Fußball pur
Treue vor Geld, auch das gibt es. Fußballer lieben ihren Verein. Fußballer lieben ihre Fans. Aber mehr noch lieben sie das Geld. Und das fließt im Profifußball in rauen Mengen. Vor allem die Chinesen fluten den Markt. Da kann kaum einer widerstehen. Einig
Es gab da so eine Theorie. Eigentlich hat man sich die nur selbst zusammengesponnen, es gab keinen Experten, der sie bestätigt hätte. Also: Einst war es so, dass Südamerika die tollsten Ballkünstler mit der tollsten Technik und dem tollsten Spielwitz hervorbrachte, aber die Mannschaften von Argentinien, Brasilien & Co. meist nur lausige Tormänner zwischen den Pfosten stehen hatten. Das reimte man sich so zusammen: Die Buben, damals waren es nur Buben, mussten lange vor einer möglichen Karriere auf staubigem, harten, steinigen Untergrund spielen. Das mag Technik und Spielwitz gefördert haben, für die Tormänner muss es die Hölle gewesen sein. Wer fliegt schon gerne einem Ball nach, wenn die Landung hart und schmerzhaft ist. Deshalb sind Torleute beim Hallenfußball ja auch ausgepolstert wie Michelin-Männchen.
Wer’s aber, und nun nähern wir uns dem Themenschwerpunkt von Thomas Gottsmann, Gerhard Öhlinger und Peter Gnaiger an, von der staubigen Gosse in die großen Stadien der Welt schafft, der kann richtig viel Geld verdienen. Vom Straßenjungen zum Multimillionär, das ist in diesem Geschäft kein Märchen.
Ein Märchen aber ist das, was ein deutscher Autokonzern zusammen mit dem Vermittler privater Ferienwohnungen den Teilnehmern eines Gewinnspiels verspricht: Eine Familie darf zwei Tage lang, während sich europäische Spitzenteams duellieren, in einem Münchner Stadion wohnen. Direkt am Spielfeldrand, in einer voll eingerichteten und rundum offenen Unterkunft mit Schlafzimmer und Couch. Kein Scherz. Aber ein Gag ...
Schönes Wochenende!
Das große Geschäft. Ab und zu kommt Vereinstreue im Fußball noch vor. Aber mit der Aussicht auf ein paar Millionen Euro ist sie schnell vergessen. THOMAS GOTTSMANN GERHARD ÖHLINGER
Diese Transferposse werden die Fans und Verantwortlichen in Köln lange nicht vergessen. Wochenlang dauerten die Verhandlungen zwischen dem deutschen Fußball-Bundesligisten Köln und dem chinesischen Club Tianjin Quanjian über den Wechsel von Anthony Modeste. Mitte Juli war es dann so weit: Der Topstürmer wechselte ins Reich der Mitte, wo derzeit mehr Geld im Umlauf ist als in den europäischen Topligen.
Seine Liebe zum Traditionsclub, den er in der vergangenen Saison mit 25 Toren zum ersten Mal seit 25 Jahren in den internationalen Bewerb schoss, kühlte ab, als die Millionen aus China lockten. Auch die KölnFans, die dem Franzosen trotz des Wechselwirrwarrs immer die Treue hielten, konnten ihn nicht umstimmen. Zu verlockend war das viele Geld. Rund elf Millionen Euro wird der Torjäger in Zukunft pro Jahr scheffeln. Schon in Köln verdiente Modeste in einem Jahr mehr als ein „Normalsterblicher“in seinem ganzen Leben. Einen Traum wird er sich aber trotzdem nicht verwirklichen können: für sein Heimatland Frankreich zu spielen. In China steht Modeste sportlich nicht mehr im Rampenlicht und wird von Nationaltrainer Didier Deschamps wohl gar nicht mehr wahrgenommen.
