Kippt das Gericht die Freileitung?
Heute beginnt in Wien die Berufungsverhandlung zur geplanten 380-kV-Stromleitung. Die Gegner rechnen sich große Chancen aus.
SALZBURG, WIEN.
Die 380-kV-Leitung ist vielen ein Rätsel. Hier einige Antworten auf sieben verflixte Fragen rund um Freileitung und Erdkabel.
1. Warum wehren sich Anrainer und Bürgerinitiativen in den meisten betroffenen Gemeinden so vehement gegen die Freileitung?
Salzburg hat generell eine große Tradition im „Bürgeraufstand“gegen Großprojekte. Bürger sind in den letzten Jahren noch kritischer geworden, wollen sich nichts mehr gefallen lassen. Direkt Betroffene fürchten zum Teil massive Wertverluste ihrer Liegenschaften, nicht auszuschließende gesundheitliche Schäden durch elektromagnetische Felder, sie sorgen sich um das Landschaftsbild im Tourismusland Salzburg und den Naturschutz.
2. Viele Bürger und einige Gemeinden fordern eine Erdverkabelung. Warum wehren sich die Betreiber des Projekts so dagegen?
Die Verbund-Tochterfirma Austrian Power Grid (APG) argumentiert, das Kabel sei nicht Stand der Technik in einem 380-kV-Leitungsring. Technisch möglich ist das Erdkabel sehr wohl. Die Frage ist, ob und wo es sinnvoll wäre und ob die – je nach Rechnung – zirka zwei bis acht Mal so hohen Kosten gerechtfertigt wären. Zahlen müssten das letztlich wohl die Stromkunden. In der Großstadt muss das sein. Auf dem Land ist es aus Betreibersicht quasi Luxus. Für den Verbund steht mit diesem 700 Millionen Euro schweren Investitionspaket viel auf dem Spiel. Es geht um den Stromtransit und -handel in einem immer schwieriger werdenden internationalen Markt. Würden die Strommanager in Salzburg einem (teuren) Kabel zustimmen, müssten sie es auch in anderen Ländern tun.
3. Seitens der „Kabelkämpfer“heißt es immer, das Kabel ist in Deutschland schon die Regel. Stimmt das?
Nein, in der Praxis (noch) nicht. Theoretisch ist Deutschland hier weiter, zumindest im politischen Willen, weil Freileitungen besonders für den Transport des Windstroms dringend benötigt werden, aber gegen Anrainer kaum noch durchzubringen sind. Allerdings setzen die Stromnetzbetreiber Kabel(pilot)projekte eher widerwillig um. Außerdem gibt es auch massive Bürgerwiderstände gegen das Eingraben, vor allem bei Landwirten. Die großen, durchgängigen, Hunderte Kilometer langen Vorhaben von Nord- nach Süddeutschland mit Gleichstrom sind mit dem Salzburger Wechselstrom-Projekt mit seinen regionalen Anschlüssen praktisch nicht vergleichbar. Dazu kommen große Unterschiede in der Bodenbeschaffenheit.
4. Seit etwa 25 Jahren gab es Pläne für die Leitung und verschiedene Trassen. Wie lang dauert das noch?
Das lässt sich kaum abschätzen. Bis zu einem Baubeginn können weitere Jahre vergehen. Die Zeit arbeitet für die Gegner. Das aktuelle, vom Land 2015 genehmigte Projekt war 2012 eingereicht worden. Jetzt wird vor dem Bundes- verwaltungsgericht verhandelt. Seine Entscheidung könnte noch heuer einlangen. Dann steht beiden Seiten der Weg zum Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof offen, von dem Experten eher eine „Ruckzuck“-Antwort erwarten. Das hieße nur wenige Wochen oder Monate. Aber
dann könnte alles von vorn losgehen – sogar mit einem neu einzureichenden Projekt.
5. Wie groß sind die Chancen der Gegner, dieses Projekt zu Fall zu bringen?
Favorit ist, würde man im Sportjargon sagen, selbstverständlich die Verbund-Tochterfirma APG. Früher konnte der Verbund davon ausgehen, dass seine Vorhaben letztlich „abgesegnet“wurden. Aber die Bürgerinitiativen haben so gute Außenseiterchancen wie noch nie. Das Bundesverwaltungsgericht prüft den Bescheid des Landes und die Beschwerden genau. Das Amt in Salzburg und einige Gutachter, aber auch die zuständige grüne LH-Stellvertreterin Astrid Rössler haben sich Fehler geleistet. Bei Rössler war es die voreilige Abberufung eines angeblich möglicherweise befangenen Gutachters. Andere Gutachter wiederum erwiesen sich als fachlich inkompetent oder sie lieferten oberflächliche Arbeiten ab.
6. Was wird in Wien anders ablaufen als bei der ersten Umweltverträglichkeitsverhandlung im Juni 2014 in der Salzburg Arena?
Dieses Mal ist es eine Berufungs- verhandlung. Es geht in erster Linie darum, ob die Beschwerden berechtigt sind. Allein schon die Länge der Verhandlung und die intensive Vorbereitung des Gerichts geben den Gegnern aber die Hoffnung, dass praktisch das gesamte Verfahren neu aufgerollt wird. Es gibt auch neue Gutachten. Die Verhandlung in Salzburg lief zeitweise chaotisch ab, mit Schreiduellen, Zwischenrufen und „abgewürgten“Wortmeldungen. Es ist zu erwarten, dass die Verhandlungsleitung nun für einen geordneteren Ablauf und eine weniger emotionsgeladene Atmosphäre sorgt. Zu bezweifeln ist, dass sich einige besonders konfliktfreudige Aktivisten dieses Mal zurücknehmen werden.
7. Ein anderes Projekt, die Tauerngasleitung, wurde ja schon versenkt. Ist das mit der 380-kV vergleichbar?
Ja, vom Widerstand her. Zum Teil sind es sogar dieselben Gegner. Die Salzburg AG ist in beiden Fällen Mit-Projektbetreiber. Hauptsächlich entscheidend für das Aus der Gaspipeline war allerdings, dass die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben war. Das könnte bei weiteren Turbulenzen auf dem Strommarkt auch bei der 380-kV-Leitung eintreten.