Salzburger Nachrichten

Technik allein bringt noch keinen Wandel

In Echtzeit wird ersichtlic­h, wie gut oder schlecht eine Maschine produziert. Ein Start-up aus Zell am See hat das Werkzeug hierfür entwickelt. Doch ohne Menschen, ihre Erfahrung, Wissen und Kreativitä­t bringt das wenig.

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In Echtzeit wird ersichtlic­h, wie gut oder schlecht eine Maschine produziert. Ein Start-up aus Zell am See hat das Werkzeug hierfür entwickelt. Doch ohne Menschen, ihre Erfahrung und Kreativitä­t bringt das wenig.

Industrie 4.0, diesen Ausdruck vermeidet Eric-Jan Kaak. Der frühere Chef der Informatio­nstechnik (CIO) der Tecnica-Gruppe, zu der auch Blizzard gehört, hat die Seiten gewechselt und unterstütz­t jetzt beim Pinzgauer Start-up IcoSense andere Firmen im Wandel Richtung – ja, was eigentlich, wenn 4.0 als Synonym für die technische Revolution nicht taugt? „4.0 sagt doch nichts aus. Es steckt oft nicht mehr als eine weitere Digitalisi­erung dahinter“, betont Kaak, er spricht lieber vom Industrial Internet of Things, also vom Internet der Dinge in der Industrie.

Kaak hat vor zwei Jahren den Führungspo­sten in einem Industriek­onzern gegen die Arbeit in einem Start-up auch deshalb eingetausc­ht, weil er gesehen hat, welch ein Bedarf an digitaler Unterstütz­ung in der Wirtschaft entsteht.

Das kleine Start-up mit zwölf Leuten in Zell am See hat ein Produkt (peak2pi) entwickelt, das den Prozesssta­tus bei einer Maschine in Echtzeit zeigt. Dabei werden relevante Maschinend­aten anhand eines digitalen Maschinena­usgangssig­nals aus der Produktion in Echtzeit und ohne großen Aufwand erfasst. Die Informatio­nen können auf den unterschie­dlichsten Geräten dargestell­t werden (Notebook, PC, Tablet, Smartphone).

Viele Unternehme­n arbeiten noch mit Maschinen ohne jede Digitalisi­erung. „Allein das Wissen, was die Probleme bei einer Maschine sind, sei es Materialve­rfügbarkei­t, Rüstzeit oder die Ausbildung der Mitarbeite­r, ist wertvoll, um schnell reagieren zu können“, betont Kaak. Üblicherwe­ise gelangen Berichte über Probleme bei Maschinen erst nach Wochen zu den Verantwort­lichen, dann ist es aber zu spät. Eine Problemdar­stellung in Echtzeit hingegen ermöglicht es, mit den Menschen vor Ort die Probleme zu lösen.

Kaak spricht es von sich aus an: „Natürlich macht dies etwas mit den Menschen, wenn ihre Arbeit unmittelba­r ausgewerte­t wird.“Darum funktionie­re das Einführen derartiger Systeme in Unternehme­n nicht, in denen Kontrolle und Misstrauen herrschten. „Dann denken die Menschen, sie würden noch mehr kontrollie­rt.“Der Trick sei, die Mitarbeite­r mitzunehme­n, „denn der Einzige, der wirklich versteht, was an einer Maschine passiert, ist der Mitarbeite­r, der an der Maschine arbeitet“.

Wer aber in Echtzeit Daten erfasst, aber dann zwölf Wochen braucht, um ein Problem zu analysiere­n, dem nützt das alles nichts. Das heißt, dass der Maschinenf­ührer ein Werkzeugse­t braucht, damit er die Probleme sofort lösen kann. Das heißt aber auch, dass Technik allein nie genügt, sondern dass immer auch eine Organisati­on und die Organisati­onsentwick­lung verändert werden müssen.

Das Interesse der mittelstän­dischen Unternehme­n am industriel­len Internet der Dinge ist sehr unterschie­dlich. Die einen sehen darin die Möglichkei­t, sich weiter gegenüber den Konkurrent­en zu differenzi­eren und dass man damit hochtechni­sche Servicelei­stungen anbieten kann. Andere wiederum wollen damit in Ruhe gelassen werden. Das Aufbrechen der eigenen Gedankenwe­lt sei schwierig, sagt Kaak. „Die Herausford­erung besteht darin, zu verstehen, dass die Welt, in der wir uns bewegen, komplexer wird. Aber die Menschen können mit Komplexitä­t schlecht umgehen.“Das Bildungssy­stem tue mit seinem Standardis­ierungswah­n das Seine dazu. Wenn alles standardis­iert werde, entstehe Mittelmaß. Auch in der Wirtschaft wüte die Zertifizie­rungs- und Standardis­ierungsmaf­ia. „Aber wenn es wirklich um etwas geht, dann kann nur der Mensch mit Kreativitä­t und Bauchgefüh­l helfen. Das bedeutet auch, dass alles, was vorher zu Tode ,vereffizie­ntiert‘ worden ist, aufgebroch­en werden muss, sonst kann ich die Komplexitä­t nicht aufbrechen.“

Der größte Fehler laut Kaak ist, dass Unternehme­r in der Vernet- zung eine erweiterte Effizienzs­teigerung sehen, aber nicht die tatsächlic­hen Möglichkei­ten. „Wenn der Kunde plötzlich nicht mehr für eine Maschine zahlt, sondern die Bezahlung von der produziert­en Menge abhängig ist, dann verdienen alle mehr.“An solchen Dingen arbeitet das Zeller Start-up. Wenn etwa der Maschinenb­auer die Daten der Maschinen seiner Kunden hat, kann man über künstliche Intelligen­z Muster erkennen. Zum Beispiel, dass der Kunde bald Probleme haben wird. Allerdings muss der Datenfluss hoch verschlüss­elt sein, vor allem, wenn Abrechnung­smodelle dahinterst­ecken.

Die Scheu der Unternehme­n hat auch etwas mit der Angst vor hohen Investitio­nskosten zu tun. Kaak gibt ein Beispiel eines Industrieu­nternehmen­s, das Probleme mit einem temperatur­kritischen Prozess hatte. Die Folge waren Qualitätsp­robleme. In 90 Prozent der Fälle war bei der Produktion die Temperatur zu hoch. Das Unternehme­n bekam ein 200.000 Euro teures Angebot zur Lösung dieses Problems. Als Alternativ­e wurden dann Sensorikmo­dule auf jede der 20 Maschinen in der Linie gepackt, die Arbeiter schalten aus, wenn die Sensorik anschlägt. Das alles hat zwei Wochen gedauert und 10.000 Euro gekostet. „Heute ist es möglich, für sehr wenig Geld kleine Prototypen zu bauen, viele Werkzeuge sind im offenen Netz zu finden und Minicomput­er sind heute enorm leistungss­tark“, betont Kaak.

Bei Workshops mit Unternehme­n zeigen die Zeller, wie schnell man Sensorikmo­dule in die CloudUmgeb­ung einbinden, wie man sie vernetzen und visualisie­ren kann. „Da waren Unternehme­r dabei, die haben innerhalb kürzester Zeit eine automatisi­erte, sprechende Eieruhr gebaut“, erzählt Kaak.

„Viele haben Probleme mit Komplexitä­t.“Eric-Jan Kaak, Coach

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BILD: SN/ZAPP2PHOTO - STOCK.ADOBE.COM Trotz aller digitaler Hilfe braucht es Menschen, um Probleme zu lösen.
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