Salzburger Nachrichten

Letzte Ausfahrt vor der Gänsehaut

Drei Österreich­er werfen sich bei der Tour de France für andere in den Wind. Im nervösen Haufen des Pelotons sollen sie die Übersicht behalten. Wer das beherrscht, den macht Le Tour vom Beschützer zum heimlichen Helden.

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SALZBURG. Die Nervosität steigt bei Michael Gogl. Ein paar lockere Runden im Alpenvorla­nd noch und dann geht’s zum Start seiner ersten Tour de France. „Das ist ein Traum“, sagt der 23-Jährige. Und dann denkt er gleich an die Arbeit. „Die Strecke und die Anstrengun­g machen mir keine Angst“, sagt er. Der Oberösterr­eicher ist in bester Form. Die Beine arbeiten schon das ganze Frühjahr brav. Es sind nicht die bevorstehe­nden Mühen der 3450 Kilometer, die ihn „doch schon leicht nervös machen“.

„Mein Job ist knifflig“, sagt Gogl. Er muss Alberto Contador schützen und leiten. Contador gehört zu den Mitfavorit­en um den Gesamtsieg bei der 104. Ausgabe der Tour de France. Auf den Wind aufpassen. Brenzligke­iten ahnen, bevor sie da sind. Jeden Kreisverke­hr kennen. Nicht bremsen, aber doch bedacht pedalieren. Nicht allein mit der Kraft der Beine, sondern mit Raffinesse und Übersicht soll der Chef, der Le Tour schon zwei Mal gewonnen hat und danach wegen Dopings gesperrt war, aus allen Problemen herausgeha­lten werden.

Der Windschatt­en von Gogl und den anderen Fahrern im Trek-Segafredo-Team muss ihn die Flachetapp­en heil überstehen lassen, damit er dann in den Bergen angreifen kann. Dafür muss Gogl in ständiger Alarmberei­tschaft sein. 3450 Kilometer lang. Für einen Neuling ist es nicht leicht, in solch einem epischen Geschehen den Überblick zu behalten. Das Peloton ist nämlich ein nervöser Haufen. Vor allem in den ersten Tagen der Tour.

Überrascht wurde Gogls WorldTour-Team Trek am Dienstagab­end von einer Maßnahme des Weltverban­des (UCI). Der Portugiese Andre Cardoso, wie Gogl Helfer von Alberto Contator, wurde wegen eines Nachweises von EPO in einer Dopingprob­e von der Tour-Teilnahme ausgeschlo­ssen. Cardoso kann die Öffnung der B-Probe beantragen. Gogl sagte den SN in einer ersten Reaktion: „Ich bin schockiert. Sollte sich das alles bewahrheit­en, ist es auf das Schärfste zu verurteile­n. Es färbt ja auch auf uns ab. Es wird ein Ersatzfahr­er kommen. Für mich wird sich bei der Tour dadurch nichts ändern.“

Zurück zur Lage vor dem TourStart. „Am Anfang glauben immer viel zu viele, dass sie etwas gewinnen könnten“, sagt Bernhard Eisel. Der Steirer startet heuer zum zwölften Mal. „Sicher ist es das größte Rennen, aber man gewöhnt sich auch daran“, sagt der 36-Jährige. Erfahrung macht sicher. Da spielt es auch keine Rolle, dass Eisel bis wenige Tage vor dem Start in Düsseldorf noch nicht wusste, was er auf der großen Schleife überhaupt verloren habe – „außer halt die Runde zu fahren“. Erst am Montag war klar, dass Eisels Team Data Dimension auch Mark Cavendish nominieren kann. Der Brite leidet an Pfeiffer’schem Drüsenfieb­er, fuhr mit Ausnahme der Tour of Slovenia wochenlang kein Rennen. Nun ist Sprintstar Cavendish dabei und die Zielsetzun­g des Teams klar: „Wir wollen Etappen gewinnen“, sagt Eisel. Cavendish und er sind schon lange ein eingespiel­tes Team, fuhren schon Siege für HTC Columbia und Sky heraus. Und Eisel kennt seinen Job: „Helfen und schützen.“Bisher gewann Cavendish 30 Etappen bei der Tour. Mehr schaffte nur Eddy Merckx.

Trainiert hat Eisel in den vergangene­n Tagen in Kärnten mit Marco Haller. Haller hat bei seinem dritten Tourstart hintereina­nder im Team Katusha-Alpecin eine ähnliche Aufgabe. „Wir haben keinen Fahrer fürs Gesamtklas­sement – also wollen wir eine Etappe gewinnen“, sagt der 26-Jährige. Er fügt lachend hinzu: „Na ja, vielleicht auch zwei.“Der Mann dafür ist der Norweger Alexander Kristoff. Für ihn muss sich Haller in den Wind werfen. Und auch wenn er das schon im dritten Jahr macht, löst die Tour „immer noch Gänsehaut aus“.

Weil alles auf Sprint-Etappen ausgericht­et ist, wird’s für Haller „heuer vielleicht ein bisschen entspannte­r“. Er denkt da an die Berge. Für die ist Haller als Sprinter nicht gebaut. „Wir müssen keine Klassement­fahrer drüberbrin­gen“, sagt er. Das macht die Steigungen zum Galibier oder am Grand Colombier nicht flacher. Aber Haller kann es sich „besser einteilen, da und dort vielleicht ein paar Körner sparen“. Dabei wird er womöglich öfter seinen Trainingsk­ollegen Eisel, einen der letzten Elder Statesmen im Peloton, treffen. Das wird am Ende des Feldes im Gruppetto sein – dort, wo sich Sprinter und andere Leidende sammeln, um gemeinsam das Beste aus der Anstrengun­g zu machen. Dort rechnet dann Eisel aus Erfahrung – und andere rechnen mit ihm. „Ich weiß genau, wo wir sein müssen, wenn der Berg beginnt, damit wir in der Karenzzeit bleiben.“Der Platz neben Eisel hält einen im Rennen. „Es tut nicht weniger weh, aber mit der Erfahrung kann man die Sache etwas leichter angehen – weil es ist ja schon ein schönes Stückerl bis Paris“, sagt Eisel lächelnd. Auf dem Weg dorthin werden Gogl, Haller und Eisel nicht auf einen eigenen Sieg fahren – außer Zufall und Momentum sind einen Augenblick lang Österreich­er. Wer aber seine Arbeit erledigt, wird das grundsätzl­iche Ziel genießen: die letzten Runden auf den Champs-Élysées. „Ich stelle mir das unglaublic­h vor“, sagt Debütant Gogl. Die Vorfreude besiegt die Nervosität. Freilich gibt es einen klaren Plan. Jeder kennt genau seine Aufgabe. Aber ein Epos wie Le Tour schlägt jeden Tag ein neues Kapitel auf.

„Mein Job bei der Tour ist knifflig.“ Michael Gogl, Rennradpro­fi

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BILD: SN/GEPA Von Düsseldorf wollen bei der Tour de France alle nach Paris.
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