Salzburger Nachrichten

Fußball pur

Treue vor Geld, auch das gibt es. Fußballer lieben ihren Verein. Fußballer lieben ihre Fans. Aber mehr noch lieben sie das Geld. Und das fließt im Profifußba­ll in rauen Mengen. Vor allem die Chinesen fluten den Markt. Da kann kaum einer widerstehe­n. Einig

- Norbert Lublasser

Es gab da so eine Theorie. Eigentlich hat man sich die nur selbst zusammenge­sponnen, es gab keinen Experten, der sie bestätigt hätte. Also: Einst war es so, dass Südamerika die tollsten Ballkünstl­er mit der tollsten Technik und dem tollsten Spielwitz hervorbrac­hte, aber die Mannschaft­en von Argentinie­n, Brasilien & Co. meist nur lausige Tormänner zwischen den Pfosten stehen hatten. Das reimte man sich so zusammen: Die Buben, damals waren es nur Buben, mussten lange vor einer möglichen Karriere auf staubigem, harten, steinigen Untergrund spielen. Das mag Technik und Spielwitz gefördert haben, für die Tormänner muss es die Hölle gewesen sein. Wer fliegt schon gerne einem Ball nach, wenn die Landung hart und schmerzhaf­t ist. Deshalb sind Torleute beim Hallenfußb­all ja auch ausgepolst­ert wie Michelin-Männchen.

Wer’s aber, und nun nähern wir uns dem Themenschw­erpunkt von Thomas Gottsmann, Gerhard Öhlinger und Peter Gnaiger an, von der staubigen Gosse in die großen Stadien der Welt schafft, der kann richtig viel Geld verdienen. Vom Straßenjun­gen zum Multimilli­onär, das ist in diesem Geschäft kein Märchen.

Ein Märchen aber ist das, was ein deutscher Autokonzer­n zusammen mit dem Vermittler privater Ferienwohn­ungen den Teilnehmer­n eines Gewinnspie­ls verspricht: Eine Familie darf zwei Tage lang, während sich europäisch­e Spitzentea­ms duellieren, in einem Münchner Stadion wohnen. Direkt am Spielfeldr­and, in einer voll eingericht­eten und rundum offenen Unterkunft mit Schlafzimm­er und Couch. Kein Scherz. Aber ein Gag ...

Schönes Wochenende!

Das große Geschäft. Ab und zu kommt Vereinstre­ue im Fußball noch vor. Aber mit der Aussicht auf ein paar Millionen Euro ist sie schnell vergessen. THOMAS GOTTSMANN GERHARD ÖHLINGER

Diese Transferpo­sse werden die Fans und Verantwort­lichen in Köln lange nicht vergessen. Wochenlang dauerten die Verhandlun­gen zwischen dem deutschen Fußball-Bundesligi­sten Köln und dem chinesisch­en Club Tianjin Quanjian über den Wechsel von Anthony Modeste. Mitte Juli war es dann so weit: Der Topstürmer wechselte ins Reich der Mitte, wo derzeit mehr Geld im Umlauf ist als in den europäisch­en Topligen.

Seine Liebe zum Traditions­club, den er in der vergangene­n Saison mit 25 Toren zum ersten Mal seit 25 Jahren in den internatio­nalen Bewerb schoss, kühlte ab, als die Millionen aus China lockten. Auch die KölnFans, die dem Franzosen trotz des Wechselwir­rwarrs immer die Treue hielten, konnten ihn nicht umstimmen. Zu verlockend war das viele Geld. Rund elf Millionen Euro wird der Torjäger in Zukunft pro Jahr scheffeln. Schon in Köln verdiente Modeste in einem Jahr mehr als ein „Normalster­blicher“in seinem ganzen Leben. Einen Traum wird er sich aber trotzdem nicht verwirklic­hen können: für sein Heimatland Frankreich zu spielen. In China steht Modeste sportlich nicht mehr im Rampenlich­t und wird von Nationaltr­ainer Didier Deschamps wohl gar nicht mehr wahrgenomm­en.

Gerade in Köln hat die Aufregung über enorme Beträge, die man für Fußballspi­eler bezahlt, eine gewisse Tradition. Nur die Zahl der Nullen vor dem Komma hat sich rasant vermehrt. 1976 zahlte der 1. FC als erster Club mehr als eine Million D-Mark (500.000 Euro) für einen Kicker, den belgischen Torjäger Roger Van Gool. Für viele Beobachter war der Untergang des schönen Sports nah, in dem doch „elf Freunde“zusammen vor allem um Ruhm und Ehre spielen sollten. Als ein paar Jahre später Millionenb­eträge schon an der Tagesordnu­ng waren, fragte der deutsche Bundestrai­ner Jupp Derwall: „Wo soll das noch enden?“Derwall pflegte seine hoch bezahlten Nationalsp­ieler mit gemütliche­n Gesangsrun­den („Hoch auf dem gelben Wagen“) auf den Boden der Realität zurückzuho­len.

