547 Domspatzen waren Opfer
Körperliche und sexuelle Gewalt: Der Skandal in dem katholischen Knabenchor hat größere Ausmaße als bisher bekannt. Ehemalige Mitglieder finden deutliche Worte.
Ein weltberühmter katholischer Knabenchor als „Hölle“, „Gefängnis“und „Konzentrationslager“: So drastisch beschrieben ehemalige Mitglieder der Regensburger Domspatzen ihre Zeit in dem Chor. Das sagte Ulrich Weber, der zur Aufarbeitung des Missbrauchskandals eingesetzte Anwalt, am Dienstag bei der Vorlage seines Abschlussberichts. 547 Kinder wurden Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt.
Weber arbeitete in den vergangenen zwei Jahren als unabhängiger Gutachter den Skandal auf, der schon 2010 bekannt wurde. Dass dies nicht schon früher erfolgte, lastete der Rechtsanwalt auch dem ehemaligen Regensburger Bischof und jetzigen Kardinal Gerhard Ludwig Müller an. Dieser sei für die Schwächen der Aufarbeitung verantwortlich – etwa einen fehlenden Dialog mit den Opfern. Einen Zusammenhang mit der Entlassung Müllers als Chef der Glaubenskongregation sieht er aber nicht – Papst Franziskus habe von dem Abschlussbericht im Vorfeld zumindest keine Kenntnis haben können.
Dem langjährigen Chorleiter und Bruder von Papst Benedikt XVI., Georg Ratzinger, warf Weber ein „Wegschauen“vor der körperlichen Gewalt vor. Es hätten sich keine Erkenntnisse ergeben, dass Ratzinger auch von sexueller Gewalt gewusst habe. Ratzinger sei von den für die Untersuchung befragten ehemaligen Domspatzen positiv wie negativ beschrieben worden. Der von 1964 bis 1994 an der Spitze des Chors stehende Ratzinger sei „sehr ehrgeizig“gewesen hinsichtlich der Leistung des Chors und habe wohl den Blick für die Gesamtverantwortung für die Kinder verloren.
Dem Abschlussbericht zufolge wurden jahrzehntelang insgesamt 547 Kinder zu Opfern: Demnach erlitten 500 Kinder körperliche Gewalt, 67 Kinder auch sexuelle Gewalt. Da einige Kinder sowohl körperliche wie auch sexuelle Gewalt erlitten, liegt die Zahl der Fälle laut Weber über den insgesamt betroffenen 547 Fällen. Es gebe aber eine Dunkelziffer, er gehe von mindestens 700 Opfern aus. Besonders in der Vorschule des Chors seien die Übergriffe umfassend gewesen. Laut Weber wurden 49 Beschuldigte identifiziert. Es seien aber alle Taten nach dem Strafrecht verjährt, eine Strafverfolgung sei nicht mehr möglich. Weber sprach von einer „Kultur des Schweigens“, die Institution sollte vor Rufschädigung geschützt werden. So habe auch eine frühe kritische Medienberichterstattung zu keinerlei Konsequenzen geführt.
Verantwortliche des Bistums teilten mit: „Wir haben alle Fehler gemacht und haben viel gelernt.“Das Bistum könne nur um Entschuldigung bitten. Rechtsanwalt Weber bestätigte den Domspatzen, dass die organisatorischen Schwächen behoben worden seien und es eine „zeitgemäße Pädagogik“sowie eine „hohe Sensibilisierung“gebe.