Gerade in Köln hat die Aufregung über enorme Beträge, die man für Fußballspieler bezahlt, eine gewisse Tradition. Nur die Zahl der Nullen vor dem Komma hat sich rasant vermehrt. 1976 zahlte der 1. FC als erster Club mehr als eine Million D-Mark (500.000 Euro) für einen Kicker, den belgischen Torjäger Roger Van Gool. Für viele Beobachter war der Untergang des schönen Sports nah, in dem doch „elf Freunde“zusammen vor allem um Ruhm und Ehre spielen sollten. Als ein paar Jahre später Millionenbeträge schon an der Tagesordnung waren, fragte der deutsche Bundestrainer Jupp Derwall: „Wo soll das noch enden?“Derwall pflegte seine hoch bezahlten Nationalspieler mit gemütlichen Gesangsrunden („Hoch auf dem gelben Wagen“) auf den Boden der Realität zurückzuholen.
Um Beträge wie einst für Van Gool bekommt man heute nicht einmal mehr einen unbekannten Nachwuchsspieler. Bei den Ablösesummen wird bei den Stars mittlerweile in Zehn-Millionen-Euro-Schritten gefeilscht. Vor allem die englische und die chinesische Liga treiben die Preise derzeit massiv in die Höhe. Diesen Trend sieht auch so mancher Vereinsverantwortlicher kritisch. „Es gibt den Moment, da kommst du aus einer Verhandlung und fragst dich: Über was rede ich hier eigentlich und was könnte man mit all dem Geld eigentlich bewirken?“, sagte Hoffenheim-Sportdirektor Alexander Rosen dem eigenen Clubmagazin.
Modeste wurde bei seinem letzten Training in Köln trotz des Wechsels von den Anhängern noch frenetisch gefeiert. Nicht so freundlich gingen die italienischen Fans mit dem jungen Milan-Goalie Gianluigi Donnarumma um. Als der Manager des 18Jährigen publik machte, dass sein Schützling den seit Jahren kriselnden Traditionsverein verlassen will, bekam Donnarumma den Zorn der Fans zu spüren. Bei der U21Europameisterschaft wurde er während der ersten Partie sogar mit Spielgeld beworfen. Letztendlich verlängerte das derzeit größte Tormanntalent Italiens seinen Vertrag doch. Aber nur wegen einer saftigen Gehaltserhöhung und vieler Klauseln, die zu seinen Gunsten ausfielen. Ruft jetzt noch ein Club an, der ihn haben möchte, müsste dieser 100 Millionen Euro überweisen. Wer diesen unfassbaren Haufen Geld erhält, wenn das tatsächlich passieren sollte? Donnarummas Berater ist Mino Raiola. Er erlangte gerade durch das Aufdeckerbuch „Football Leaks“Berühmtheit. Darin werden seine Finanzund Steuertricks aufgelistet, mit denen er seinen Schützlingen wie Superstar Cristiano Ronaldo und sich selbst die Taschen füllt. Beim Transfer des französischen Mittelfeldstars Paul Pogba von Juventus Turin zu Manchester United gingen von insgesamt 105 Millionen Euro gleich 49 Millionen an Raiola, der einst als Gehilfe in der Pizzeria seines Vaters schuftete.
Was Vereinstreue und Loyalität sind, könnte Youngster Donnarumma bei seinem großen Idol Gianluigi Buffon erfragen. Als sein Verein Juventus Turin 2007 wegen der Verwicklung in einen Manipulationsverdacht in die zweite Liga absteigen musste, hielt ihm der italienische Nationaltorhüter, im Gegensatz zu vielen seiner Mitspieler, die Treue. Er schlug Angebote fast aller europäischen Spitzenclubs aus und tingelte stattdessen mit seinem Juve ein Jahr durch die Niederungen des italienischen Fußballs. Dies ringt auch Fans von rivalisierenden Vereinen noch heute Respekt ab.
„Es gibt Fußballer, die sich für eine Milliarde einen Ferrari oder eine Yacht kaufen, ich kaufe mir dafür ein Livorno-Shirt – das ist alles“, sagte Cristiano Lucarelli, als er 2006 ein finanziell lukratives Angebot von Zenit St. Petersburg ausschlug und stattdessen beim kleinen italienischen Erstligisten Livorno blieb. Damals wurde er von den Medien und einigen Fußballexperten für diese Entscheidung belächelt, in der heutigen Zeit sehnt man sich nach solchen charakterstarken Spielern zurück.
