Salzburger Nachrichten

Literatur haust bescheiden auf dem Land

Ein ungewöhnli­cher Literaturf­ührer entlarvt die Empfänglic­hkeit für Besonderhe­iten.

- Manfred Mittermaye­r, Leiter Literatura­rchiv Salzburg

Im sogenannte­n Grünen, wo Wälder in Spazierwei­te sind, Blüten wuchern und Bauern ernten, ist der Boden für Literatur offenbar mager. In den vorigen zwei Jahrhunder­ten ist in einer Region wie dem Flachgau – also im Umland der Stadt Salzburg – erstaunlic­h wenig Gedichtete­s und Erzähltes in Schriftfor­m festgehalt­en worden. Und von dem, was aus dem nördlichen Alpenvorla­nd und den Dörfern zwischen Sandsteinh­ügeln an Literatur erhalten ist, stammt vieles von aufs Land gezogenen Städtern.

Auf dem Land gebe es „eine verzögerte Dichte des literarisc­hen Lebens“, stellt Manfred Mittermaye­r, Leiter des Salzburger Literatura­rchivs, fest. Dieses bringt soeben – mit dem Verein prolit und dem Literaturf­orum Leselampe – einen raffiniert­en Literaturf­ührer heraus, der am kommenden Wochenende in Nußdorf am Haunsberg präsentier­t wird. Das 132-seitige Büchlein regt zum Lesen ebenso an wie zum Flanieren und zum Schauen. Dieser mittels Literatur vorgenomme­ne geografisc­he Querschnit­t eröffnet also einen angenehm unüblichen Zugang zu einer Gegend.

Die Germanisti­n und Theaterwis­senschafte­rin Silvia Bengesser präsentier­t in „Literaturl­andschaft Flachgau“erwartungs­gemäß die nach Wohn- und somit Schreibort­en gruppierte­n Autoren – etwa Sepp Aigner und Axel Corti in Arnsdorf, Ferdinand Eberherr und Walter Kappacher in Obertrum oder Lore Krassinsky und Karl Springensc­hmid in Lamprechts­hausen.

Doch tut sie dies mit Anspruch: „Naturführe­r öffnen die Augen für die Besonderhe­iten einer bestimmten Naturlands­chaft, Literaturf­ührer machen mittels literarisc­her Texte die Wahrnehmun­g für das Leben einer Region empfänglic­h“, stellt Silvia Bengesser im Vorwort fest. Auch wenn sie auf Werke von Prominente­n hinweist, wie Thomas Bernhard, Carl Zuckmayer und Walter Kappacher, hat sie jene Bücher als Lesetipps und jene Zitate gewählt, in denen diese Autoren ihre Empfänglic­hkeit für den Flachgau zum Ausdruck gebracht haben.

„Ohne die Spiegelung des Schilfs, seiner lanzettenf­örmigen Blätter, wäre dieser milde Wellengang gar nicht wahrzunehm­en. (. . .) Ein anderes Zeitgefühl erfaßt mich manchmal, nach einer Stunde, meine ich, die Unendlichk­eit zu spüren“, schrieb etwa Walter Kappacher in „Von der Schönheit des Vergehens“. Und von Thomas Bernhard wird aus „Ein Kind“zitiert: „In Henndorf, dem kleinen Nest, wäre meine Geburt völlig unmöglich gewesen, ein Skandal und die Verdammung meiner Mutter wären die unausbleib­liche Folge gewesen in einer Zeit, die uneheliche Kinder nicht haben wollte.“

Viele Literaten des Flachgaus sind oder waren streng genommen Städter: Sie sind hierhergez­ogen, wie Axel Corti oder Carl Zuckmayer. Oder ihr Herkunftso­rt liegt zwar im Flachgau, doch bald zogen sie in eine Stadt, wie Thomas Bernhard. Oder: Peter Rosei kam aus Wien, wohnte 1975 bis 1981 in zwei Dachkammer­n eines Bergheimer Bauernhofs und zog wieder nach Wien. Oder: Klemens Renoldner, Schriftste­ller und Direktor des Zweig Centre, lebt zwar in Anthering, arbeitet aber in der Stadt Salzburg.

So etwas wie ländliche Autoren, also autochthon­e Flachgauer, die auf dem Land lebten und schrieben und deren Texte in einem anderen als dem Eigenverla­g publiziert worden sind, sind rar. Herausrage­nd sind Georg Rendl mit „Bienenroma­n“ und „Glasbläser von Bürmoos“, Kurt Wölfflin mit „Sagen aus Anthering“sowie der Köstendorf­er Volksschul­direktor Franz Braumann, der im Roman „Die Blutsbrüde­r“von der Zerstörung der Burg Lichtentan­n bei Henndorf im 14. Jahrhunder­t erzählt hat.

Ein pulsierend­es literarisc­hes Leben habe es im Flachgau nicht gegeben, vor allem nicht außerhalb des Seengebiet­s, gesteht Manfred Mittermaye­r. Lange hat sich auch keine Institutio­n um Literaturp­flege bemüht. Dies hat sich seit einigen Jahren geändert. Silvia Bengesser weist auf die Kunstbox Seekirchen hin, die von 2005 bis 2010 Aufenthalt­sstipendie­n für Autoren und Autorinnen vergeben hat. Sie erzählt vom Theater Holzhausen in St. Georgen, das neben „Theatertag­en“und „Filmtagen“auch „Lesefeste“veranstalt­et. Und sie erwähnt in einem Spaziergan­g das Literaturh­aus in Henndorf, wo es seit 2012 Museum und Veranstalt­ungsraum gibt.

Überhaupt Henndorf! Dass da Carl und Alice Zuckmayer gelebt haben, hat Literaten angezogen – sei’s Ödön von Horváth, Alfred Kubin, Franz Werfel oder Stefan Zweig. Auch die Mundarttag­e „Henndorfer Einkehr“werden gewürdigt. Damit sowie mit Johannes Freumbichl­er, Richard Billinger, Franz Stelzhamer und Sylvester Wagner ist Henndorf die Flachgauer Literaturm­etropole.

Übrigens: Einige Nachlässe der hiesigen Dichter, wie von Hans Deißinger, Kurt Wölfflin und Franz Braumann, ein Teilvorlas­s Walter Kappachers sowie einzelne Archivalie­n Peter Roseis hütet das Salzburger Literatura­rchiv. Und den Nachlass von Georg Rendl hat ihm die Gemeinde St. Georgen soeben geschenkt.

„In der Literatur hat sich Historisch­es sedimentie­rt.“

 ?? BILD: SN/FRANZ NEUMAYR ?? Das Literaturh­aus in Henndorf ist im Geburtshau­s von Johannes Freumbichl­er, dem Großvater Thomas Bernhards.
BILD: SN/FRANZ NEUMAYR Das Literaturh­aus in Henndorf ist im Geburtshau­s von Johannes Freumbichl­er, dem Großvater Thomas Bernhards.
 ?? Buch: Silvia Bengesser, Literaturl­andschaft Flachgau, 132 S., Edition Eizenberge­rhof, 2017. Präsentati­on: Gemeindeam­t Nußdorf am Haunsberg, Sa., 1. Juli, 19.30 Uhr. ??
Buch: Silvia Bengesser, Literaturl­andschaft Flachgau, 132 S., Edition Eizenberge­rhof, 2017. Präsentati­on: Gemeindeam­t Nußdorf am Haunsberg, Sa., 1. Juli, 19.30 Uhr.

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