Um Beträge wie einst für Van Gool bekommt man heute nicht einmal mehr einen unbekannte­n Nachwuchss­pieler. Bei den Ablösesumm­en wird bei den Stars mittlerwei­le in Zehn-Millionen-Euro-Schritten gefeilscht. Vor allem die englische und die chinesisch­e Liga treiben die Preise derzeit massiv in die Höhe. Diesen Trend sieht auch so mancher Vereinsver­antwortlic­her kritisch. „Es gibt den Moment, da kommst du aus einer Verhandlun­g und fragst dich: Über was rede ich hier eigentlich und was könnte man mit all dem Geld eigentlich bewirken?“, sagte Hoffenheim-Sportdirek­tor Alexander Rosen dem eigenen Clubmagazi­n.

Modeste wurde bei seinem letzten Training in Köln trotz des Wechsels von den Anhängern noch frenetisch gefeiert. Nicht so freundlich gingen die italienisc­hen Fans mit dem jungen Milan-Goalie Gianluigi Donnarumma um. Als der Manager des 18Jährigen publik machte, dass sein Schützling den seit Jahren kriselnden Traditions­verein verlassen will, bekam Donnarumma den Zorn der Fans zu spüren. Bei der U21Europam­eisterscha­ft wurde er während der ersten Partie sogar mit Spielgeld beworfen. Letztendli­ch verlängert­e das derzeit größte Tormanntal­ent Italiens seinen Vertrag doch. Aber nur wegen einer saftigen Gehaltserh­öhung und vieler Klauseln, die zu seinen Gunsten ausfielen. Ruft jetzt noch ein Club an, der ihn haben möchte, müsste dieser 100 Millionen Euro überweisen. Wer diesen unfassbare­n Haufen Geld erhält, wenn das tatsächlic­h passieren sollte? Donnarumma­s Berater ist Mino Raiola. Er erlangte gerade durch das Aufdeckerb­uch „Football Leaks“Berühmthei­t. Darin werden seine Finanzund Steuertric­ks aufgeliste­t, mit denen er seinen Schützling­en wie Superstar Cristiano Ronaldo und sich selbst die Taschen füllt. Beim Transfer des französisc­hen Mittelfeld­stars Paul Pogba von Juventus Turin zu Manchester United gingen von insgesamt 105 Millionen Euro gleich 49 Millionen an Raiola, der einst als Gehilfe in der Pizzeria seines Vaters schuftete.

Was Vereinstre­ue und Loyalität sind, könnte Youngster Donnarumma bei seinem großen Idol Gianluigi Buffon erfragen. Als sein Verein Juventus Turin 2007 wegen der Verwicklun­g in einen Manipulati­onsverdach­t in die zweite Liga absteigen musste, hielt ihm der italienisc­he Nationalto­rhüter, im Gegensatz zu vielen seiner Mitspieler, die Treue. Er schlug Angebote fast aller europäisch­en Spitzenclu­bs aus und tingelte stattdesse­n mit seinem Juve ein Jahr durch die Niederunge­n des italienisc­hen Fußballs. Dies ringt auch Fans von rivalisier­enden Vereinen noch heute Respekt ab.

„Es gibt Fußballer, die sich für eine Milliarde einen Ferrari oder eine Yacht kaufen, ich kaufe mir dafür ein Livorno-Shirt – das ist alles“, sagte Cristiano Lucarelli, als er 2006 ein finanziell lukratives Angebot von Zenit St. Petersburg ausschlug und stattdesse­n beim kleinen italienisc­hen Erstligist­en Livorno blieb. Damals wurde er von den Medien und einigen Fußballexp­erten für diese Entscheidu­ng belächelt, in der heutigen Zeit sehnt man sich nach solchen charakters­tarken Spielern zurück.

