Unterm Kirchturm wird Theater gespielt
Putzleinsdorf im Mühlviertel führt mit rund 120 Mitwirkenden ein Musiktheater auf. Johanna Rachinger und Clemens Hellsberg wirken mit.
PUTZLEINSDORF. Die Putzleinsdorfer machen es ein wenig den Salzburgern nach: Während des Theaterspiels läuten die Kirchenglocken – mit vollem Klang, zur unvollendeten Stunde und am späten Abend. Aber während ab heute, Freitag, auf dem Salzburger Domplatz alle Glocken den Tod begleiten, läuten sie in der spieleifrigen Gemeinde im oberen Mühlviertel zum Liebesglück und zur feierlichen Amtseinführung des neuen Vikars. Davon handelt die „Leinenhändlersaga“, deren Uraufführung heute, Samstag, dank eines sagenhaften Engagements möglich wird.
Sogar Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek und Wirtstochter aus Putzleinsdorf, hat sich von der Spielfreude anstecken lassen. Sie tritt in dem dreistündigen Stück als Frau des Leinenhändlers und Bürgermeisters Schraml auf und erfüllt die Rolle bravourös. Mit standesbewusster Autorität einer Putzleinsdorfer Bürgerin und in feinem Mühlviertlerisch antwortet sie – so war es in der Hauptprobe zu erleben – auf das „Guten Morgen, gnä Frau!“der beiden Dienstmädel: „Geht’s in d’ Kuchl und suachts euch a Arbeit.“Als ihr der bemäkelnde Buchhalter zärtlichste Gefühle gesteht, lässt sie nur durchschimmern, wie ihr das schmeichelt und sie zugleich peinlich berührt.
Die souveränen, gekonnten Auftritte Johanna Rachingers sind ein Prominenztupferl auf dem Einsatz vieler Putzleinsdorferinnen und Putzleinsdorfer. Zwei Jahre lang sei an der „Leinenhändlersaga“gearbeitet worden, seit Weihnachten werde geprobt, schildert Volksschuldirektor Karl Lindorfer. Fast alles sei ehrenamtlich gemacht worden – vom Bau zweier Bühnen und einer Tribüne für rund 500 Zuschauer bis hin zur Organisation. Die Putzleinsdorfer Blasmusik ist ebenso dabei wie Kirchenchor, Goldhaubenfrauen und 31 Kinder.
Während auf dem Salzburger Domplatz nur Theater gespielt wird, tritt in Putzleinsdorf ein ganzes Orchester auf, das Nordwald-Kammerorchester. In diesem vereint der Leiter Norbert Huber junge Musikerinnen und Musiker aus dem Mühlviertel wie aus Tschechien. Und diese bekommen für die von Tristan Schulze komponierte „Leinenhändlersaga“einen prominenten Konzertmeister: Clemens Hellsberg, Geiger und ehemaliger Vorstand der Wiener Philharmoniker.
Denn der hat eine Putzleinsdorfer Tante. Und deren Sohn wiederum ist Norbert Huber. Überhaupt, die Hubers! Fünf Geschwister sind die kreativen Rädelsführer: Johannes hat das Libretto geschrieben, Norbert führt Regie, Susanne hat die Kostüme gestaltet, Clemens hat an der Bühne mitgebaut und Tom- maso, Kontrabassist an der Wiener Volksoper, spielt den Binder.
Die meisten der Mitwirkenden – allein etwa 120 treten als Musiker, Sänger, Schauspieler und Statisten auf – seien aus der Region, sagt Karl Lindorfer. Dementsprechend holpert’s, wenn auf der Bühne Hochdeutsch gesprochen wird. Aber welch wunderbares Mühlviertlerisch erklingt! „Koan Zeit g’habt, am Sunda?“(Sonntag). Oder: „Mir is des wurscht, wer ma d’ Sach o’kaft“mit einem ebenso klaren A wie in „affa“, etwa: „Vom Schneiderhäusl affa is a gestern in der Friah g’roast, bei sein Gspusi is a g’we’n.“
Putzleinsdorferisch ist auch der Plot. Dafür hat Librettist Johannes Huber viel geleistet. Weil er vier schwierige Liebesgeschichten um den Amtsantritt des Pfarrers und Mundartdichters Norbert Hanrieder im Jahr 1874 kreisen lässt, hat er die Regionalgeschichte des 19. Jahrhunderts erforscht. Zum einen hat er seine Erkenntnisse in einem Buch dargelegt – mit Beiträgen über Gesellschaftsordnung und über die in Putzleinsdorf zahlreichen Leinenweber, die infolge der Industrialisierung eingehen sollten. Zum anderen hat er dieses Wissen in die „Leinenhändlersaga“eingewoben – den einst wichtigen Unterschied von Bürger und Bauer, das aufkommende Beamtentum, die Konflikte von Pfarrer und Bürgermeister.
Schließlich kommt auch in Putzleinsdorf der Tod. Erst streift er auf dem Tanzboden herum, wo drei junge Paare zueinanderfinden. Am Ende holt er ein Mädel – ohne dass es um Frist bitten oder etwas bereuen könnte. In Putzleinsdorf endet das Leben so, wie es vielen widerfährt: ungefragt, ungewünscht, unbewusst. Dazu läutet das Totenglöckchen der Kirche. „Ich hoffe, dass da niemand aufschreckt, auf d’ Nacht um elf“, sagt Karl Lindorfer. Musical: „Leinenhändlersaga“, Putzleinsdorf, bis 5. August, jeweils 20 Uhr. Karten über WWW.OETICKET.AT WWW.LEINENHÄNDLERSAGA.AT Buch: Johannes Huber, „Hanrieders Rachel – Putzleinsdorf und die Welt vor 1874“, erhältlich im Gemeindeamt Putzleinsdorf, +43 7286 / 8276–0.