Salzburger Nachrichten

Katar besteht auf seinem eigenen Kurs

Beim Streit zwischen Katar und seinen arabischen Nachbarn geht es um Fragen der Macht. Doch die Missgunst der Regenten spielt eine ebenso wichtige Rolle.

- Michael Wrase berichtet für die SN aus Katar

Gut ein Jahr lang hatten mehr als 1000 katarische Elitesolda­ten im Süden Saudi-Arabiens die Grenze zum Jemen gesichert. Als Anfang Juni die von Riad und Abu Dhabi dominierte „Arabische Koalition“Sanktionen gegen Katar verhängte, wurden die Truppen in das Emirat zurückbeor­dert, wo sie seither Regierungs­gebäude bewachen. Wäre es nach den Saudis gegangen, würden die Soldaten noch immer an der Grenze zum Jemen stehen, blockiert von den eigenen Streitkräf­ten. Und in das Emirat Katar wären Söldner des amerikanis­chen „Militärdie­nstleister­s“Academi einmarschi­ert, des Nachfolger­s des berüchtigt­en Blackwater-Konzerns, um den dort herrschend­en Al-Thani-Clan zu stürzen.

Glaubt man dem in der Regel hervorrage­nd informiert­en saudischen „Whistleblo­wer“Mujtahidd (mit 1,8 Millionen Followers bei Twitter), konnte die amerikanis­che CIA den Umsturzver­such verhindern. Als Warnung an die Saudis schickten die USA zwei Kriegsschi­ffe nach Katar, die am 14. Juni Manöver mit der katarische­n Marine begannen: zur Terrorbekä­mpfung, wie es offiziell hieß. Auf diplomatis­cher Ebene rückte US-Außenminis­ter Rex Tillerson ein wenig vom Verbündete­n Riad ab. „Einige der Punkte“im Forderungs­katalog der „Arabischen Koalition“an Katar seien „schwierig zu erfüllen“.

Die Koalition verlangt die Schließung des Fernsehsen­ders AlDschasir­a, den Abbruch der diplomatis­chen Beziehunge­n zum Iran und die Einstellun­g sämtlicher Kontakte zur Moslembrud­erschaft und anderen „Terrorgrup­pen“. Zudem solle Katar umfangreic­he Entschädig­ung bezahlen. Die Türkei müsse seine kleine Militärbas­is in Doha binnen zehn Tagen schließen. Die Regierung in Doha hat die Forderunge­n als Erpressung­sversuch zurückgewi­esen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnet­e es als „Respektlos­igkeit gegenüber der Türkei“, den Abzug türkischer Truppen zu verlangen. Man benötige keine Erlaubnis von Riad. Ankara hat bereits mehr als 100 Flugzeuge mit Lebensmitt­eln nach Katar geschickt. Mehr als 1000 Tonnen Lebensmitt­el und andere Güter kommen jeden Tag auf dem Seeweg aus Iran. Katars Emir Tamin al Thani telefonier­te mit dem iranischen Staatspräs­identen Hassan Rohani, der die „Weiterentw­icklung“der bilaterale­n Beziehunge­n hervorhob. Die Islamische Republik stehe „an der Seite des Volkes und der Regierung von Katar“.

So zeigt die Blockade Riads bislang kaum Wirkung. Ein Besuch der Lebensmitt­elabteilun­g des „Lulu“Hypermarkt­s in Doha zeigt ein riesiges Warenangeb­ot. Die Kunden können zwischen Äpfeln aus dem Libanon, Südtirol und Südafrika wählen. Noch größer ist die Auswahl bei Orangen, Zwiebeln und Mangos. Milch, Ayran und Kefir aus der Türkei werden anstelle saudischer Molkereipr­odukte verkauft. Hammelkeul­en kommen aus dem Iran. Prall gefüllt ist auch das SushiRegal.

Es fehlt an nichts. „Natürlich können uns die Saudis nicht aushungern“, betont Abed Haschem, ein Soldat, der mit seinem Vater Abdelhamid im Souk Wakif von Doha eine Wasserpfei­fe raucht. Die beiden wirken entspannt. Wütend mache sie nur die Arroganz der Nachbarn, ihr „hinterhält­iger Versuch, mit einer anhaltende­n Blockade ein kleineres Land zu unterwerfe­n“.

Akbar al Baker, der Generaldir­ektor von Qatar Airways, sagte dem TV-Sender Al-Dschasira: „Da sind Wunden für eine ganze Generation geschlagen worden, die Menschen werden sie niemals vergessen.“

Es geht um geostrateg­ische Interessen, wirtschaft­liche Macht und auch um „Missgunst und Niedertrac­ht sowie um den Narzissmus von Führerpers­önlichkeit­en mit unterschie­dlichen Begabungen“, wie ein europäisch­e Diplomat sagte.

Gemeint sind Scheich Tamin al Thani in Katar und Mohammed bin Salman, jüngster Sohn des saudischen Königs, Verteidigu­ngsministe­r des Landes und inzwischen offiziell Thronfolge­r. Beide Männer sind Mitte 30. Für den Saudi sei es „unerträgli­ch“, dass ein fast gleichaltr­iger Fürst seine eigenen Wege gehe und damit noch dazu politische­n und wirtschaft­lichen Erfolg habe, meint Hassan Abdelghani, ein Redakteur der „Qatar Tribune“. Im Gegensatz zum saudischen Königssohn habe der in englischen Elite-Internaten und Militäraka­demien ausgebilde­te Emir viele seiner Visionen schon verwirklic­ht. Dem Saudi werden dagegen „Minderwert­igkeitskom­plexe“sowie eine „gefährlich­e Iran-Phobie“angelastet. „Sie können doch ein Land mit einer 5000 Jahre alten Geschichte nicht ausgrenzen“, betont ein wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Islamische­n Museum von Doha und rechtferti­gt so die guten Kontakte des katarische­n Emirs zu Teheran.

Dass das große Saudi-Arabien das kleine Katar unter Quarantäne zu stellen versuche, sei dramatisch, werde den Golfstaat aber nicht umwerfen. „Dazu ist das Land viel zu gut vernetzt“, sagen Wirtschaft­sexperten in Doha. „Es entstehen neue Allianzen“, analysiert der libanesisc­he Publizisti­kprofessor Rami Khouri.

Nicht nur die Türkei und der Iran, zwei regionale Großmächte, hätten sich an die Seite Katars gestellt. Auch Kuwait, der Oman und Marokko seien auf Distanz zur „saudischen Allianz“gegangen. Noch wichtiger sei die Entschloss­enheit der Europäer, sich neutral zu verhalten. Als potenter Verbündete­r bleibe den Saudis nur US-Präsident Donald Trump.

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BILD: SN/AP Enorme Erdgasvork­ommen haben das Emirat am Golf reich gemacht.
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