Salzburger Nachrichten

Lieber gemeinsam als Krieg

Vor 65 Jahren schlossen sich sechs Staaten zur Europäisch­en Gemeinscha­ft für Kohle und Stahl zusammen.

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BRÜSSEL. In den Zeiten des Wirtschaft­swunders gab es in Deutschlan­d sogar Zigaretten mit dem Namen „Montan Union“. Heute ist praktisch nur noch die blauschwar­ze Flagge der Montanunio­n übrig. Sie wird von der EU-Kommission aufbewahrt, nachdem die Europäisch­e Gemeinscha­ft für Kohle und Stahl (EGKS), wie die Vorläuferi­n der Europäisch­en Union offiziell hieß, 2002 im EU-Gefüge aufging. Die historisch­e Bedeutung des vor genau 65 Jahren in Kraft getretenen Vertrags zur Montanunio­n ist aber ungebroche­n. Er war der eigentlich­e Startschus­s für den wirtschaft­lichen und politische­n Einigungsp­rozess in Europa.

Die Kohle- und Stahlgemei­nschaft ging auf den sogenannte­n Schuman-Plan zurück, benannt nach dem französisc­hen Außenminis­ter und späteren Ministerpr­äsidenten Robert Schuman. Er wollte, dass die einstigen Erbfeinde Deutschlan­d und Frankreich ihre Stahl- und Kohlevorko­mmen, beide zentral für die Rüstungsin­dustrie, gemeinsam bewirtscha­ften.

Am 9. Mai (dem heutigen Europatag) 1950 stellte Schuman seinen Plan der Öffentlich­keit vor. Durch den Wiederaufb­au dieser beiden wichtigen Sektoren und die gegenseiti­ge Kontrolle sollte der Friede in Europa gesichert werden.

Der Zugang war völlig anders als nach dem Ersten Weltkrieg, als Deutschlan­d beinharte Bedingunge­n diktiert wurden. Nun saß der Kriegsverl­ierer mit am Tisch und Frankreich bestand nicht wie auf Reparation­en.

Zu den Gründersta­aten der EGKS zählten neben Frankreich und Deutschlan­d noch Italien, Belgien, die Niederland­e und Luxemburg. Am 18. April 1951 unterzeich­neten die Außenminis­ter in Paris den auf die Dauer von 50 Jahren angelegten Vertrag. Am 23. Juli 1952 trat er in Kraft.

Es entstand ein gemeinsame­r Markt für Kohle- und Stahlprodu­kte, der Europa die Versorgung mit deutscher Kohle sicherte und den Werken in Frankreich, Italien und Benelux den Zugang zum deutschen Stahlmarkt.

Über all dem wachte die Hohe Behörde mit Sitz in Luxemburg, an die die Länder erstmals nationale Hoheitsrec­hte abgegeben hatten. Sie damals sollte in Krisenzeit­en eingreifen und bei Über- und Unterverso­rgung den Stahl- und Kohleabsat­z durch Produktion­s- oder Lieferquot­en, durch Mindest- oder Höchstprei­se und durch Eingriffe in den Außenhande­l steuern. Mit der 1957 in Rom ins Leben gerufenen Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft (EWG) weiteten die sechs EGKSStaate­n ihre Zusammenar­beit dann auf die gesamte Wirtschaft aus.

Aus der EWG entwickelt­e sich später die Europäisch­e Gemeinscha­ft und schließlic­h die Europäisch­e Union.

Die Hohe Behörde ging 1967 in der Kommission der Europäisch­en Gemeinscha­ften, der heutigen EUKommissi­on, auf.

Kohle und Stahl sind zwar keine Schlüsselb­ranchen mehr, beschäftig­en aber weiterhin die EU und ihre Institutio­nen. Gerungen wird auch heute noch um unrentable Stahlwerke, um Subvention­en und im internatio­nalen Handel um AntiDumpin­g-Maßnahmen.

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BILD: SN/AFP Frankreich­s Außenminis­ter Schuman im Jahr 1950. Robert
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