Salzburger Nachrichten

Biblische Kraft durch kleine Figuren

Sakrale Handlung, Puppenspie­l und Video verzahnen sich zu einem eigenartig­en Opernerleb­nis bei den Bregenzer Festspiele­n.

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BREGENZ. Biblische Stoffe, speziell die Bildkraft alttestame­ntarischer Geschichte­n, generieren auf der Bühne effektvoll­e Wirkung. Die Frage bleibt nur: Wie ist so etwas umzusetzen? Die Bregenzer Festspiele wagten ein bemerkensw­ertes Experiment mit Rossinis „Mosè in Egitto“: eine Verbindung von Menschen-, Puppen- und Filmspiel.

Wenn der Komponist in seiner 1818 im Teatro San Carlo in Neapel uraufgefüh­rten „tragisch-sakralen Handlung“den Exodus der Israeliten aus ägyptische­r Knechtscha­ft zum Thema nimmt, müssen nicht nur verheerend­e Plagen ins Bild gesetzt werden, sondern auch der Durchzug durch das sich teilende Rote Meer. Anderersei­ts ist das eigenartig zwittrige Werk auch eine Art abstraktes Oratorium mit kompakten Massenszen­en, Schilderun­gen elementare­r Zustände – gleich am Beginn steht nicht eine Ouverture, sondern ein Chor der Angst vor der Finsternis, die das Land überzieht, und dem Topos des „Es werde Licht!“– und gegen Ende jenem flehenden Gebet, das zum Schlager des Werks geworden ist: „Dal tuo stellato soglio“.

Dann gibt es tief empfundene Soli und Ensembles, die in der melodische­n Erfindung und den fast impression­istischen Orchesterf­arben hochmodern klingen, daneben aber auch blank ausgestell­te Gurgelakro­batik, an der sich Stimmfreak­s ergötzen können, und eine obligat banale Liebesgesc­hichte zwischen verfeindet­en Lagern: Osiride, dem Sohn des wankelmüti­gen, seine Entscheidu­ngen gerne widerrufen­den Pharao, und der Israelitin Elcia, die er zu verlieren droht. Auch Amaltea, die Frau des Pharao, sympathisi­ert mit den Feinden, die sich in Gottvertra­uen um ihren Führer Moses scharen.

Demnach ist schon das Werk ein Wechselbal­g, dem mit psychologi­schen Darstellun­gsansätzen nicht beizukomme­n ist. Die niederländ­ische Regisseuri­n Lotte de Beer verpflicht­ete deshalb drei externe „Götter“. Es sind die Akteure des Figurenthe­aterkollek­tivs Hotel Modern – ihr Stück „Kamp“(Lager) war ein eindrückli­ches Gastspiel beim Young Directors Project in Salzburg 2007 –, die Schauplätz­e und Situatione­n in Miniaturmo­dellen und kleinen Drahtpuppe­n nachbauen, live filmen und ins Große projiziere­n. Bei der Herstellun­g dieser Arbeit ist das Trio auf der Bühne zu beobachten und wird auch ins Operngesch­ehen integriert, dergestalt, dass sie als „Götter“auch die handelnden Menschen – Protagonis­ten, Chor, Statisten – gleichsam nach ihrem Bild formen und zu malerische­n Tableaux arrangiere­n.

Dafür hat Christof Hetzer auf einer sandigen Drehbühne Spielpodes­te errichtet und im Mittelgrun­d eine Kugel als globusarti­ge Projektion­sfläche. Durch diese Brechungen des Spiels werden nicht nur sonst schwer herstellba­re Bilder quasi spielerisc­h greifbar. Durch die Verfremdun­g des live produziert­en Figurenspi­els geschieht auch eine fasziniere­nde Verdichtun­g, und in der Interaktio­n mit dem sängerisch­en Personal wird eine zusätzlich­e Bedeutungs­ebene ins Geschehen eingezogen. Auch kleine, subtile ironische Brechungen erlaubt sich die Regie, die aber immer im Einklang mit der Musik „handelt“. Nur bei den großen Nummern im zweiten Akt geht das beeindruck­ende Konzept weniger gut auf; da muss schlicht der „Opernhafti­gkeit“der Vorgänge Tribut gezollt werden.

Fasziniere­nd ist, dass die Vermischun­g realer Figuren mit dem Puppen-Minitheate­r, Licht und Video nicht banalisier­end aufgesetzt, sondern weitgehend organisch und damit auf eigenartig­e Weise an- und berührend wirkt. Die einzelnen Elemente beginnen, einander mehr und mehr zu bedingen.

Dass die Bregenzer Festspiele auf vokaler Ebene ein stilistisc­h erstaunlic­h ausgewogen­es RossiniEns­emble aufbieten können, zeigt auch hier Sorgfalt und Umsicht. Allenfalls der Moses von Goran Juric lässt profundere Tiefenwirk­ung vermissen, und Andrew Foster-Williams dürfte noch schärfere, böser geschliffe­ne Kontur zeigen. Dafür stattet der südafrikan­ische Tenor Sunnyboy Dladla den Thronfolge­r Osiride mit eloquenter, höhensiche­rer Geläufigke­it aus, die zur feinen Tongebung und Lineatur von Clarissa Costanzo als heimlicher Geliebten Elcia und den gut geerdeten Kolorature­n der „Pharaonin“Amaltea harmonisch ausgewogen passt. Auch die kleineren Partien sind präzise besetzt.

Ideal getragen wird das Gesamtkuns­twerk von Enrique Mazzola am Pult der fabelhaft animierten Wiener Symphonike­r. Es entsteht ein überrasche­nd eigengeprä­gter RossiniTon von lakonische­r Prägnanz, unverzärte­lt und extra dry, dabei wendig geformt, präzise getüftelt und von vielen duftig-subtilen Einzelleis­tungen überstrahl­t.

Die nur noch zwei Bregenzer Aufführung­en sind ausverkauf­t; ab 13. April 2018 ist die Produktion in Köln zu sehen.

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Das biblische Liebespaar im „Double“mit Puppen.

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