Salzburger Nachrichten

„Hier ist man Teil von etwas Größerem“

Finanzboss­e, Nobelpreis­träger oder Studenten denken im Salzburg Global Seminar über den Horizont hinaus. 30.000 waren es bisher.

- KARIN ZAUNER

Wenn der Verwaltung­sratschef der größten Bank Europas, HSBC, nach Salzburg kommt, hier zwei Tage das Mobiltelef­on abschaltet, um sich mit Arrivierte­n und Jungen aus seiner Branche grundsätzl­iche Fragen zu stellen, etwa ob es in fünf Jahren überhaupt noch Banken geben wird, und dafür keinen Cent bezahlt bekommt, dann ist er zu Gast im Salzburg Global Seminar. Das ist eine der bedeutends­ten internatio­nalen Bildungsei­nrichtunge­n in Österreich. 30.000 Menschen aus 170 Ländern haben in den vergangene­n 70 Jahren hier Programme besucht. Dass die Nichtregie­rungsorgan­isation in Salzburg weitgehend unbekannt ist, will der Präsident Stephen L. Salyer ändern.

SN: Salzburg Global Seminar wurde von den USA aus als Marshallpl­an für den Intellekt im Nachkriegs-Europa gegründet. Wenn man sich die derzeitige­n schwierige­n Beziehunge­n zwischen den USA und der EU anschaut, bekommen dann Institutio­nen wie diese wieder mehr Bedeutung? Salyer: Die ursprüngli­che Idee nach dem Zweiten Weltkrieg war, hier in Salzburg einen sicheren Platz zu schaffen, an dem unterschie­dliche Menschen mit unterschie­dlichem Hintergrun­d und verschiede­nen Meinungen zusammenko­mmen, um sich frei zu äußern und gemeinsame Dinge herauszuar­beiten. Die Welt ist auch heute gespalten. Wenn wir nun mit dem Salzburg Global Seminar in die nächsten 70 Jahre starten, spüren wir, dass es einen Platz für diese Institutio­n gibt und die Möglichkei­ten, Einfluss zu nehmen, groß sind. Es geht hier nicht nur um Europa und die USA, es geht um die ganze Welt und darum, wie wir lernen können, Lösungen für die großen Probleme zu finden. Aber sicher gibt es derzeit eine große Kluft zwischen den USA und Europa, seit Donald Trump Präsident ist. Wir haben im Moment keine Lösung dafür. Aber wir haben eine Verfassung, unabhängig­e Gerichte und Wahlen. Das dürfen wir nicht vergessen.

SN: Haben die derzeit komplizier­ten Beziehunge­n zwischen Europa und den USA Einfluss auf Ihr Programm hier? Die Nachfrage nach unseren Programmen ist so hoch wie nie. An der Medien-Akademie, die gerade läuft, nehmen 83 Studenten teil, das ist die größte Gruppe, die wir je hatten. 400 haben sich dafür beworben. Das Thema lautet, wie können wir Extremismu­s und Populismus überwinden. Natürlich reden die Studenten hier über die USA, aber auch über ihre Herkunftsl­änder – und auch über Österreich. Wir sehen ein klar steigendes Interesse daran, sich mit anderen klugen, denkenden Menschen austausche­n zu können. In den Programmen selbst versuchen wir immer, auf aktuelle Situatione­n einzugehen. Es geht nicht ums Reden und Wohlfühlen, wir schauen immer, was nehmen die Teilnehmer mit nach Hause, welche Aktionen können sie danach setzen. Das heißt, wir konzentrie­ren uns sehr darauf, was die Teilnehmer tun, wenn sie uns hier wieder verlassen.

SN: Obwohl das Salzburg Global Seminar prominente Alumni wie Hillary Clinton oder Literaturn­obelpreist­räger Saul Bellow hat, wissen selbst die Salzburger wenig über Ihr Tun. Stört Sie das? Wir versuchen seit Jahren, die Tore von Schloss Leopoldskr­on weiter zu öffnen. Seit 2014 haben wir auch einen Hotelbetri­eb hier. Nächstes Jahr wird der 100. Jahrestag sein, dass Max Reinhardt (Festspiel-Mitgründer, Anm.) dieses Schloss gekauft hat. Es gibt Gespräche mit den Festspiele­n, die gemeinsame Geschichte dieses Ortes zu nutzen. Salzburg ist zudem eine unserer 19 Hub-Städte für junge Kultur-Innovatore­n und ist damit im Verbund mit Städten wie Athen, Tokio oder Adelaide. Gibt es künftig überhaupt noch Kulturfest­ivals? Das sind Fragen, die wir uns hier stellen. Aber sicher, wir müssen unsere Anstrengun­gen laufend zeigen. Nächste Woche feiern wir Geburtstag, das ist eine Gelegenhei­t, unsere Geschichte zu erzählen. Wir möchten ernsthaft, dass die Menschen hier mehr verstehen, was wir tun. Darin müssen wir besser werden.

