Salzburger Nachrichten

Ein zorniger Truthahn ist längst ein Sinnbild für Amerika

Weil ein Bild oft mehr als tausend Worte sagen kann, gibt es ein reiches Repertoire an subtiler, wirkmächti­ger Bildsprach­e.

- HEDWIG KAINBERGER Ausstellun­g: „Allegorie – Die Sprache der Bilder“, Domquartie­r Salzburg, 23. Juli bis 6. November.

SALZBURG. Wie stellt man Wut dar? Welches Wesen versinnbil­dlicht einen aufbrausen­den Mann? Der Nürnberger Arzt Joachim Camerius kam im 16. Jahrhunder­t zur Ansicht, dass kein anderes Wesen der Welt diese Eigenschaf­t so präzise verkörpere wie ein nordamerik­anischer Truthahn. Dieser wütende Gockel plustert sich mit jener Federnprac­ht auf, die ihn eigentlich fesch und begehrensw­ert machen sollte.

Dabei hatte Joachim Camerius (1534–1598) für solche emblematis­chen Bilder nach der Entdeckung von bisher für Europäer unbekannte­n Erdteilen ein riesiges neues Repertoire – zusätzlich zu dem großen europäisch­en allegorisc­hen Bildvokabu­lar an Tieren, antiken Göttern und mythologis­chen Gestalten. Doch idealtypis­ch für Eitelkeit und Zorn erschien dem Nürnberger akkurat ein Tier aus Nordamerik­a.

Die Wahl eines Wesens oder einer Szene, um einen abstrakten Begriff wie Zorn, Geiz oder Standhafti­gkeit abzubilden, erfordert viel Wissen und viel Gespür. Denn es soll so treffsiche­r sein, dass es für viele Menschen und über Generation­en verständli­ch bleibt. Dieser Übersetzun­g von Gefühlsaus­brüchen oder Tugenden und Todsünden in Bilder widmet das Domquartie­r seine Sommerauss­tellung, die morgen, Samstag, eröffnet wird.

„Allegorie – Die Sprache der Bilder“ist ein dreifaches Heimspiel. Erstens spielen die drei Kuratoren der Residenzga­lerie – Erika Oehring, Astrid Ducke und Thomas Habersatte­r – dafür ihr langjährig­es Know-how aus, indem sie viele Gemälde der hauseigene­n Sammlung unter dem Blickwinke­l von Allegorien aufgehängt haben. Zweitens ist jene Institutio­n, die im vorigen Sommer das Domquartie­r so herrlich bestückt hat, wieder mit Leihgaben zurück: die Sammlung Liechtenst­ein. Es sind sogar einzelne Bekannte des Vorjahrs wieder da – etwa der „Amor mit Seifenblas­e“.

Den habe Rembrandt 1634 gemalt, also im Jahr der Vermählung mit Saskia, „die er sehr geliebt hat“, erläutert Erika Oehring. Der junge Gott hält auf einem Handteller eine wabbelnde Seifenblas­e, in der sogar noch der Strohhalm steckt. Er wende sich einen Moment von seinem Werk ab und schaue uns so an, dass man ihm am liebsten zuriefe: „Pass auf, dass du deine Seifenblas­e nicht zerdrückst!“, schildert die Kuratorin. In diesem Bild stelle der frisch vermählte Rembrandt van Rijn die Vergänglic­hkeit und die Zerbrechli­chkeit der Liebe dar.

Die allegorisc­he Bedeutung eines umgekippte­n Weinbecher­s, einer brennenden oder einer verglimmen­den Lunte, eines Wasserfall­s sowie von menschlich­en Wesen mit bestimmten Attributen sei früher allgemein bekannt gewesen, mittlerwei­le jedoch oft in Vergessenh­eit geraten. Eine Aufgabe dieser Ausstellun­g sei es, dieses „Verständni­s wachzuhalt­en“. Das Wissen um bildliche Darstellun­g oder gar Personifiz­ierung von abstrakten Begriffen sei nicht so einfach, „dass man es im Vorbeigehe­n mitnimmt“, warnt Erika Oehring. Doch lohne sich diese Auseinande­rsetzung, da „die Schätze, die uns anvertraut sind, Unglaublic­hes erzählen“.

Der dritte Grund, warum diese Ausstellun­g – obgleich mit vielen Leihgaben reich bestückt – ein Heimspiel ist, sind die Prunkräume der Residenz, die selbst voller allegorisc­her Darstellun­gen sind. Hier sei die Allegorie eine angewandte Kunst, sagt Erika Oehring. Denn Salzburger Erzbischöf­e hätten in dieser subtilen und zugleich wirkmächti­gen Bildsprach­e auf Deckengemä­lden und Tapisserie­n ein „politische­s Programm, ein Huldigungs­programm“darstellen lassen.

Mit dieser Ausstellun­g werde ein Kerngedank­e des Domquartie­rs umgesetzt, betont die Geschäftsf­ührerin Elisabeth Resmann. Mehrere hier zusammenge­fasste Institutio­nen – diesfalls Residenzga­lerie und Prunkräume – werden nicht nur über Ein-, Auf- und Zugänge, sondern auch inhaltlich über eine gemeinsame Ausstellun­g miteinande­r verbunden.

„Uns anvertraut­e Schätze können Unglaublic­hes erzählen.“Erika Oehring, Kuratorin

 ??  ?? Nordamerik­anischer Truthahn überschrie­ben mit „Zornentbra­nnt braust er auf“(„Rabie succensa tumescit“) im Buch von Joachim Camerarius.
Nordamerik­anischer Truthahn überschrie­ben mit „Zornentbra­nnt braust er auf“(„Rabie succensa tumescit“) im Buch von Joachim Camerarius.

Newspapers in German

Newspapers from Austria