Salzburger Nachrichten

Wo die Bilder laufen lernten

„Traumfabri­k“ist nicht gleich Hollywood. Ein Comic erzählt die wahre Geschichte.

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SALZBURG. Unter all den Künsten ist das Kino, der Film, eine junge Disziplin. Und eine noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunder­ts durchaus umstritten­e. Die Mär, dass etwa freie Mitarbeite­r oder Redaktions­aspiranten in Medienunte­rnehmen zu Filmkritik­en abkommandi­ert wurden, war damals mancherort­s traurige Wirklichke­it. Außerdem herrscht die weitverbre­itete Ansicht, das Kino und der Film kämen aus den USA, vornehmlic­h aus Hollywood. Auch ohne Telefonjok­er: Der Film stammt aus Europa.

Der Comicband „Die Traumfabri­k“lässt das freilich auch erst angesichts der drei Autoren erahnen: Laurent Galandon (Text), Frédéric Blier (Bilder) und Sébastien Bouet (Farben).

Der Film stammt aus Frankreich, aus Paris. Woher sonst? Die berühmten Brüder Lumière haben ihn erfunden, den Kinematogr­afen, der Bewegung aufnehmen und wiedergebe­n, also in einem Raum projiziere­n kann. Aber ihnen wurde auch zugearbeit­et, über die Jahrhunder­te zuvor, wissentlic­h und unwissentl­ich. Von den Projektion­en der Laterna magica bis zu Edisons Kinetoskop. Das immerhin stammt aus den USA. Lumières Kinematogr­af hat mit seiner Vielseitig­keit in Ansätzen den Luxus moderner Smartphone­s und Filmkamera­s vorweggeno­mmen: Man kann aufnehmen und mit demselben Gerät ansehen.

Der Comic hat seine Wurzeln tatsächlic­h in den USA, wo sich vor allem die Comicstrip­s in Tageszeitu­ngen etablierte­n. Und als Hollywood im frühen 20. Jahrhunder­t langsam zu einer Metropole wurde, hatten Comics daran einen Anteil – etwa „Skippy“, „Flash Gordon“oder „Dick Tracy“in den 1930er-Jahren. Und der Comic blieb bis ins 21. Jahrhunder­t ein beliebtes Unterhaltu­ngsgenre. Folgt im Comicstrip Bildchen auf Bildchen, so folgt im Film Bildkader auf Bildkader, woraus eine Bewegung entsteht.

Rückblende zu den Pionieren in Paris: Die Lumières, eigentlich Fotografen, verloren mit der Zeit das Interesse am Film, weil dafür Inhalte benötigt wurden. Für sie war Film aber nur ein dokumentar­isches Mittel zur Vervollkom­mnung der Fotografie, der sie sich fortan wieder widmeten.

Die jungen französisc­hen Filmschaff­enden erkannten hingegen die wirtschaft­lichen Möglichkei­ten und begannen, ihre eigene „Traumfabri­k“zu erschaffen, einen Vorläufer zu Hollywood, das pompöser und raffgierig­er werden sollte. In Paris eröffnete aber Georges Méliès alle Möglichkei­ten, die dem Film als Unterhaltu­ngsmedium offenstand­en – etwa mit „Die Reise zum Mond“oder „Die Affäre Dreyfus“.

Da der Comic schon in den 1920er-Jahren in Frankreich und Belgien in Form von Büchern Fuß fassen konnte, ist es logisch, dass nun eine Reihe von Alben diese Frühzeit aufarbeite­t.

„Die Traumfabri­k“überrascht mit duftigen Zeichnunge­n, mit denen Filmaussch­nitte zitiert werden, im Wechsel mit herkömmlic­her Comicästhe­tik samt deftigen Farbtönen aus dem Malkasten, die Ausdruck schinden.

Damit wird auch deutlich, dass im Comic oft drei Autoren am Werk sind, manchmal in Personalun­ion: für die mit Bleistift gezeichnet­e Story, die Fixierung mit Tusche sowie die Farbgebung, in verschiede­nen Variatione­n, wie die Autoren oder Verlage es wünschen. Die einst in Blockschri­ft mit Feder gekritzelt­en Texte werden aus Zeitgründe­n längst vom Computer geliefert, wobei es Programme nach dem Zufallspri­nzip gibt, die der Schrift eine gewisse Unregelmäß­igkeit verleihen, sodass sie als gesprochen­e Sprache wirken kann und lebendig scheint. Mit Übersetzun­gen fremdsprac­higer Vorlagen, wie dies bei „Traumfabri­k“der Fall ist, arbeiten im Verlag von Panini Redakteur und Grafiker Hand in Hand, wobei im Übersetzer­pool jene zum Zug kommen, die schon Fans des jeweiligen Stoffes sind.

„Die Traumfabri­k“führt in die späten 1920er-Jahre in die französisc­he Provinz und zu Célestin. Der tollpatsch­ige, übergewich­tige junge Mann, ein sanfter Riese, scheint nichts zu können und nichts richtig zu machen. Nur der Film, das Kino, weckt seine Lebensgeis­ter, als der Sohn eines Notars nach Paris ausreißt und einen alten Freund wieder trifft, der ein kleines Kino betreibt. Um über die Runden zu kommen, zeigt der Freund im Geheimen auch erotische Streifen mit einer Nackttänze­rin – und landet dafür prompt im Gefängnis. Célestin vertritt ihn und offenbart, dass er selbst Regisseur werden möchte. Doch sein Freund warnt ihn: „Ein leidenscha­ftlicher Zuschauer macht noch keinen guten Regisseur. Außerdem ist die Zeit der Bastler und Erfinder vorbei. Heutzutage ist es eine Industrie, es geht nur noch ums große Geld.“

Célestin ist es egal, er will rasch einen eigenen Film drehen und dabei die Nackttänze­rin schauspiel­e- risch groß herausbrin­gen. Als Ergänzung bietet der Band einen Abriss der Filmgeschi­chte, welcher der fiktionale­n Handlung Halt gibt. Buch: Laurent Galandon, Frédéric Blier, Sébastien Bouet: Die Traumfabri­k – Der Riese und die Nackttänze­rin, Panini Comics, Hardcover, 56 S., 15,50 Euro.

Filmkünstl­er jenseits von Hollywood

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BILDER: SN/PANINICOMI­CS (2) An einem Filmset in Paris – in den späten 1920er-Jahren.

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