Ein Bad in der Menge für Lewis
Mit seinem fünften Heimsieg schloss Hamilton in der WM zu Vettel (hatte Reifenpech) auf.
SILVERSTONE. Lewis allein zu Hause? Ja, aber nur auf der Piste. Als das Rennen vorbei war, war es um die britische Contenance geschehen.
Sowohl bei den 137.500 Fans, die mehrheitlich die Zielgerade stürmten, um ihrem Idol zuzujubeln, als auch beim Dominator des britischen Grand Prix nahmen die Emotionen ihren Lauf. Lewis Hamilton, der eben seinen fünften Erfolg im „Home of British Motor Racing“gefeiert und damit den Rekord von Jim Clark und Alain Prost egalisiert hatte, genoss die Siegerehrung und lief nachher anstatt zur Pressekonferenz zur Menge, ließ sich von ihr feiern, auf Händen tragen, kletterte sogar auf einen Zaun wie sonst nur Helio Castroneves nach seinen Indy-Siegen.
Hamilton ließ klar erkennen: Die oftmalige Kritik der vergangenen Tage über seine Ignoranz des London-Auftritts und der benötigten „Erholung“war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Die Belastung war für den Lokalmatador groß gewesen, noch größer war die Erleichterung danach, als die Bürde des von Tausenden erwarteten Sieges abgefallen war. „Es ist ein Gefühl, das unbeschreiblich ist. Es ist fantastisch, wie ich von meinem Team und den Fans hier unterstützt und zum Sieg getragen wurde“, bekannte der 32-Jährige nachher. Sein Teamchef, Toto Wolff, erklärte: „Die Kritik machte Lewis noch stärker.“
Es war fast wie in einer schlechten Seifenoper, was sich da abspielte: Hamilton nahm in der Menge ein Bad, derweil der Zweite, Valtteri Bottas, und der Dritte, Kimi Räikkönen, gelangweilt vor den Medienvertretern saßen und auf den Beginn der Pressekonferenz warteten – bis eben Hamilton seine Emotionstour beendet hatte und zur Pflicht eines Siegers zurückkehrte.
Wie der Engländer die Belastung der vergangenen Tage und den Druck des Heimrennens wegsteckte, ist allerdings anzuerkennen: Es unterlief ihm nicht der geringste Fehler. Dazu kam, dass ihm das Pech der anderen viel Gefahr durch die Konkurrenz abnahm.
Das begann schon vor dem Rennen, als Spielberg-Sieger Bottas wegen eines (erwarteten) Getriebewechsels um fünf Startplätze strafversetzt wurde und nur als Neunter starten konnte. Hamilton war in der Qualifikation souverän und nützte
Aufholjagd von Bottas und Ricciardo
seine „Pole“zu einem sauberen Start und danach die Überlegenheit des Mercedes auf der Hochgeschwindigkeitspiste, den Abstand zu Verfolger Räikkönen auszubauen und dann zu verwalten. „Ja, ich konnte das Rennen kontrollieren, aber leicht war es deswegen nicht“, gab Hamilton zu Protokoll. Dass es kein direktes Duell mit WM-Rivalen Sebastian Vettel gab, war auch dem wieder einmal glänzend gestarteten Max Verstappen zuzuschreiben, der sich am Deutschen respektlos vorbeipresste und auf Platz drei vorfuhr. Erst später, durch einen minimal langsameren Stopp, verlor er den dritten Platz an Vettel, aber da war Hamilton längst enteilt.
Während Bottas von Platz neun konstant nach vorn drängte, profitierte der Finne auch im Finish vom Pech der Ferrari, die sich beide Reifenschäden einfingen: Räikkönen drei Runden vor Schluss, doch er konnte sich noch auf Platz drei ins Ziel retten; Vettel aber im vorletzten Umlauf in Luffield, wonach er noch mehr als eine halbe Runde mit einem platten linken Vorderreifen an die Box humpeln musste und bis auf Rang sieben zurückfiel. „Das kam ohne Vorwarnung. Das Auto war an sich sehr gut. Deshalb würde ich nicht von einem Desaster sprechen“, sagte der Ex-Champion.
Vettels Pech und Hamiltons Sieg sind Würze für den WM-Titelkampf: Es steht nur noch 177:176 für den Ferrari-Star, und Bottas ist mit 154 Zählern weiter im Rennen. „Ich bin glücklich, denn es war nicht leicht, durchs Feld zu fahren. Platz zwei ist das Optimum heute, das ich nicht erwarten durfte“, sagte Bottas. Räikkönens Miene war noch saurer als sonst: „Wir haben aus dem Auto hier herausgeholt, was ging. Leider hatten wir am Ende auch Pech. Aber was soll’s, es ist besser als gar nichts“, meinte er lakonisch.
Für Red Bull erfüllte sich die Hoffnung von Motorsportchef Helmut Marko („Ohne Regen sind wir chancenlos“) auf nasse Verhältnisse nicht, doch waren die Plätze vier und fünf fast mehr, als zu erwarten war. Verstappen blieb endlich von technischen Problemen verschont. Ricciardo fuhr ein sensationelles Rennen: Nach Getriebewechsel und Turboschaden in der Qualifikation nur neben Alonso aus der letzten Reihe gestartet, lag der Australier kurz nach dem Start schon auf Platz 13, schlitterte neben die Piste, war wieder Letzter und pflügte dann bis auf Rang fünf durch die Konkurrenz: „Das war das Maximum heute“, meinte der Australier zufrieden.
Konträr lief es beim Juniorteam Toro Rosso: Sainz und Kwjat kollidierten in der Startphase, der Russe erhielt dafür eine Durchfahrtsstrafe. Das Klima, durch Sainz’ Unzufriedenheit und Abwanderungsgelüste (zu Renault) ohnedies vergiftet, erreichte in England den Tiefpunkt. Trotz Beteuerung, Sainz könne Toro Rosso nicht verlassen, scheint eine Trennung – und damit ein F1-Debüt von RedBull-Junior Pierre Gasly – bald möglich.
Gewonnen hat auf jeden Fall Silverstone: 344.500 Zuschauer an vier Tagen sind ein Statement, den britischen GP nicht zu verlieren.