EU-Kommission wendet sich gegen Polens Justizreform
Frans Timmermans, der Vizepräsident der Kommission, warnt: Die geplanten Maßnahmen würden die Rechtsprechung der kompletten Kontrolle der Regierung unterstellen.
BRÜSSEL, WARSCHAU. Die EU-Kommission hat Polens Regierung zu einem sofortigen Stopp ihrer umstrittenen Justizreform aufgefordert. „Die jüngsten Maßnahmen der polnischen Verantwortlichen verstärken die Gefahr für den Rechtsstaat noch einmal ganz erheblich“, sagte Vizepräsident Frans Timmermans am Mittwoch in Brüssel. Sollten die Gesetze in Kraft treten, werde die Kommission reagieren. Als Konsequenz könnte die EU-Kommission erstmals ein Verfahren nach Art. 7 des EU-Vertrags einleiten. Dieser sieht bei „schwerwiegender und anhaltender Verletzung“der im Vertrag verankerten Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedsstaats vor. Seit Anfang 2016 läuft gegen Polen wegen einer umstrittenen Reform des Verfassungsgerichts bereits ein Rechtsstaatsverfahren.
Vorige Woche hat das Parlament ein Gesetz zur Reform des Landesrichterrats, eines Verfassungsorgans zur Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz, verabschiedet. Es sieht die Entlassung der Landesrichterräte sowie größeren Regierungseinfluss bei der Wahl ihrer Nachfolger vor. Ein weiteres Gesetzesprojekt zielt auf das Oberste Gericht ab: Nur von der Regierung handverlesene Richter würden im Amt bleiben. Alle Maßnahmen zusammen würden die Rechtsprechung unter volle Kontrolle der Regierung stellen, warnte Timmermans.
WARSCHAU. Bisher galt Polens Präsident Andrzej Duda in Polen vielen Menschen als bloße Marionette des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński. Doch jetzt hat der Präsident alle überrascht – offenbar auch die PiS, die von dessen Plänen nichts gewusst haben soll: Am frühen Dienstagabend trat der Staatschef vor die Presse und kündigte an, dass er ein Veto gegen das Gesetz über den Obersten Gerichtshof einlegen werde, sollte seine Bedingung nicht erfüllt werden. Er forderte, dass ein bereits vorige Woche vom Parlament verabschiedetes Gesetz überarbeitet werde.
Doch die Forderung des Präsidenten stoppt die umstrittene Justizreform nach dem Eindruck politischer Beobachter keineswegs. Sie wird dadurch höchstens leicht entschärft. Der Präsident fordert eine Änderung des Gesetzes über den Landesgerichtsrat (KRS). Dieser wählt die Kandidaten aus, die der Präsident dann zu Richtern ernennt. Der Rat setzt sich derzeit aus 25 Personen zusammen, 15 davon werden von der richterlichen Selbstverwaltung gewählt.
In Zukunft soll jedoch der Sejm, die erste Kammer des Parlaments, die 15 Richter bestimmen, nicht mehr die richterliche Selbstverwaltung. Ein entsprechendes Gesetz hat die PiS vorige Woche verabschiedet. Die weiteren zehn Mitglieder stellt schon jetzt die Politik. Damit würde die Kammer bei jetzigem Kräfteverhältnis im Parlament zu einem Instrument der regierenden PiS werden. Sie könnte ihr treu ergebene Richter in den KRS bringen und über diesen wiederum die Gerichte besetzen.
Doch nun fordert Präsident Duda eine Änderung dieses Gesetzes: Drei Fünftel der Stimmen im Sejm sollen nötig sein, um einen Richter in das Gremium zu wählen, fordert er. Damit könnten die Richter im KRS nicht mehr allein von Kaczyński und seiner Partei bestimmt werden. Man müsste sich dann mit der Opposition verständigen. Insofern würde der Vorstoß die Folgen des Gesetzes über den KRS tatsächlich abmildern.
„Dieser Entwurf soll Behauptungen vorbeugen, dass der KRS nur durch eine Partei vereinnahmt wird und deshalb unter einem Diktat der Politik arbeitet“, erklärte Duda. Ein solcher Eindruck dürfe nicht in der polnischen Gesellschaft entstehen.
Doch zu viel Euphorie ist nach Ansicht von Analysten nicht angebracht. Die Richtervereinigung „Iustitia“gab am Dienstag eine Stellungnahme heraus, in der sie davor warnte, dass das Gesetz auch unter diesen Bedingungen gegen die Verfassung verstößt.
Hinzu kommt: Auf dem Schreibtisch des polnischen Präsidenten liegt noch ein weiteres Gesetz. Dieses ermöglicht es dem Justizminister, die Gerichtspräsidenten jedes ordentlichen Gerichts zu ernennen oder abzusetzen und solcherart Druck auf die Gerichte auszuüben. Duda kritisierte dieses Gesetzesvorhaben freilich nicht.
Noch entscheidender aber ist, dass er bereit ist, das höchst umstrittene Gesetz über das Oberste Gericht in Polen zu unterschreiben, wenn seine Bedingungen erfüllt werden. Von allen drei Gesetzen dürfte dieses die größte Gefahr für den Rechtsstaat darstellen: Denn es sieht vor, dass alle bisherigen Richter des Obersten Gerichts in den Ruhestand versetzt werden können.
Das Oberste Gericht ist die höchste Instanz in Polen und entscheidet etwa über die Rechtmäßigkeit von Wahlen. Das Gesetz sieht auch die Ernennung einer Disziplinarkammer vor, die sich mit Disziplinarverfahren gegen Richter beschäftigt. Der Justizminister wird künftig Einfluss auf die Kammer nehmen können, das heißt in der Lage sein, Verfahren zu stoppen oder zu erneuern. Auch hier droht eine Einflussnahme auf die Justiz.
Insgesamt sei dem Vorstoß Dudas also nicht allzu viel Bedeutung beizumessen, merken zahlreiche politische Beobachter in Polen an. Vor allen Dingen dürfte es dem Präsidenten mit diesem publikumswirksamen Vorstoß gelungen sein, seinen Ruf etwas aufzubessern. Denn er hat getan, was ihm bisher kaum jemand zugetraut hätte, und sich dem mächtigen Parteivorsitzenden Kaczyński zumindest ein Stück weit entgegengestellt. Und die Opposition hat ein Argument weniger gegen das Gesetz über die umstrittene Justizreform: Man ist ihr ja entgegengekommen; der KRS wird nicht mehr allein von einer Partei besetzt.