„Städte sind nachhaltiger“
Früher waren es die niedrigen Mieten, die den New Yorker Stadtteil Brooklyn attraktiv machten. Nun ist es die Lebensqualität. Ein Gespräch mit Brooklyns Planungsdirektor Winston von Engel.
SN: Wie sollen Städte auf die häufiger auftretenden Hitzeperioden durch den Klimawandel reagieren? Eine Klimaanlage für alle kann doch nicht das Ziel sein.
Winston von Engel: Ist aber vielleicht nötig. Zur Lebensqualität in der Stadt gehört auch, dass man sich wohlfühlt. Aber selbst mit Klimaanlagen sind dicht bewohnte Städte nachhaltiger als Vororte. Es sind aber auch mehr Bäume, Beschattung, grüne Fassaden und Dächer nötig. Man muss kreativ denken, vor allem in Bezirken, wo es kaum Grünflächen gibt. SN: Warum sind Großstädte so attraktiv? Es geht um Jobs, aber auch um die Lebensqualität, deshalb ziehen Menschen dorthin. Siedlungen verlieren an Wert, weil besonders jüngere Menschen wo wohnen wollen, wo sie kein Auto brauchen, wo es Vielfalt gibt, wo sie gleichzeitig arbeiten, wohnen, lernen und Unterhaltung haben können. Dazu gehört eine Politik, die Toleranz fördert. Wenn man an einzelne Ortschaften denkt, die erfolgreich sind, geht es um diese Lebensqualität und um den Schutz des Ortsbildes. Das bedeutet etwa, den Supermarkt außerhalb nicht zu erlauben, sondern ihn zu zwingen, in den Ort zu ziehen. Oder die notwendigen Stellplätze für Autos nicht vor den Häusern vorzusehen, sondern hinter den Häusern, um urbane Strukturen zu bewahren. SN: In Österreich sind Zersiedelung und Bodenverlust ein großes Problem. Müsste Raumplanung zentralisiert sein? Eigentlich sollte regional entschieden werden, aber das große Ganze muss einbezogen werden. Man kann nicht nur einzeln agieren, sondern muss auch über die Folgen für alle nachdenken. Es wäre gut, wenn jeder, der die Entscheidung trifft, die Finanzierung trägt. Denn das Problem ist ja nicht nur der Bodenverlust, sondern auch, dass die Infrastruktur ineffizient wird. SN: Wie kann Mobilität in einer dicht besiedelten Stadt nachhaltig organisiert werden? Sinnvolle Nachhaltigkeit ist, wenn Bewohner zugunsten öffentlicher Verkehrsmittel auf das Auto verzichten – nicht in erster Linie, weil sie Umweltschützer sind, sondern weil es billiger, angenehmer und einfacher ist. Ich glaube aber nicht, dass man Autos aus der Stadt eliminieren kann. Es wäre ideal, wenn alle mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren würden, aber es ist nicht möglich und auch nicht fair. Denn es gibt nun mal Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind. Das ist als Stadtplaner zu akzeptieren, sonst baut sich Widerstand auf. Es ist nicht nötig, den Autofahrern die Schlüssel wegzunehmen, es müssen attraktive Wohngegenden geschaffen werden, in denen man kein Auto braucht. Die Menschen sollen dorthin ziehen wollen und das Auto aufgeben wollen. Das ist das Ziel und dann ist die Stadt erfolgreich. SN: Wir haben noch das Radfahren oder das Zufußgehen als Möglichkeiten. Das Fahrrad ist das optimale Verkehrsmittel, zumindest für jene, die damit fahren können. Eine Stadt ist toll, wenn viele Menschen lange Strecken zu Fuß gehen und es gar nicht bemerken, weil es immer was zu sehen gibt. Durch eine langweili- ge Siedlung oder Schnellstraßen entlang will kaum jemand gehen. Da fährt man lieber mit dem Auto. SN: Wie ist die Entwicklung in Brooklyn? Das alte Geschäftszentrum ist nun mit Wohntürmen bestückt, die es vor 15 Jahren noch nicht gegeben hat. Nun leben hier Tausende Menschen. Es gibt nach wie vor viele Gebiete, die gut von der U-Bahn erschlossen sind und die noch bebaut werden können. Ursprünglich sind die Menschen wegen der niedrigen Mieten nach Brooklyn gezogen, mittlerweile kommen sie wegen der Lebensqualität. Viele US-Städte haben sich ins Umland ausgebreitet, was zur Folge hat, dass alle mit dem Auto ins Zentrum fahren. In Brooklyn entsteht jetzt in den Neubaugebieten eine durchmischte Nutzung, und zwar sehr bewusst. Wir stellen uns die Frage, wer hier wohnen und arbeiten wird und wie gleichzeitig Arbeitsplätze, Geschäfte und Wohnungen entstehen. Damit müssen die Bewohner nicht quer durch die Stadt fahren, sondern haben alles regional zur Verfügung. SN: Sollten Städte also in die Höhe und Dichte investieren? Das Gute von Städten ist, dass sie im Grunde Natur und Landwirtschaft schützen. Immer wenn es Opposition gegen dichteres und höheres Bauen gibt, muss man bedenken, dass im Umland ein Stück Acker und Wald verloren gehen könnte. Natürlich soll eine Stadt nicht überall verdichtet werden und nicht überall sollen höhere Gebäude entstehen, sondern vor allem dort, wo genügend Infrastruktur besteht und es auch noch Platz für neuen Wohnraum gibt. Eine Familie, die in der Stadt wohnt, pendelt im Allgemeinen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Arbeit und geht auf dem Weg nach Hause einkaufen. Eine vergleichbare Familie, die in einem Vorort wohnt, braucht mindestens ein, wenn nicht zwei Autos, um in die Arbeit oder in die Schule zu kommen und um einzukaufen. Zur Person: Winston von Engel ist Planungsdirektor im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Seine Kindheit hat er in Wien verbracht, wissenschaftlich hat er sich u. a. mit dem Wiener Gemeindebau beschäftigt. Er wird einer der Referenten bei der „Urban Future Global Conference“sein, die von 28. Februar bis 2. März 2018 erstmals in Wien stattfinden wird. www.urban-future.org