Axel und Rittberger vor der Wahl
Angesichts der gegenwärtigen Hitzewelle, in der nur noch wirklich hartgesottene Klimaleugner nicht schwitzen, muss auch die Politik ihr Scherflein zur Abkühlung beitragen. Daher sei heute der oberösterreichische FPÖ-Abgeordnete Hermann Brückl vor den luftigen Perlenvorhang gebeten.
Er hat im Parlament soeben eine Anfrage betreffend der Zahl der Rodel- und Bobunfälle in der Wintersaison 2016/17 gestellt. Und wenn man sich das bildlich vorstellt – tiefster Winter, verschneite Rodelhänge und eiskalte Kufen, die über das pickelharte Eis knirschen –, wird einem schon deutlich kühler.
Den Rest kann vielleicht eine historische Reminiszenz besorgen. Wussten Sie, dass Österreich einmal der Weltmit- telpunkt (in vor-islamistischer Zeit hätte man gesagt: das Mekka) des Eiskunstlaufs war? In der Zwischenkriegszeit stellte Österreich in dieser Sportart die unangefochtene Weltmacht Nr. 1 dar und heimste bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften die Goldmedaillen nur so im Akkord ein. Na, ist Ihnen schon kühler?
Nein? Dann weiter in der Geschichte. Der Grund für den Höhenflug der heimischen Eiskunstlaufkunst hieß Eduard Engelmann und war Tapetenfabrikantensohn. Auf seinem Firmengelände in Wien gelang ihm eine bahnbrechende Erfindung: die erste Kunsteisbahn der Welt. Schon kühler, gell?
Das Kunsteis ermöglichte erstmals ganzjähriges Eislaufen, und diesen Trainingsvorsprung vermochte vor allem Engelmanns Schwiegersohn Karl Schäfer in Seriensiege bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften umzumünzen bzw. umzu-goldmedaillieren.
Heute würde man Engelmanns Erfindung ein erfolgreiches „Start-up“nennen und sämtliche Wahlkämpfer vom Bundeskanzler abwärts würden herbeieilen, um dem erfolgreichen Start-upper die Hand zu schütteln.
Damals, in der Zwischenkriegszeit, war das noch nicht so, denn die österreichischen Bundeskanzler waren damals so kurz im Amt (einer sogar nur für einen Tag), dass zwischen Schreibtischeinund -wiederausräumen wenig Zeit zum Händeschütteln blieb.
Aber zurück zum kühlenden Hauptthema: Der Eiskunstlauf weist eine interessante Parallele zur Politik auf, nämlich die Neigung zur späten Tat. Die Eiskunstläufer werden ja von Preisrichtern bewertet und da man deren Erinnerungsfähigkeiten offensichtlich nicht allzu hoch veranschlagt, neigen die Athleten dazu, die größten Schwierigkeiten ihres Programms wie den mehrfachen Rittberger, Axel oder Salchow möglichst erst am Ende ihrer Kür zu zeigen. Damit sie die Richter beim Richten nicht schon wieder vergessen haben.
Ganz ähnlich ist das in der Politik. Auch dort gelten Kunststücke am Beginn einer Legislaturperiode als sinnlos und als verpulverte Energie. Die wirklich schwierigen Sachen, also quasi die vierfachen Polit-Rittberger, werden erst unmittelbar vor der Wahl gezeigt.
Wobei die Betonung auf gezeigt liegt. Denn während Eiskunstläufer den dreifachen Salchow wirklich aufs (Achtung, Kühlung!) kalte Eis setzen, belassen es die Wahlkämpfer dabei, den Willen zur dreifachen größten Steuerreform aller Zeiten oder zur vierfachen Staats- und Verwaltungsreform theoretisch anzuzeigen. Die praktische Durchführung ihrer Ankündigung stellen sie für die Zeit nach der Wahl in Aussicht.
Ob das im Eiskunstlauf auch funktionieren würde? Angenommen, ein Athlet kündigt heute für den nächsten Olympia-Wettkampf den sechsfachen Axel an. Bekäme er allein für diese Ansage die Goldmedaille? Eher fraglich.
Das ist es also, was Eiskunstlauf und Politik voneinander unterscheidet. Falls Sie beides kaltlässt, ist in Anbetracht der momentanen Außentemperaturen schon viel gewonnen.