Ein zorniger Truthahn ist längst ein Sinnbild für Amerika
Weil ein Bild oft mehr als tausend Worte sagen kann, gibt es ein reiches Repertoire an subtiler, wirkmächtiger Bildsprache.
SALZBURG. Wie stellt man Wut dar? Welches Wesen versinnbildlicht einen aufbrausenden Mann? Der Nürnberger Arzt Joachim Camerius kam im 16. Jahrhundert zur Ansicht, dass kein anderes Wesen der Welt diese Eigenschaft so präzise verkörpere wie ein nordamerikanischer Truthahn. Dieser wütende Gockel plustert sich mit jener Federnpracht auf, die ihn eigentlich fesch und begehrenswert machen sollte.
Dabei hatte Joachim Camerius (1534–1598) für solche emblematischen Bilder nach der Entdeckung von bisher für Europäer unbekannten Erdteilen ein riesiges neues Repertoire – zusätzlich zu dem großen europäischen allegorischen Bildvokabular an Tieren, antiken Göttern und mythologischen Gestalten. Doch idealtypisch für Eitelkeit und Zorn erschien dem Nürnberger akkurat ein Tier aus Nordamerika.
Die Wahl eines Wesens oder einer Szene, um einen abstrakten Begriff wie Zorn, Geiz oder Standhaftigkeit abzubilden, erfordert viel Wissen und viel Gespür. Denn es soll so treffsicher sein, dass es für viele Menschen und über Generationen verständlich bleibt. Dieser Übersetzung von Gefühlsausbrüchen oder Tugenden und Todsünden in Bilder widmet das Domquartier seine Sommerausstellung, die morgen, Samstag, eröffnet wird.
„Allegorie – Die Sprache der Bilder“ist ein dreifaches Heimspiel. Erstens spielen die drei Kuratoren der Residenzgalerie – Erika Oehring, Astrid Ducke und Thomas Habersatter – dafür ihr langjähriges Know-how aus, indem sie viele Gemälde der hauseigenen Sammlung unter dem Blickwinkel von Allegorien aufgehängt haben. Zweitens ist jene Institution, die im vorigen Sommer das Domquartier so herrlich bestückt hat, wieder mit Leihgaben zurück: die Sammlung Liechtenstein. Es sind sogar einzelne Bekannte des Vorjahrs wieder da – etwa der „Amor mit Seifenblase“.
Den habe Rembrandt 1634 gemalt, also im Jahr der Vermählung mit Saskia, „die er sehr geliebt hat“, erläutert Erika Oehring. Der junge Gott hält auf einem Handteller eine wabbelnde Seifenblase, in der sogar noch der Strohhalm steckt. Er wende sich einen Moment von seinem Werk ab und schaue uns so an, dass man ihm am liebsten zuriefe: „Pass auf, dass du deine Seifenblase nicht zerdrückst!“, schildert die Kuratorin. In diesem Bild stelle der frisch vermählte Rembrandt van Rijn die Vergänglichkeit und die Zerbrechlichkeit der Liebe dar.
Die allegorische Bedeutung eines umgekippten Weinbechers, einer brennenden oder einer verglimmenden Lunte, eines Wasserfalls sowie von menschlichen Wesen mit bestimmten Attributen sei früher allgemein bekannt gewesen, mittlerweile jedoch oft in Vergessenheit geraten. Eine Aufgabe dieser Ausstellung sei es, dieses „Verständnis wachzuhalten“. Das Wissen um bildliche Darstellung oder gar Personifizierung von abstrakten Begriffen sei nicht so einfach, „dass man es im Vorbeigehen mitnimmt“, warnt Erika Oehring. Doch lohne sich diese Auseinandersetzung, da „die Schätze, die uns anvertraut sind, Unglaubliches erzählen“.
Der dritte Grund, warum diese Ausstellung – obgleich mit vielen Leihgaben reich bestückt – ein Heimspiel ist, sind die Prunkräume der Residenz, die selbst voller allegorischer Darstellungen sind. Hier sei die Allegorie eine angewandte Kunst, sagt Erika Oehring. Denn Salzburger Erzbischöfe hätten in dieser subtilen und zugleich wirkmächtigen Bildsprache auf Deckengemälden und Tapisserien ein „politisches Programm, ein Huldigungsprogramm“darstellen lassen.
Mit dieser Ausstellung werde ein Kerngedanke des Domquartiers umgesetzt, betont die Geschäftsführerin Elisabeth Resmann. Mehrere hier zusammengefasste Institutionen – diesfalls Residenzgalerie und Prunkräume – werden nicht nur über Ein-, Auf- und Zugänge, sondern auch inhaltlich über eine gemeinsame Ausstellung miteinander verbunden.
„Uns anvertraute Schätze können Unglaubliches erzählen.“Erika Oehring, Kuratorin