Frischer Wind weht durch Saudi-Arabien
Der Druck des religiösen Establishments war groß. Trotzdem lassen saudische Behörden eine Minirock-Trägerin nach kurzem Verhör frei.
Der Druck des religiösen Establishments war groß. Trotzdem lassen saudische Behörden eine Minirock-Trägerin nach kurzem Verhör frei.
RIAD, LIMASSOL. Es waren – für saudische Verhältnisse – revolutionäre Bilder: Eine junge unverhüllte Araberin schlendert im Minirock durch die Altstadt des historischen Dorfs Ushayqir, der Heimat des saudischen Religionsstifters Mohammed Abdel Wahab. In einer anderen Kameraeinstelllung zeigt sich das Model mit dem Künstlernamen Khulood auf einer Düne in der Wüste, wo Khulood verträumt etwas Sand durch ihre Finger rieseln lässt.
Das via Snapchat und Twitter verbreitete Video spaltete das erzkonservative Wüstenkönigreich in Windeseile in zwei Lager: auf der einen Seite das religiöse Establishment, das harte Strafen für die „Ketzerin“verlangte, die mit „nackten Bildern“Millionen Muslime beleidigt habe. Für Frauen gelten in Saudi-Arabien strenge Kleidungsvorschriften. Lange Gewänder und bedeckte Haare sind in der Öffentlichkeit Pflicht. Nackte Schultern, Arme oder Beine sind verboten. Frauen brauchen in dem Land zum Arbeiten und Heiraten die Erlaubnis eines männlichen Vormunds.
Die Mehrheit der saudischen Bevölkerung, deren Durchschnittsalter unter 30 Jahren liegt, dürfte allerdings mit Khulood sympathisieren. Aber nur wenige wagten es, die junge Frau im Minirock öffentlich und mit vollen Namen zu verteidigen. Kaum jemand erlaubte sich , die weitverbreitete Doppelmoral der saudischen Gesellschaft zu kritisieren.
Entsetzt nahmen sie zur Kenntnis, dass Khulood am vergangenen Dienstag verhaftet und auf einer Polizeistation verhört wurde. Die Frau werde ihrer „gerechten Strafe“zugeführt, freuten sich die Religiösen, deren Vorstellung von „individueller Freiheit“durch ein pechschwarzes Gewand, das bis zum Boden reicht, begrenzt werden muss.
Doch dann geschah das schier Unglaubliche: Khulood durfte nach kurzer Befragung die Polizeistation als freier Mensch verlassen. Es wird keine Anklage gegen sie erhoben. Der Akt sei geschlossen worden, ließ das Informationsministerium in Riad am Mittwochabend mitteilen. Die Frau habe gestanden, unverhüllt und im Minirock spazieren gegangen zu sein. Allerdings seien die Aufnahmen „ohne ihr Wissen ins Netz gestellt worden“.
Es ist eine erstaunliche Entscheidung in einem Land, in dem verschleierte Frauen, die in den vergangenen Jahren für das Recht, Auto fahren zu dürfen, demonstrierten, verprügelt und oft tagelang von der Polizei festgehalten wurden – ehe sie demonstrativ „in die Obhut ihrer Männer“entlassen wurden. Khulood, so scheint es, wurde nicht einmal ermahnt.
Mit ihrer fast schon demonstrativen Freilassung hat es das ansonsten so reaktionäre Saudi-Arabien geschafft, einmal für positive Schlagzeilen zu sorgen. Der Mann, der dafür verantwortlich ist, ist der Kronprinz von Saudi-Arabien, Mohammed bin Salman. Der 31-Jährige hat sich gegen die in Saudi-Arabien weitverbreitete Vielehe (bis zu vier Frauen) ausgesprochen und will den Frauen auch das von den Religiösen als „Werkzeug des Teufels“ bezeichnete Autofahren gestatten. „In absehbarer Zeit“, wie er sagt.
Für die saudische Jugend ist „MBS“, so der Spitzname des Kronprinzen, schon jetzt ein Hoffnungsträger. Andere halten sein Wirken für hoch riskant, weil es das innere Gleichgewicht des Wüstenkönigreichs gefährde.
So sei die im letzten Monat erfolgte Ernennung von „MBS“zum neuen Kronprinzen von ihm selbst inszeniert worden, berichtete die „New York Times“am Mittwoch. Demnach soll der saudische König Salman am 20. Juni den zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden Kronprinzen Mohammed bin Nayef in den Safa-Palast von Mekka bestellt haben. Dort sei der 57-Jährige von Gefolgsleuten von „MBS“in einen Nebenraum gebeten worden, wo man Nayef so lang festgehalten habe, bis er angeblich freiwillig „aus Gesundheitsgründen“zurückgetreten sei. Mehr als zehn Stunden habe das Erpressungsmanöver gedauert, das in Saudi-Arabien bis heute für Hochspannung sorgt. Sowohl „MBS“als auch sein Vater Salman verzichteten nach dem Palastputsch von Mekka „aus Sicherheitsgründen“auf ihre Teilnahme am G20-Gipfel in Hamburg.