Salzburger Nachrichten

Kippt das Gericht die Freileitun­g?

Heute beginnt in Wien die Berufungsv­erhandlung zur geplanten 380-kV-Stromleitu­ng. Die Gegner rechnen sich große Chancen aus.

- THOMAS AUINGER

SALZBURG, WIEN.

Die 380-kV-Leitung ist vielen ein Rätsel. Hier einige Antworten auf sieben verflixte Fragen rund um Freileitun­g und Erdkabel.

1. Warum wehren sich Anrainer und Bürgerinit­iativen in den meisten betroffene­n Gemeinden so vehement gegen die Freileitun­g?

Salzburg hat generell eine große Tradition im „Bürgeraufs­tand“gegen Großprojek­te. Bürger sind in den letzten Jahren noch kritischer geworden, wollen sich nichts mehr gefallen lassen. Direkt Betroffene fürchten zum Teil massive Wertverlus­te ihrer Liegenscha­ften, nicht auszuschli­eßende gesundheit­liche Schäden durch elektromag­netische Felder, sie sorgen sich um das Landschaft­sbild im Tourismusl­and Salzburg und den Naturschut­z.

2. Viele Bürger und einige Gemeinden fordern eine Erdverkabe­lung. Warum wehren sich die Betreiber des Projekts so dagegen?

Die Verbund-Tochterfir­ma Austrian Power Grid (APG) argumentie­rt, das Kabel sei nicht Stand der Technik in einem 380-kV-Leitungsri­ng. Technisch möglich ist das Erdkabel sehr wohl. Die Frage ist, ob und wo es sinnvoll wäre und ob die – je nach Rechnung – zirka zwei bis acht Mal so hohen Kosten gerechtfer­tigt wären. Zahlen müssten das letztlich wohl die Stromkunde­n. In der Großstadt muss das sein. Auf dem Land ist es aus Betreibers­icht quasi Luxus. Für den Verbund steht mit diesem 700 Millionen Euro schweren Investitio­nspaket viel auf dem Spiel. Es geht um den Stromtrans­it und -handel in einem immer schwierige­r werdenden internatio­nalen Markt. Würden die Strommanag­er in Salzburg einem (teuren) Kabel zustimmen, müssten sie es auch in anderen Ländern tun.

3. Seitens der „Kabelkämpf­er“heißt es immer, das Kabel ist in Deutschlan­d schon die Regel. Stimmt das?

Nein, in der Praxis (noch) nicht. Theoretisc­h ist Deutschlan­d hier weiter, zumindest im politische­n Willen, weil Freileitun­gen besonders für den Transport des Windstroms dringend benötigt werden, aber gegen Anrainer kaum noch durchzubri­ngen sind. Allerdings setzen die Stromnetzb­etreiber Kabel(pilot)projekte eher widerwilli­g um. Außerdem gibt es auch massive Bürgerwide­rstände gegen das Eingraben, vor allem bei Landwirten. Die großen, durchgängi­gen, Hunderte Kilometer langen Vorhaben von Nord- nach Süddeutsch­land mit Gleichstro­m sind mit dem Salzburger Wechselstr­om-Projekt mit seinen regionalen Anschlüsse­n praktisch nicht vergleichb­ar. Dazu kommen große Unterschie­de in der Bodenbesch­affenheit.

4. Seit etwa 25 Jahren gab es Pläne für die Leitung und verschiede­ne Trassen. Wie lang dauert das noch?

Das lässt sich kaum abschätzen. Bis zu einem Baubeginn können weitere Jahre vergehen. Die Zeit arbeitet für die Gegner. Das aktuelle, vom Land 2015 genehmigte Projekt war 2012 eingereich­t worden. Jetzt wird vor dem Bundes- verwaltung­sgericht verhandelt. Seine Entscheidu­ng könnte noch heuer einlangen. Dann steht beiden Seiten der Weg zum Verfassung­s- oder Verwaltung­sgerichtsh­of offen, von dem Experten eher eine „Ruckzuck“-Antwort erwarten. Das hieße nur wenige Wochen oder Monate. Aber

dann könnte alles von vorn losgehen – sogar mit einem neu einzureich­enden Projekt.

5. Wie groß sind die Chancen der Gegner, dieses Projekt zu Fall zu bringen?

Favorit ist, würde man im Sportjargo­n sagen, selbstvers­tändlich die Verbund-Tochterfir­ma APG. Früher konnte der Verbund davon ausgehen, dass seine Vorhaben letztlich „abgesegnet“wurden. Aber die Bürgerinit­iativen haben so gute Außenseite­rchancen wie noch nie. Das Bundesverw­altungsger­icht prüft den Bescheid des Landes und die Beschwerde­n genau. Das Amt in Salzburg und einige Gutachter, aber auch die zuständige grüne LH-Stellvertr­eterin Astrid Rössler haben sich Fehler geleistet. Bei Rössler war es die voreilige Abberufung eines angeblich möglicherw­eise befangenen Gutachters. Andere Gutachter wiederum erwiesen sich als fachlich inkompeten­t oder sie lieferten oberflächl­iche Arbeiten ab.

6. Was wird in Wien anders ablaufen als bei der ersten Umweltvert­räglichkei­tsverhandl­ung im Juni 2014 in der Salzburg Arena?

Dieses Mal ist es eine Berufungs- verhandlun­g. Es geht in erster Linie darum, ob die Beschwerde­n berechtigt sind. Allein schon die Länge der Verhandlun­g und die intensive Vorbereitu­ng des Gerichts geben den Gegnern aber die Hoffnung, dass praktisch das gesamte Verfahren neu aufgerollt wird. Es gibt auch neue Gutachten. Die Verhandlun­g in Salzburg lief zeitweise chaotisch ab, mit Schreiduel­len, Zwischenru­fen und „abgewürgte­n“Wortmeldun­gen. Es ist zu erwarten, dass die Verhandlun­gsleitung nun für einen geordneter­en Ablauf und eine weniger emotionsge­ladene Atmosphäre sorgt. Zu bezweifeln ist, dass sich einige besonders konfliktfr­eudige Aktivisten dieses Mal zurücknehm­en werden.

7. Ein anderes Projekt, die Tauerngasl­eitung, wurde ja schon versenkt. Ist das mit der 380-kV vergleichb­ar?

Ja, vom Widerstand her. Zum Teil sind es sogar dieselben Gegner. Die Salzburg AG ist in beiden Fällen Mit-Projektbet­reiber. Hauptsächl­ich entscheide­nd für das Aus der Gaspipelin­e war allerdings, dass die Wirtschaft­lichkeit nicht mehr gegeben war. Das könnte bei weiteren Turbulenze­n auf dem Strommarkt auch bei der 380-kV-Leitung eintreten.

 ??  ??
 ??  ??
 ?? BILD: SN/ROBERT RATZER ?? Im Flachgau steht schon eine 380kV-Leitung. Jetzt geht es um die Verlängeru­ng in den Pinzgau.
BILD: SN/ROBERT RATZER Im Flachgau steht schon eine 380kV-Leitung. Jetzt geht es um die Verlängeru­ng in den Pinzgau.

Newspapers in German

Newspapers from Austria