Kanzlerin geht einen neuen Weg
CDU-Chefin Angela Merkel rückt in einem weiteren Schwenk vom strikten Nein ihrer Partei zur Ehe für alle ab und kassiert damit ein Thema von SPD-Herausforderer Martin Schulz.
Es sei bei Weitem nicht so, betonen politische Beobachter in Berlin, dass Homosexuelle und homosexuelle Paare in Deutschland in unerträglicher Weise benachteiligt wären. Rechtlich sind Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft bis auf einen winzigen Punkt gleichgestellt: Homosexuelle Paare dürfen lediglich nicht gemeinsam ein Kind adoptieren, einzeln schon.
Doch dank des beginnenden Bundestagswahlkampfs hat das Thema Ehe für alle für alle Parteien plötzlich höchste Brisanz erhalten. Das liegt daran, dass sowohl SPD als auch FDP und Grüne die Ehe für alle zur Vorbedingung für das Zustandekommen einer Koalition gemacht haben. Mit ihrer Bemerkung am Montagabend, sie wünsche sich eine Diskussion, die eher in Richtung einer Gewissensentscheidung gehe, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Thema abgeräumt.
Die SPD sucht nun zusammen mit Grünen und Linkspartei die Gunst der Stunde zu nutzen. Immerhin befürworten laut Antidiskriminierungsstelle des Bundes 83 Prozent der Deutschen die Ehe für alle. Ohne Fraktionszwang gilt eine Mehrheit als sicher. Darum will die SPD noch diese Woche ein entsprechendes Gesetz durch den Bundestag pauken; denn es ist die letzte Sitzungswoche vor der Bundestagswahl am 24. September. Zwar tritt der Bundestag Anfang September noch an zwei Tagen zusammen. Doch dann soll es nur um den nächsten Haushalt gehen. Also ist Eile geboten. Einen Koalitionsbruch sieht man bei der SPD nicht, weil Merkel ja den Fraktionszwang aufgehoben hat.
Bis jetzt hat die Union (CDU/CSU) die Ehe für alle abgelehnt. Ihren überraschenden Schwenk hat Merkel wohlweislich mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen. Denn der konservative Flügel der Union ist alles andere als begeistert.
Drei Jahre lang hatte die Union erfolgreich die Behandlung des Themas Ehe für alle im zuständigen Rechtsausschuss verhindert. 31 Mal war das Thema vertagt worden. Zuletzt hatten die Grünen sogar vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt, um die Behandlung des Themas im Bundestag durchzusetzen. Doch sie hatten keinen Erfolg.
Merkels Schwenk erfolgte nur einen Tag nachdem SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ihr wegen ihrer Wahlkampfstrategie der „asymmetrischen Demobilisierung“einen „Anschlag auf die Demokratie“vorgeworfen hatte. Das ist nicht nur in der Union auf heftige Kritik gestoßen. Diese Wortwahl habe man bisher bei Terroristen benutzt, sagte CDU-Vize Julia Klöckner. Für den Wahlforscher Matthias Jung ist die mit der Schulz–Aussage implizierte Anschuldigung falsch, was schon an der hohen Wahlbeteiligung ersichtlich sei.
Eingetragene Lebenspartnerschaften gibt es in Deutschland seit 2001, als SPD und Grüne regierten. Die Union und auch die FDP waren damals dagegen. Heute leben gut 35.000 Homosexuelle in solchen Lebenspartnerschaften, was etwas mehr als der Hälfte aller homosexuellen Paare entspricht. 57 Prozent der Homoehen werden von Männern geschlossen. Im Vergleich: Allein 2015 gab es 400.000 Eheschließungen.
Wieder einmal hat Merkel also dem politischen Gegner erfolgreich ein Thema geklaut. Denn die jetzt noch kurzfristig beschlossene Ehe für alle ist nur auf den ersten Blick ein großer Erfolg für Kanzlerkandidat Schulz. Vor allem geht ihm damit eines der wenigen Wahlkampfthemen verloren, wo sich Union und SPD wirklich unterscheiden.
Da alle potenziellen Koalitionspartner die Homoehe zur Bedingung gemacht haben, hätte Merkel sich ihre Zustimmung in harten Verhandlungen „abringen“lassen können. Doch offenbar will die Kanzlerin auch diesmal auf einen konfrontativen Wahlkampf verzichten. Sie war zwei Mal erfolgreich mit „asymmetrischer Demobilisierung“, was man auch als das Klauen von Themen bezeichnen könnte. Warum sollte das nicht auch gegen Schulz funktionieren?
„Damit werden die letzten konservativen Werte zerstört.“ Peter Ramsauer, Ex-Minister (CSU)