Ein Sportler wie Lucarelli, der regelmäßig politische Statements abgab und seine Vor-
liebe für kommunistische Ideen kundtat, wäre inzwischen der Albtraum für jede Medienabteilung eines Proficlubs. Dort werden schon harmloseste Äußerungen glattgebügelt, und hat der Spieler nicht brav selbst betont, dass ihm natürlich die Mannschaft weitaus wichtiger ist als der persönliche Erfolg, wird die entsprechende Standardphrase, obwohl nie gesagt, noch rasch ins Interview hineinreklamiert.
Die Phrasen wiederholen sich in den Social-Media-Auftritten der Stars und Sternchen. Sie sollen Fannähe suggerieren, doch mitunter offenbaren peinliche Pannen, was die hoch bezahlten Ich-AGs wirklich davon halten. Als Premier-League-Profi Victor Anichebe mit seinem Club Sunderland eine empfindliche Niederlage kassiert hatte, riet ihm sein PR-Berater, eine versöhnliche Twitter-Botschaft an die Fans abzusetzen: „Schreib irgendwas von ,unglaublicher Unterstützung durch die Fans, trotz des unerfreulichen Resultats‘.“Anichebe kopierte die Mitteilung versehentlich in voller Länge in sein eigenes Profil und seine verdutzten Follower lasen daher: „Schreib irgendwas von ,unglaublicher Unterstützung …‘“
Einen ähnlichen Einblick in seine Welt gewährte unfreiwillig ein Profi, der in England den Club wieder wechselte. Seine Facebook-Botschaft mit dem Lob an „die besten Fans“und die „tolle Zeit“war bis auf den Namen des Clubs exakt identisch mit jener, die er zwölf Monate früher beim vorherigen Verein verfasst hatte.
Am anderen Ende der Futterkette befindet sich die große Masse der mäßig begabten Fußballer, die sich ihren Traum vom Profi mit 1200 Euro brutto entlohnen lassen. Das ist das kollektivvertraglich vorgeschriebene Salär für einen Spieler in Österreichs zweithöchster Liga. „Ich wollte einmal einen neuen Spieler holen“, erzählt ein Profitrainer. „Der Transfer zerschlug sich, weil er, anstatt zu übersiedeln, täglich gut 100 Kilometer zum Training fahren wollte. Seine Freundin war beruflich gebunden, und eine eigene Wohnung konnte er sich nicht leisten.“Im Sommer-Trainingslager der arbeitslosen Profis vermittelt die österreichische Spielergewerkschaft neuerdings verstärkt die begleitende Ausbildung in anderen Berufssparten. Denn die „Working Poor“des Fußballs ziehen oft im JahresRhythmus weiter – dorthin, wo ihre Dienste gerade gefragt sind.
Verständlich, dass sich Fußballanhänger nach einem Stück des „guten, alten Fußballs“sehnen. Wenn schon die Aktiven auf dem Rasen beliebig austauschbar sind, sollte wenigstens der Verein irgendwie anders sein als die Masse der durchgestylten Profi-Arbeitgeber, die sich letztlich nur durch Vereinsfarben voneinander unterscheiden. Das Bedürfnis versteht der FC St. Pauli meisterhaft zu befriedigen. Der Verein steht für das Unangepasste. Der Totenkopf, das Emblem von St. Pauli, lässt die Kasse klingeln. Auf T-Shirts, Sweatern und Hauben verkauft er sich so gut, dass der Anti-Kommerz-Club für viele seiner Fans längst nicht mehr glaubwürdig ist. Einige von ihnen suchen den ehrlichen Fußball ein paar Klassen tiefer bei Altona 93, wo die Eintrittskarte noch an einem hölzernen Kassenhäuschen abgerissen wird und auf den Tribünenstufen das Unkraut wuchert.
Die Massen strömen aber weiterhin in die Glitzerwelt der großen Fußballtempel. Auch wenn seither 40 Jahre vergangen sind, es gilt noch immer das Wort von Manager Robert Schwan, der einst die ersten Werbeverträge für Franz Beckenbauer eingefädelt hat: „Das Fußballgeschäft ist deshalb so hart, weil wir die Herzenssache anderer Leute vermarkten müssen.“