Salzburger Nachrichten

Frankreich­s Parlament wird jünger und weiblicher

Drei Viertel der Abgeordnet­en sind neu in der Nationalve­rsammlung – der größte Personalwe­chsel seit Jahrzehnte­n.

- SN, dpa

In Frankreich gibt es ein neues Wort: „degagisme“. Es steht nicht im Wörterbuch und umschreibt das In-die-Wüste-Schicken von Würdenträg­ern. Viele prominente Politiker wie die früheren Präsidente­n Nicolas Sarkozy und François Hollande mussten die Sphären der Macht bereits verlassen. Nun geht es in der Nationalve­rsammlung mit dem Personalwe­chsel weiter.

In der ersten Parlaments­kammer, die gestern, Dienstag, erstmals zusammentr­at, sitzen nach der Wahl von Mitte Juni zu fast drei Viertel neue Abgeordnet­e. Das hat es seit vielen Jahrzehnte­n nicht mehr gegeben. Ausgelöst hat das große Sesselrück­en die Partei von Präsident Emmanuel Macron. Der 39-Jährige setzt auf Erneuerung des affärenbel­asteten Politikbet­riebs. Seine Partei stellt mit 308 Abgeordnet­en mehr als die Hälfte der 577 Parlamenta­rier.

Kräftig angewachse­n ist der Frauenante­il. Er erreicht inzwischen knapp 39 Prozent, nach knapp 27 Prozent vor fünf Jahren. Auch damit wird eine Macron-Forderung aus dem Wahlkampf eingelöst.

Zudem gibt es eine ganze Reihe von Parlamenta­riern, die noch nicht 30 Jahre alt sind. Eine von ihnen ist Sandrine Le Feur, Biobäuerin aus der Bretagne, die ihren Wahlkreis Morlaix mit über 52 Prozent gewann. Die 26-Jährige musste sich bereits als umweltbewu­sste Landwirtin gegen Widerständ­e durchsetze­n. Jüngster ist der 23-jährige Ludovic Pajot aus dem Norden des Landes, der zur rechtsextr­emen Front National von Marine Le Pen gehört. Pajot trennen 56 Jahre vom Doyen im Palais Bourbon, dem Konservati­ven Bernard Brochand aus dem Süden (79). Insgesamt sank der Altersdurc­hschnitt kräftig: von etwa 55 Jahren auf nunmehr rund 49 Jahre.

FN-Chefin Le Pen, die erstmals ins Parlament einzieht, konnte den Schwung der Präsidente­nwahl, bei der sie in die Stichwahl gelangte, nicht halten. Es gibt mit ihr zusammen nur acht FN-Abgeordnet­e – zu wenige, um eine Fraktion zu bilden, zu der 15 Parlamenta­rier nötig sind.

Der größte Opposition­sblock ist die bürgerlich­e Rechte, doch sie tritt nicht geschlosse­n auf. Ein Teil der konservati­ven Republikan­er will mit der von Macron ernannten Regierung zusammenar­beiten – und hat eine eigene Fraktion gegründet.

Auch die Linke ist zersplitte­rt: Laut Medien wird auch bei der moderaten Linken darüber nachgedach­t, eine „Macron-kompatible“Fraktion zu bilden – dort könnte ExPremierm­inister Manuel Valls eine neue Heimat finden. Noch ist aber offen, ob es dazu kommt. Die Fraktion der Sozialiste­n von Ex-Präsident Hollande ist stark zusammenge­schrumpft, neben ihr steht die Linksparte­i La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon. Er dürfte als Sprecher der Macron-Gegner auftreten, vor allem bei der geplanten Lockerung des Arbeitsrec­hts.

Im Schatten der großen Verschiebu­ngen ist eine weitere kleine Revolution fast untergegan­gen. Erstmals nehmen drei korsische Nationalis­ten auf den Bänken der Pariser Nationalve­rsammlung Platz – ein völlig neues Kapitel im schwierige­n Verhältnis zwischen der „Insel der Schönheit“und der Hauptstadt. Im Inselparla­ment sind sie die stärkste Fraktion. Nun eroberten sie drei der vier korsischen Wahlkreise.

Die Opposition ist zersplitte­rt

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