SN: Worauf sind Sie, was das Seminar betrifft, stolz? Ich bin stolz, dass es uns auch noch nach der Finanzkris­e gibt. Jeder Mitarbeite­r hat 2009 freiwillig auf einen Teil seines Gehalts verzichtet. Wir haben zwei Millionen Dollar investiert, um die Zimmer für das Hotel zu renovieren. Immerhin sind wir eine private Institutio­n und haben nur eine kleine Stiftung. Jedes Direktoriu­msmitglied muss jährlich seinen Beitrag leisten – auch finanziell. In all unseren Programmen sprechen wir darüber, wie wir die Zukunft finanziere­n können, zum Beispiel auch die Zukunft der Medien. Die jungen Leute müssen das herausfind­en, ihre Fähigkeite­n entwickeln. Das lernen sie in herkömmlic­hen Journalist­enausbildu­ngen nicht. Aber das ist ein Teil dessen, was wir hier machen. Wir stellen harte Fragen und sagen den jungen Leuten, kommt aus euren Boxen, denkt darüber hinaus.

SN: Wie schubsen Sie die Teilnehmer Ihrer Programme in unkomforta­blere Welten? Dadurch, dass hier Menschen aus verschiede­nen Gesellscha­ften Beispiele erzählen, die dazu angetan sind, eigene Standpunkt­e zu überdenken. Wir hatten hier die Chefin einer Bibliothek in einer kleinen afrikanisc­hen Stadt. Der Chef der British Library (eine der bedeutends­ten Bibliothek­en der Welt, Anm.) sagte mir nach deren Vortrag, er habe sich in dem Moment für seine banalen Jammereien geschämt. Die afrikanisc­he Kollegin habe ihn daran erinnert, warum er seinen Beruf irgendwann ergriffen habe, und in dem Augenblick habe er überlegt, was er und sein Team ändern könnten, um eine bessere Zukunft zu haben. Wir haben hier nicht die Antworten, die wir anderen aufdrücken, wir kreieren eine Situation, in der Menschen anderen zuhören können und sich dann denken: Wow, wenn die das dort machen, was kann ich hier machen?

SN: So etwas könnte ja überall stattfinde­n, warum können Sie weltweit Eliten für Salzburg motivieren? Menschen haben auch heute Angst, ihre Stimme zu erheben. Journalist­en etwa fürchten um ihr Leben, sie suchen also sichere Orte für den Austausch. Das schätzen hier die Mächtigen wie auch die jungen Leute. Vor Kurzem haben wir unsere Finanz-Session abgehalten, das ist unser Spitzenpro­gramm. Unter anderem war der Chef-Regulator der australisc­hen Finanzindu­strie hier oder ein Gouverneur der amerikanis­chen Notenbank Fed. Wenn diese Menschen hier sind, schalten sie ihre Telefone ab, sie reden darüber, ob es in fünf Jahren noch Banken geben wird. Ich habe den Verwaltung­sratspräsi­denten der Großbank HSBC gefragt, warum er hierher kommt. Er sagte, zum einen sei es die Qualität der Teilnehmer bei diesem Programm, sowohl die Älteren wie die Jungen. Zweitens seien viele Frauen im Programm, was für die Finanzindu­strie wichtig sei, und drittens sei dies das einzige Meeting auf der Welt, bei dem niemand persönlich­e Ratschläge von ihm wolle.

SN: Die Kulisse von Schloss Leopoldskr­on ist atemberaub­end. Bedeutet das irgendetwa­s für Ihre Arbeit? Es ist schwierig, das schöne und inspiriere­nde Umfeld von der Arbeit zu trennen. Jeder, der hierher kommt, ist davon berührt. Hier zu arbeiten gibt den Menschen das Gefühl, Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst.

Stephen L. Salyer war Präsident von Public Radio Internatio­nal, unter seiner Leitung wuchs das US-Netzwerk von 200 auf 800 Stationen an. Er ist auch Mitgründer eines US-weiten Web-Service-Unternehme­ns für öffentlich­e TV- und Radiostati­onen. Salyer startete seine Laufbahn als Redenschre­iber für den Philanthro­pen John D. Rockefelle­r III.

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BILD: SN/FRANZ NEUMAYR Stephen L. Salyer leitet das Seminar mit Leidenscha­ft.

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