überlegen, mit welchem Trick wir uns Einlass verschaffen können, holt uns die beinharte Realität ein: Hier werden täglich Touren für Touristen angeboten. Also mischen wir uns mutig darunter und machen unauffällig Fotos, die wir später auswerten wollen. Der Schock sitzt tief, als wir herausfinden: Die Fotos auf der Homepage „Freimaurerei.at“sind viel detailgetreuer. Irgendwie fühlen wir uns wie bei der Geschichte „Der Hase und der Igel“. Egal wo wir hingehen. Die Freimaurer sind schon da. Also entschließen wir uns, den österreichischen Freimaurern einen Besuch abzustatten. Bei der Pressekonferenz? Geschenkt! Wir wollen in die Höhle des Löwen – und kriegen prompt einen Termin beim Großmeister. Dieser Titel klingt antiquiert. Aber immerhin gibt es den Bund offiziell ja schon 300 Jahre. In Wahrheit soll er übrigens viel älter sein.
Es heißt, die Freimaurerei sei eine Fortführung der geheimen Zusammenkünfte von Steinmetzen in den mittelalterlichen Dombauhütten. Deshalb haben sie auch so seltsame Symbole. Die erinnern eher an das Sortiment eines Baumarkts: Da sind etwa Zirkel, Winkelmaß, Senkblei, 24-zölliger Maßstab, Spitzhammer, Maurerkelle – denken Sie sich ein Werkzeug aus. Bei den Freimaurern hat es sicher einen symbolischen Wert. Wer sich für diesen Bund interessiert, der sollte deshalb zuerst die Kathedralen von Chartres und Metz besuchen, dort die Stufen zu den Altären zählen und die Abstände sowie die Spiegelungen der lichtdurchfluteten Fenster messen. Wer sich in die Thematik vertiefen will, dem sei das Buch „Die Geheimnisse der Kathedrale von Chartres“von Louis Charpentier ans Herz gelegt. In dieser Kathedrale bricht zur Sommersonnenwende ein Lichtstrahl durch ein kleines Loch im Fenster. Dann beleuchtet er ein im Boden eingelassenes Stück Metall. Im Mittelalter glaubten die Menschen, sie würden einem Wunder beiwohnen. Heute sagt Werner Gruber, Physiker und Chef des Wiener Planetariums, das sei ein simples Rechenbeispiel, das heute jeder Maturant berechnen können sollte. Seit dem Film „Der Da Vinci Code“sind die Menschen für Mysterien sehr empfänglich. Und trotzdem zeigen unsere Handys in Salzburg als erstes Suchergebnis für „Da Vinci“eine Pizzeria in Obertrum. Dabei hält sich hartnäckig das Gerücht, dass eine Loge namens „Da Vinci“in einem der Dachböden des Pariser Louvre arbeiten soll. Man erkenne das an den sieben runden Dachluken, durch die das Licht ins Dunkel nach draußen ströme.
Es heißt auch, das Wissen der Freimaurerei sei von flüchtenden Tempelrittern über Irland nach Schottland gebracht worden. Dort hätten sie sich neu organisiert und die Freimaurerei in die Welt hinausgetragen. Wir aber wollen jetzt nur in die Wiener Freimaurer-Zentrale hinein. Diese befindet sich in der Rauhensteingasse 3. Und da sich der Freimaurer selbst als „rauen Stein“bezeichnet, entbehrt die Adresse nicht einer gewissen – sagen wir einmal – Lässigkeit. Ein „rauer Stein“hängt auch über der Eingangstür. Nur damit jetzt keine Missverständnisse aufkommen: Hier hängt ein Stein und kein Freimaurer. Dieser verpflichtet sich bei seinem Gelöbnis, so lange an sich zu arbeiten, bis er einem glatten Stein gleicht, der in den Bau des „Tempels der allgemeinen Menschenliebe“eingefügt werden kann. Wir werden eingelassen. Die nächste Enttäuschung: Die Tür ächzt kein bisschen. Sie quietscht nicht einmal. Man zeigt uns ein paar hübsche Tempel, bevor wir zum Großmeister vordringen dürfen. Dieser sitzt in einem langweiligen Büro. „Guten Tag, Georg Semler“, stellt er sich vor. Sein Anzug ist unspektakulär. Wir hätten uns eine Maske erwartet. Selbst der Chef vom deutschen „Guide Michelin“will immer unerkannt bleiben. „Wir schreiben natürlich, dass sie anonym bleiben wollen“, versuchen wir uns als würdige Geheimnisträger ins Spiel zu bringen. „Wieso?“, fragt er. „Schreiben Sie ruhig meinen Namen.“Für Journalisten, die die Story ihres Lebens wittern, ist das natürlich enttäuschend. Dann erklärt uns Semler seine Funktion. „Wir wählen einen Großmeister für drei Jahre. Diesem ist aber bewusst, dass er sich nach seiner Amtsperiode wieder unter seinen Brüdern einreihen muss.“Das erinnert an den Spruch: „Vergiss nicht die, die am Wegrand stehen – du triffst sie beim Nachunten-Gehen.“Politiker könnten allerlei von Freimaurern lernen.
Wie sie nun arbeiten, wollen wir vom Großmeister wissen. Es ist kein großes Geheimnis, dass Freimaurer eine Art dreistufigen „Selbstveredelungsprozess“durchlaufen. Dem „Schau in dich“folge das „Schau um dich“, das mit dem demütigen „Schau über dich“zur Vollendung gelange.
