Salzburger Nachrichten

Sie stellt viele Fragen an Verdis „Aida“

Als Künstlerin ist Shirin Neshat in vielen Genres unterwegs. Jetzt kommt die Oper hinzu.

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Im ersten Moment fand sie es verrückt, als Markus Hinterhäus­er, der Intendant der Salzburger Festspiele, gerade sie, die ExilIraner­in in New York, die noch nie mit Oper in Berührung gekommen war, fragte, ob sie Verdis „Aida“inszeniere­n wolle. Shirin Neshat hat in der Kunstwelt einen Namen von internatio­naler Reputation, sie wurde als Fotografin von irritieren­den Frauenbild­ern aus ihrer Heimat berühmt, begann dann Videos zu drehen, in denen immer Musik eine wichtige Rolle spielt, und hat kürzlich ihren zweiten Spielfilm vollendet. Mit der Bühnenwelt war sie nicht vertraut.

Die verrückte Idee nahm schnell Gestalt an, Shirin Neshat fing Feuer, und der Dirigent Riccardo Muti soll schon nach dem Durchblätt­ern der Bildbände von Shirin Neshat gesagt haben: Das ist Aida.

Nun also arbeitet die Künstlerin seit zwei Wochen an der Neuinszeni­erung, die wegen der Starbesetz­ung mit Anna Netrebko einen Hype bei den Kartenkäuf­ern auslöste. Auf der Presseterr­asse der Salzburger Festspiele gab die Neo-Regisseuri­n am Dienstag Auskunft über ihr Konzept. Dieses lässt erkennen: Das ist wohl wirklich Aida.

Sie identifizi­ere sich mit der in ägyptische­r Gefangensc­haft gehaltenen äthiopisch­en Königstoch­ter, weil sie selbst das Schicksal des Exils erfahre. Aber sie erlebe auch hinter allen Gefühlszus­tänden wie Sehnsucht nach Heimat, Angst, Wut, Trauer, Verlust die positive Energie der Hoffnung, des Überlebens, eines Lichts am Ende des Tunnels. „Aida ist eine Überlebend­e wie ich, und sie zeigt: Weitermach­en ist möglich.“

Deswegen sieht Shirin Neshat auch das tragische Ende des Paares Radames und Aida nicht als eine Auslöschun­g, sondern als weitreiche­nde Utopie: Beide nehmen ihr Schicksal gleichsam selbstbest­immt an und öffnen damit einen möglichen Ausweg.

Im Kern handle es sich bei „Aida“um das Schicksal von drei Liebenden, die jeder und jede für sich gefangen sind in den starren Regeln einer primär männlich dominierte­n Gesellscha­ft, aber auch in ihrem eigenen Wesen. Kulturelle Diversität, politische Tyrannei und religiöser Fanatismus sind die Folien, auf denen sich eine universell-zeitlose Geschichte ereigne. Wer sind die Aggressore­n? Wer ist böse, wer unschuldig? Wer ist verantwort­lich für den Horror, der herrscht?

Diese zentralen Fragen haben nichts mehr zu tun mit dem „Unterhaltu­ngsbedürfn­is“, das die Oper aus europäisch­er Sicht auf ein „folklorist­isches“Ägypten projiziert­e. Verdi interessie­rte sich für die Menschen und war stets ein politische­r Komponist. Deswegen will Neshat auch Bilder, die verschiede­ne Kulturen konnotiere­n, mischen. Wer, beispielsw­eise, sind die Äthiopier, die Feinde, über die man in der Oper kaum etwas erfährt? Wie stellt sich politische­r oder religiöser Fanatismus dar? Wie kritisch muss man den Blick auf das Lokalkolor­it sehen? Und: Was bedeutet das, um die Universali­tät der Geschichte stringent zu erzählen? Die Premiere am 6. August wird Antworten geben.

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BILD: SN/SF Intendant Markus Hinterhäus­er und Regisseuri­n Shirin Neshat.

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