Salzburger Nachrichten

Danke für diese Einfühlsam­keit

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Liebe Herren Hödlmoser und Resch, für Ihre einfühlsam­en und differenzi­erten Texte zum Thema Depression/Suizid in der so betitelten SN-Wochenendb­eilage vom 1. 7., möchte ich mich herzlich bedanken!

Ich bin als alleinerzi­ehende Mutter einer 16-jährigen Tochter und selbst Ärztin seit über zehn Jahren von schweren Depression­en betroffen. Zunächst hat es mir jahrelang „nur“über den Herbst und Winter „den Strom abgedreht“, die vergangene­n drei Jahre dann dauerhaft. Ich war fast vollständi­g lahmgelegt, nur noch unter größten Anstrengun­gen zum Allernötig­sten fähig, habe eigentlich nur noch für meine Tochter gelebt. Und das, obwohl ich über die Jahre wirklich alles versucht hatte – verschiede­ne Medikation­en durch mehrere Fachkolleg­en, Psychother­apie, Familienau­fstellung, schamanisc­he Heilreisen, energiemed­izinische Behandlung­en, ergänzend hochdosier­t Omega-3-Fettsäuren bis hin zu homöopathi­schen Therapien, SchüßlerSa­lzen und diversen Nahrungser­gänzungsmi­tteln. Nichts hat mir dauerhaft geholfen, ich wurde immer schwächer und verzweifel­ter, bin oft mehrere Tage ohne Nahrungsau­fnahme nur noch im Bett gelegen, habe stark an Gewicht abgenommen und konnte zum Schluss meine über alles geliebte Tochter kaum mehr versorgen. Ich habe das Haus nur noch selten verlassen, die so wichtige und mir zu gesunden Zeiten sehr am Herzen liegende sportliche Betätigung war mir unter diesen Umständen selbstvers­tändlich auch nicht mehr möglich. Selbst Spaziergän­ge waren zu viel.

Natürlich hatte ich während der ganz dunklen Zeiten auch immer wieder Suizidgeda­nken, zum einen, weil ich mich beruflich und privat als komplett und irreversib­el gescheiter­t gefühlt habe, zum anderen aber auch, weil ich diese quälende Lethargie und die damit verbundene Selbstisol­ation einfach nicht mehr aushalten konnte. Den Glauben hatte ich schon so gut wie verloren, da alles Beten und Flehen auch nicht weiterzuhe­lfen schien – nur meine Tochter hielt mich noch am Leben. Ich habe mich eisern daran festgehalt­en, dass ich ihr junges Leben nicht noch darüber hinaus und dauerhaft belasten darf. Dann ging eines Tages gar nichts mehr. Meine Tochter war bei ihrem Vater und ich wusste, jetzt muss etwas passieren. Mit der Hilfe meines Bruders habe ich die nötigsten Sachen zusammenge­packt und mich in die bis dato immer vehement abgelehnte stationäre Behandlung in eine Klinik begeben. Anfangs war das die befürchtet­e Hölle, doch nach zwei, drei Wochen bemerkte ich langsam wieder Funken von Lebendigke­it. Ich konnte zu Mitpatient­en wieder Kontakt aufnehmen – dieses Unvermögen hatte mich als eigentlich kontaktfre­udige Person zuvor sehr gequält, aber trotz aller Willensans­trengung ging einfach nichts mehr.

Seit meiner neunwöchig­en stationäre­n Behandlung, zu der noch viel Positives zu sagen wäre, geht es mir endlich wieder gut! Ich bin tatsächlic­h wieder „die Alte“, voller Lebensfreu­de und Tatkraft, treibe regelmäßig Sport, spiele und genieße Musik, besuche kulturelle Veranstalt­ungen, bin meiner jugendlich­en Tochter wieder eine patente Mutter und arbeite an meinem mir sehr am Herzen liegenden berufliche­n Wiedereins­tieg. Außerdem habe ich vor, ein Buch über meine (Klinik-)Erfahrunge­n zu schreiben, mit dem ich anderen Betroffene­n die Angst vor einer stationäre­n Behandlung nehmen und gegen die Tabuisieru­ng psychische­r Erkrankung­en kämpfen möchte.

Da psychische Erkrankung­en und die ihr oft folgende Schreiben Sie uns! Suizidalit­ät leider nach wie vor ein gesellscha­ftliches Tabuthema sind und ich selbst zuvor als Ärztin in der Psychother­apie tätig gewesen war, war es mir ein Anliegen und Bedürfnis, anlässlich der oben erwähnten Artikel diese meine persönlich­e Erfahrung weiterzuge­ben. Ich möchte den zahlreiche­n anderen Betroffene­n damit gern ein bisschen Mut machen, sich nicht vor Scham zu verstecken bzw. tief verzweifel­t ihr Leben zu beenden. Es gibt Hilfe, auch wenn man teils bereits sehr lange Zeit vergeblich danach gesucht hat.

Für persönlich­e Rückfragen stehe ich sehr gern zur Verfügung. Dr. Dorothea Reingruber

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