Als erfolgreiches Beispiel eines nachhaltig wirkenden Freimaurers nennt Georg Semler den Freiherrn von Knigge. Dieser brachte immerhin mit seinem Verhaltenskodex auch freimaurerisch getränkte Tugenden unter das Volk, die das Zusammenleben seitdem wesentlich erleichtern.
„Die Freimaurerei hat noch nie etwas als Organisation durchgezogen. Jeder Bruder arbeitet und wirkt für sich allein“, erklärt Semler. Als weiteres gutes Beispiel dafür, was zwei Freimaurer zu leisten imstande sein können, nennt er die beiden Staatsmänner Gustav Stresemann und Aristide Briand. Ihnen gelang nach dem Ersten Weltkrieg immerhin die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. Als Hitler an
die Macht kam, verfolgte er zuerst die Juden und die Freimaurer. „Wir sind in solch einem Fall schnell ausgeliefert, weil wir keine politische Macht sind“, sagt der Großmeister. Der Erfolg gebe ihnen aber über die Jahrhunderte recht: „Wie stark müssen diese humanistischen Gedanken sein, wie sehr müssen sie dem menschlichen Wesen entsprechen, dass sie all diese Jahrhunderte überleben konnten“, sagt er.
Ist es das? Das Geheimnis? Dieses Idealbild vom Menschen? Dass den Freimaurern nichts Menschliches fremd ist, das beweist übrigens ein einziger österreichischer Freimaurer recht originell: Aus der Feder von Felix Salten stammt nicht nur die Hollywood-Schnulze „Bambi“, sondern auch das Werk „Josefine Mutzenbacher – oder die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt.“Was die Verehrung von Frauen betrifft, sollten noch zwei weitere freimaurerische Betrachtungen nicht unerwähnt bleiben. Kurt Tucholsky schrieb: „Wer in einem blühenden Frauenkörper das Skelett zu sehen vermag, ist ein Philosoph.“Der Freimaurer Fritz Grünbaum wiederum widmete sich ausnahmslos fleischlichen Gedanken, als er schrieb: „Die Schwiegermutter ist ein Schatz, den man nicht heben kann, weil meistens zu viel Fleisch daran.“
Womit wir bei den Frauen wären. Natürlich fragen wir den Großmeister, warum Frauen von den Freimaurern nicht aufgenommen werden. Immerhin befand Tucholsky: „Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen.“Aber genau das sei auch das Problem, meint der Großmeister augenzwinkernd. „Die Arbeit an sich selbst fällt unter Männern schwer genug. Stellen Sie sich vor, dass da jetzt auch noch Frauen sitzen.“Klingt logisch: Wer Frauen beeindrucken will, der kann das besser auf Facebook tun. Aber wirksamer sei auf Dauer natürlich das Freimaurer-Ritual: „Es ist eine Art Break zu der Welt da draußen“, sagt der Großmeister. „Bei uns herrscht ganzjährig ein menschenfreundliches Klima.“Derzeit seien in Österreich 3500 Brüder in 75 Logen eingeschrieben. „Wir wachsen jährlich um gesunde zwei Prozent“, rechnet er vor. Interessenten werden von den Freimaurern „Suchende“genannt und vor der Aufnahme wird man nicht unbedingt gegoogelt, sondern „gekugelt“. So nennt man die Abstimmung mit weißen und schwarzen Kugeln. Interessenten sei empfohlen, die Menschenrechte zu achten und sich keinesfalls rassistisch, sexistisch oder ausländerfeindlich zu äußern.
Eben ist ein spannendes Buch im Studienverlag erschienen. Es trägt den Titel „Als ich König war und Maurer“. Darin enthalten sind Kurzbiografien und Texte freimaurerischer Autoren. Die Informationen und Texte wurden vom Wiener Kulturjournalisten Heinz Sichrovsky zusammengetragen. Der Grazer Künstler Oskar Stocker fertigte Porträts der Schriftsteller an. Da fällt natürlich sofort Goethe auf, der mit seinem Erfolgsgeheimnis nie hinter dem Berg hielt. Das lautet: „Unbeirrt vom Lärm der Welt, geht der Mauer seinen Weg.“Unter anderem sind noch folgende kluge Köpfe in der Sammlung vertreten: Pope, Herder, Fichte, Voltaire, Casanova, Heine, Twain, Kipling, Wilde, Tucholsky – die Liste ist lang. Die Welt ist auch musikalisch stark von der Freimaurerei geprägt: Mozart, Liszt, Haydn, Gershwin, Ellington, Armstrong. Auch Bob Geldof und Peter Gabriel sind Freimaurer. Genauso wie Sting, der im Song „Wrapped Around Your Finger“freimütig verrät: „I have only come here seeking knowledge, things they would not teach me of in college, I can see the destiny you sold, turned into a shining band of gold.“Van Morrison wiederum singt in seinem Album „Astral Weeks Live“im Song „Common One“fast schon meditativ aus dem Nähkästchen: „Can you feel the silence? In the mystic church. In the brotherhood of the light!“. Seit Jahrhunderten suchen sie also nach dem Licht. Man kann sie hören, lesen und spüren. Die Freimaurerei begegnet uns in Form des Roten Kreuzes, der Menschenrechte, des Eiffelturms, der Freiheitsstatue, als Citroën 2CV, als Penicillin, Charlie Chaplin und sogar als John Wayne.
Als wir uns verabschieden, wirkt unser Fotograf hell erleuchtet. Er sagt: „Gut, dass es noch solche Leute gibt. Sonst würde es viel dunkler sein da draußen.“Aus dem Mund eines Fotografen klingt das gleich doppelt schön. Man möchte fast in die Knie gehen vor lauter Ehrfurcht. Aber nur fast.