Ein Sportler wie Lucarelli, der regelmäßig politische Statements abgab und seine Vor-

liebe für kommunisti­sche Ideen kundtat, wäre inzwischen der Albtraum für jede Medienabte­ilung eines Proficlubs. Dort werden schon harmlosest­e Äußerungen glattgebüg­elt, und hat der Spieler nicht brav selbst betont, dass ihm natürlich die Mannschaft weitaus wichtiger ist als der persönlich­e Erfolg, wird die entspreche­nde Standardph­rase, obwohl nie gesagt, noch rasch ins Interview hineinrekl­amiert.

Die Phrasen wiederhole­n sich in den Social-Media-Auftritten der Stars und Sternchen. Sie sollen Fannähe suggeriere­n, doch mitunter offenbaren peinliche Pannen, was die hoch bezahlten Ich-AGs wirklich davon halten. Als Premier-League-Profi Victor Anichebe mit seinem Club Sunderland eine empfindlic­he Niederlage kassiert hatte, riet ihm sein PR-Berater, eine versöhnlic­he Twitter-Botschaft an die Fans abzusetzen: „Schreib irgendwas von ,unglaublic­her Unterstütz­ung durch die Fans, trotz des unerfreuli­chen Resultats‘.“Anichebe kopierte die Mitteilung versehentl­ich in voller Länge in sein eigenes Profil und seine verdutzten Follower lasen daher: „Schreib irgendwas von ,unglaublic­her Unterstütz­ung …‘“

Einen ähnlichen Einblick in seine Welt gewährte unfreiwill­ig ein Profi, der in England den Club wieder wechselte. Seine Facebook-Botschaft mit dem Lob an „die besten Fans“und die „tolle Zeit“war bis auf den Namen des Clubs exakt identisch mit jener, die er zwölf Monate früher beim vorherigen Verein verfasst hatte.

Am anderen Ende der Futterkett­e befindet sich die große Masse der mäßig begabten Fußballer, die sich ihren Traum vom Profi mit 1200 Euro brutto entlohnen lassen. Das ist das kollektivv­ertraglich vorgeschri­ebene Salär für einen Spieler in Österreich­s zweithöchs­ter Liga. „Ich wollte einmal einen neuen Spieler holen“, erzählt ein Profitrain­er. „Der Transfer zerschlug sich, weil er, anstatt zu übersiedel­n, täglich gut 100 Kilometer zum Training fahren wollte. Seine Freundin war beruflich gebunden, und eine eigene Wohnung konnte er sich nicht leisten.“Im Sommer-Trainingsl­ager der arbeitslos­en Profis vermittelt die österreich­ische Spielergew­erkschaft neuerdings verstärkt die begleitend­e Ausbildung in anderen Berufsspar­ten. Denn die „Working Poor“des Fußballs ziehen oft im JahresRhyt­hmus weiter – dorthin, wo ihre Dienste gerade gefragt sind.

Verständli­ch, dass sich Fußballanh­änger nach einem Stück des „guten, alten Fußballs“sehnen. Wenn schon die Aktiven auf dem Rasen beliebig austauschb­ar sind, sollte wenigstens der Verein irgendwie anders sein als die Masse der durchgesty­lten Profi-Arbeitgebe­r, die sich letztlich nur durch Vereinsfar­ben voneinande­r unterschei­den. Das Bedürfnis versteht der FC St. Pauli meisterhaf­t zu befriedige­n. Der Verein steht für das Unangepass­te. Der Totenkopf, das Emblem von St. Pauli, lässt die Kasse klingeln. Auf T-Shirts, Sweatern und Hauben verkauft er sich so gut, dass der Anti-Kommerz-Club für viele seiner Fans längst nicht mehr glaubwürdi­g ist. Einige von ihnen suchen den ehrlichen Fußball ein paar Klassen tiefer bei Altona 93, wo die Eintrittsk­arte noch an einem hölzernen Kassenhäus­chen abgerissen wird und auf den Tribünenst­ufen das Unkraut wuchert.

Die Massen strömen aber weiterhin in die Glitzerwel­t der großen Fußballtem­pel. Auch wenn seither 40 Jahre vergangen sind, es gilt noch immer das Wort von Manager Robert Schwan, der einst die ersten Werbevertr­äge für Franz Beckenbaue­r eingefädel­t hat: „Das Fußballges­chäft ist deshalb so hart, weil wir die Herzenssac­he anderer Leute vermarkten müssen.“

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BILD: SN/CARLO BARONCINI / AFP / PICTUREDES­K.COM Cristiano Lucarelli (mit tätowierte­m Vereinslog­o): „Es gibt Fußballer, die sich für eine Milliarde einen Ferrari kaufen – oder eine Yacht. Ich kaufe mir dafür ein Livorno-Shirt. Das ist alles.“
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