„Mit viel Blut erkämpft“
Die Pressefreiheit in Österreich wird 150 Jahre alt. Oder doch nicht? Experten streiten sich um die Geburtsstunde. Und sie warnen davor, dass Grundrechte auch wieder verloren gehen können.
WIEN. 1867. Ein Jahr mit besonderer historischer Bedeutung. 1867 war das Geburtsjahr der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn – eine Realunion, die die Weltgeschichte die folgenden 50 Jahre maßgeblich prägen sollte. Doch 1867 sollte auch innerösterreichisch eine Grundlage geschaffen werden, die die Staatsgeschichte nachhaltig beeinflussen sollte. Im Dezember trat das Staatsgrundgesetz „über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“in Kraft – und der Weg für Presse- und Meinungsfreiheit wurde frei gemacht: „Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Die Presse darf nicht unter Zensur gestellt werden.“Das Staatsgrundgesetz ist bis heute gültig.
Die Pressefreiheit in Österreich wird also Ende dieses Jahres 150 Jahre alt. Oder doch nicht? Wenn es um die eigentliche Geburtsstunde geht, scheiden sich die Geister. Der oberösterreichische Autor Ernst Spitzbart gibt etwa den 14. Juli 1867 als Wiegenfest der heimischen Pressefreiheit an. „Bewusst am Jahrestag der Französischen Revolution erschien die erste Ausgabe des kurz vorher gegründeten ,Neuen Wiener Tagblatts‘ unter Verleger Moritz Szeps“, beschreibt Spitzbart. Für den 55-Jährigen ist das „Neue Wiener Tagblatt“jene Zeitung, die als erste Pressefreiheit gelebt hat. „Es war liberal, es setzte auf Qualitätsjournalismus, es legte sich mit dem Kaiserhaus an.“
Ernst Spitzbart hat vor wenigen Tagen sein neuestes Buch veröffentlicht. In „Am Steyrerhof 3“beschäftigt er sich mit der Geschichte des „Neuen Wiener Tagblatts“zwischen 1867 und 1945. Die Wiener Zeitung hatte in der Blütezeit eine damals beachtliche Auflage von 50.000 Stück – und das bei mehreren Ausgaben täglich (morgens, mittags, abends). Für das „Tagblatt“schrieben etwa Peter Rosegger, Hermann Hesse und Stefan Zweig. Sogar Mark Twain spendete der Zeitung einen literarischen Artikel.
Spitzbart berichtet beinahe aus erster Hand. Im Hauptberuf ist er Geschäftsführer von Steyrermühl. Die oberösterreichische Papierfabrik war im 19. und 20. Jahrhundert einer der bedeutendsten Medienkonzerne Österreichs – und verlegte das „Neue Wiener Tagblatt“. „In meinem Buch geht es nur um das ,Tagblatt‘. Es ist keine objektive Aufarbeitung der Medienhistorie. Freilich gab es andere Zeitungen, die ähnlich bedeutend waren.“Dieser Ansicht ist auch Fritz Hausjell. Der Medienhistoriker an der Uni Wien misst zwar ebenso dem Staatsgrundgesetz von 1867 besondere Bedeutung bei. Er datiert die eigentliche Geburtsstunde der Pressefreiheit aber 19 Jahre nach hinten. „In den Monaten nach der bürgerlichen Revolution 1848 (gegen die Habsburgermonarchie, Anm.) blühte die Publizistik unglaublich auf. Damals nahm man sich erstmals die Freiheit, all das zu schreiben, was man für notwendig erachtete.“Doch die Monarchie reagierte – und das gewaltsam. Zwei Journalisten seien hingerichtet worden, weil sie „obrigkeitskritisch“berichtet hätten. „Die Pressefreiheit wurde im Grunde nie hergeschenkt“, ergänzt Hausjell. „Wenn es markante Schritte nach vorn gab, dann mussten sie stets erkämpft werden – oft auch mit viel Blut.“Das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Presse könne zudem schnell wieder verloren gehen. Das habe man etwa 1933 gesehen, als die Zensur letztmals eingeführt worden sei. „Um die Rechte zu verteidigen, braucht man breite Allianzen in der Gesellschaft. Es muss nicht nur den Journalisten, sondern auch den Mediennutzern bewusst sein, wie wichtig Pressefreiheit ist.“Aber ist dem wirklich so? Schließlich gibt es immer wieder Stimmen, die fordern, Medien sollten stärker „staatstragend“sein. „Nein, Medien sollen definitiv nicht der verlängerte Arm der Politik sein“, sagt Hausjell. Sie sollten vielmehr eine zusätzliche Kritikund Kontrollinstanz darstellen. Und das müsse auch im Interesse der Politik liegen. Denn Medien stellen ein Gleichgewicht zwischen Regierung und Opposition her. „Und irgendwann kommt jede Partei mal in die Opposition. Auch wenn sie es sich heute vielleicht gar nicht vorstellen kann.“