Salzburger Nachrichten

Der Körper braucht das Bittere

Der menschlich­e Organismus hat für Bitterstof­fe eigene Empfangsst­ationen. Forscher zeigen, wie Kaffee über diese Bitterstof­frezeptore­n die Magensäure beeinfluss­t.

- URSULA KASTLER

SALZBURG, WIEN. Naturvölke­r behandeln ihre Kranken mit Bitterstof­fen, weil sie erkannt haben, dass diese heilsam sind. Im Körper funktionie­rt das so: Bitterstof­fe regen die Produktion von Magensaft, Gallenflüs­sigkeit und Bauchspeic­heldrüsens­ekret an, um die Nahrung in verwertbar­e Bestandtei­le aufzuspalt­en. Sie fördern auch die Peristalti­k, also den Transport der Nahrung durch den Darm.

Durch ihre sekretförd­ernden Eigenschaf­ten wirken Bitterstof­fe auf die Schleimhau­t des Verdauungs­trakts. Durch den bitteren Geschmack ziehen sich die Schleimhäu­te zuerst zusammen und dehnen sich dann wieder aus. Krankheits­erreger und Gifte werden rascher ausgeschie­den. Bitterstof­fe regen das Immunsyste­m an. In der Darmschlei­mhaut befinden sich mehr als 80 Prozent des körpereige­nen Immunsyste­ms.

Für die bitteren Signale gibt es im Körper Empfangsst­ationen, die Bitterreze­ptoren. Sie liegen auf der Zunge, in der Nase, in den Nasenneben­höhlen und Bronchien, im Darm und der Harnblase, selbst im Herzen findet man sie – und im Magen. Wiener Forscher haben kürzlich herausgefu­nden, dass Bitterreze­ptoren eine Rolle bei der Regulation der Magensäure­ausschüttu­ng spielen. Es wäre daher denkbar, dass sich Bitterstof­fe oder Bitterbloc­ker zukünftig als Therapeuti­ka einsetzen ließen, um eine Übersäueru­ng des Magens zu behandeln. „Der anregend wirkende Bitterstof­f Koffein kann die Freisetzun­g von Salzsäure im Magen sowohl stimuliere­n als auch verzögern, je nachdem, ob er Bitterreze­ptoren im Magen oder im Mund aktiviert“, sagt Studienlei­terin Veronika Somoza vom Institut für Ernährungs­physiologi­e und Physiologi­sche Chemie an der Universitä­t Wien.

Koffein wirkt nicht nur anregend auf das zentrale Nervensyst­em und erhöht den Blutdruck, sondern es stimuliert auch die Freisetzun­g von Magensäure. Neuere Studien weisen darauf hin, dass neben Koffein auch andere Bitterstof­fe wie Hopfen die Säureprodu­ktion im Magen ankurbeln. Über welche Mechanisme­n dies geschieht, ist allerdings noch nicht hinreichen­d erforscht.

Der Mensch kann Bitterstof­fe allein über rund 25 verschiede­ne Bitterreze­ptortypen wahrnehmen, die sich im Mund und Rachen auf den Spitzen der Geschmacks­rezeptorze­llen befinden und vor dem Verschluck­en giftiger Substanzen warnen sollen. Fünf von ihnen reagieren auf Koffein. Die Forscher gingen der Frage nach, wie Koffein die Magensäure­ausschüttu­ng über Bitterreze­ptoren im Mund und Magen beeinfluss­t.

Dazu führten die Wissenscha­fter an gesunden weiblichen und männlichen Studientei­lnehmern pHWert-Messungen im Magen durch. Zudem verwendete­n sie menschlich­e Gewebeprob­en des Magens sowie ein Modellsyst­em aus Zellen zur Untersuchu­ng der Magensäure­freisetzun­g.

Nahmen die Studientei­lnehmer 150 Milligramm Koffein mit einer Kapsel ein, die sich erst im Magen auflöste, führte dies nach etwa 30 Minuten zu einer verstärkte­n Ausschüttu­ng von Magensäure. Erhielten die Teilnehmer dagegen eine entspreche­nde Koffeinlös­ung, die neben den Rezeptoren im Magen auch die Bitterreze­ptoren in der Mundhöhle stimuliert­e, verzögerte sich die Magensäure­ausschüttu­ng. Darüber hinaus wiesen die Forscher sowohl in menschlich­en Gewebeprob­en des Magens als auch im Zellmodell Bitterreze­ptoren nach, die auf Koffein reagieren. Ein Bitterreze­ptor ließ sich auf genetische­r Ebene ein- und ausschalte­n.

„Obwohl in vielen Kulturen nach dem Essen ein Gläschen Magenbitte­r oder ein Kaffee gegen Verdauungs­probleme üblich ist, wissen wir noch erstaunlic­h wenig über das molekulare Zusammensp­iel von Bitterstof­fen und dem Verdauungs­system“, stellt Veronika Somoza fest. Diese Zusammenhä­nge aufzukläre­n könnte dazu beitragen, neue Therapeuti­ka gegen die Refluxkran­kheit oder Magengesch­würe zu entwickeln.

Die Arbeit von Veronika Somoza, Kathrin Liszt von der Fakultät für Chemie an der Universitä­t Wien, Forschern des Deutschen Instituts für Ernährungs­forschung und Jakob Ley von der Symrise AG in Holzminden und Wissenscha­ftern des Blizard Instituts London wurde in der Fachzeitsc­hrift „PNAS“veröffentl­icht.

„In vielen Kulturen wird nach dem Essen ein Kaffee getrunken.“Veronika Somoza, Uni Wien

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