Wem die Stunde schlägt
Alle Jahre wieder gibt es um das Stierkampf-Festival in Pamplona einen Kulturkampf. Als Ernest Hemingway die Stadt auf der literarischen Landkarte verewigte, war von Problembewusstsein noch keine Rede.
Lässig lehnt Ernest Hemingway an der Theke, dahinter warten Wein- und Cognacflaschen auf trinkfreudige Gäste. So hätte er es gemocht, der amerikanische Romancier – dieses Bar-Ambiente war nach seinem Geschmack.
Die lebensgroße Statue steht in einem holzgetäfelten Nebenraum des Cafés Iruña in Pamplona, einem der Lieblingsorte Hemingways (1899–1961). Hier hat er selbst viele Stunden mit Spirituosen und Plaudern zugebracht, und er hat dem geschichtsträchtigen Kaffeehaus auch in seinem Roman „Fiesta“ein Denkmal gesetzt. „Hemingways Liebesaffäre mit Pamplona dauerte sein ganzes Leben“, sagt Lucinda Poole, die seit 30 Jahren in der nordspanischen Stadt lebt und als Expertin für Hemingways Aufenthalte in Spanien gilt. Der Touristenführer Javier Aldunate stimmt zu: „Er liebte Stiere, Wein, Frauen und das Angeln – da war er hier richtig.“
Neun Mal kam der Schriftsteller, um dem Festival San Fermín und den Stierläufen beizuwohnen. Bei der ersten Reise 1923 war er noch jung, aber schon hingerissen von Stierkampf und Toreros. „Er war wie besessen von der Idee von Tapferkeit und Tod, und er hat das alles hier gefunden, in Pamplona“, erzählt Poole.
1926 erschien Hemingways Roman „The Sun Also Rises“, der auf Deutsch unter dem Titel „Fiesta“herauskam und vielen als sein größter Wurf gilt. In den USA gehört das Werk über eine Gruppe USEmigranten, die von Paris aus zum Stiertreiben nach Pamplona reisen und sich zwischen Alkohol und Eifersüchteleien in allerlei Bars tummeln, zur Pflichtlektüre. „Es ist ein trauriges Buch, über verlorene Menschen“, sagt Lucinda Poole.
Hemingways Freund Juanito Quintana, ein Hotelier und Stierkampfexperte, diente für den Roman als Vorbild für Juanito Montoya, in dessen Hotel die Gruppe aus Paris absteigt. Hemingway selbst wohnte in den 1920er-Jahren mehrmals im „Quintana“, das einst schräg gegenüber dem Café Iruña auf der Plaza Castillo stand. „Es war angenehm, aus der Sonne in den Schatten der Arkaden zu gehen, die um den ganzen Platz herumführten“, schreibt er in „Fiesta“. Und auch wenn das Hotel heute nicht mehr existiert, hat sich die historische Plaza doch ihre Arkaden und ihren Charme bewahrt.
Während Hemingways Begeisterung für Pamplona nie nachgelassen habe, hegten die Einwohner eine „Hassliebe“für ihn, erläutert Poole. „Die meisten hier haben nicht einmal sein Buch gelesen, sie erinnern sich nur an den Hemingway aus den 1950er-Jahren, der in Bars rumhing und trank“, sagt sie und fügt nachdenklich hinzu: „Hemingway hat Pamplona viel mehr geliebt als Pamplona ihn.“
Das hält die Bevölkerung nicht davon ab, Geschäfte mit seinem Namen zu machen. Hemingway ist überall präsent, Geschäfte und Lokale tragen seinen Namen, die Stadt organisiert Touren auf seinen Spuren, und vor der Stierkampfarena wurde ein Denkmal errichtet.
Das Hotel La Perla, wenige Meter vom Café Iruña entfernt, wirbt damit, dass der Autor mehrmals in einer der Suiten genächtigt habe. Wer während des Stierkampf-Festivals im „originalgetreu erhaltenen“ Zimmer absteigen wolle, müsse über 2000 Euro pro Nacht zahlen, bestätigt eine Hotelangestellte.
Lucinda Poole ist skeptisch: „Er hat nie im La Perla gewohnt, ich habe eingehend nachgeforscht.“Hemingway hätte der ganze Plüsch des Hotels gar nicht gefallen, meint die Amerikanerin.
Der legendäre Schriftsteller, dessen Lieblingsdrink laut Stadtführer Javier Aldunate Cognac mit Vanille war, hat Pamplona in der ganzen Welt bekannt gemacht. Das Festival erfährt bis heute ungebremsten Zulauf – kein Wunder, denn so eine Party gibt es nicht alle Tage: „Die Fiesta hatte wirklich begonnen“, begeistert sich Hemingways fiktives Alter Ego Jacob „Jake“Barnes im Roman. „Sie dauerte Tag und Nacht, sieben Tage lang. Man tanzte und trank unentwegt.“
Seit gestern, Donnerstag, ist es wieder so weit: Bis 14. Juli werden abermals Tausende Schaulustige feiern und versuchen, das gefährliche Stiertreiben durch die engen Gassen unbeschadet zu überstehen.
Als der Schriftsteller, mittlerweile weißhaarig und Pulitzer- und Literaturnobelpreisträger, 1959 in die Hauptstadt der Region Navarra zurückkehrte, war er geschockt von den Menschenmassen. Wo in der „Fiesta“-Zeit keine 20 Touristen gewesen seien, tummelten sich nun 40.000, schrieb er entsetzt in einer Reportage für das Magazin „Life“. Die Proteste gegen das Festival (siehe Kasten) sollten allerdings erst viel später einsetzen: „Der Wein war so gut wie damals“, schrieb Hemingway bei seinem Besuch, „das Essen so wundervoll wie immer. (…) Niemand war besiegt.“