Ohne Angebote geht’s nicht
Die Landflucht ist weiblich. Minister Rupprechter will das ändern. Ein Schlüssel dazu ist flexible Kinderbetreuung. Eine Bürgermeisterin appelliert an Kollegen, „über den Tellerrand zu schauen“.
WIEN. Die erste Frage, wenn junge Familien in ihre Gemeinde ziehen wollten, laute meist: „Wie schaut’s mit der Kinderbetreuung aus?“, erzählt Simone Schmiedtbauer, Bürgermeisterin der Grazer Umlandgemeinde Hitzendorf. Betreuung müsse es schon für die Kleinsten geben, denn: „Junge Frauen können es sich nicht mehr leisten, die volle Karenzzeit zu Hause zu bleiben.“Wenn man Eltern Wahlfreiheit geben wolle, brauche es daher das volle Angebot bei der Kinderbetreuung. Für Politiker gelte: „Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit“, sagt sie.
Schmiedtbauer steht ihrer 3500-Einwohner-Gemeinde seit 2013 vor. 2015 wurden im Rahmen der Gemeindereform drei Gemeinden unter dem Dach der Marktgemeinde fusioniert. Heute gibt es drei Kindergärten. In einem alten Gemeindehaus, das seit der Fusion nicht mehr gebraucht wird, wurde eine Kinderkrippe untergebracht, Tagesmütter werden gefördert. Mit einer privaten Betreuungseinrichtung, deren Kindergarten zuletzt nur noch vier Kinder betreute, wurde hingegen der Vertrag gekündigt, weil sich der Betreiber weigerte, die Öffnungszeiten auszuweiten. Zu Mittag zusperren gehe heute nicht mehr, sagt Schmiedtbauer.
Dem stimmt Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter zu. In seinem Masterplan zur Entwicklung des ländlichen Raums ist ein zentraler Punkt, dass man der weiblichen Landflucht entgegenwirken will. Gelinge es nicht, junge Frauen, die für ihre Ausbildung in die Stadt gehen, zurückzuholen, werde diese Entwicklung nicht gestoppt, betont der Minister im SN-Gespräch. Flexible Kinderbetreuung sei ein Schlüssel, um den Frauen die entsprechende Perspektive zu geben. Die Rahmenbedingungen müssten auf dem Land genauso stimmen wie in der Stadt: vom Kindergarten bis zum Schulhort alles so zu organisieren, „dass man ganztägig arbeiten gehen kann“, sagt er. „Da müssen wir teils auch an unserem Frauenbild auf dem Land noch arbeiten“, sagt Rupprechter. Immer noch höre er, wenn es um Ganztagsbetreuung gehe: „Die wollen uns unsere Kinder wegnehmen.“Dabei gehe es schlichtweg darum, ein sinnvolles Angebot für alle zu schaffen.
Sowohl Rupprechter als auch Schmiedtbauer betonen, dass das Bewusstsein bei den Bürgermeistern bereits groß sei. Natürlich müsse den Gemeinden von Bund und Ländern bei den Kosten unter die Arme gegriffen werden, sagt Schmiedtbauer. Vor allem in Regionen mit starker Abwanderung appelliert Schmiedtbauer an ihre Amtskollegen, „etwas über den Tellerrand zu schauen“und über die Gemeindegrenzen mehr zu kooperieren. „Es gibt so viele leere Gebäude. Die kann man wiederbeleben. Ob mit Kinderbetreuungseinrichtungen oder anderem“, sagt sie. Mit Umdenken wäre vieles möglich.
Diese Woche stellt Rupprechter jene Studie vor, die für den Masterplan zur Entwicklung des ländlichen Raums erstellt wurde: Darin geht es neben der weiblichen Landflucht um Verteilung von Bundesstellen auf die Länder, Digitalisierung, Arbeitsplätze bis zur Pflege.
„Zu Mittag zusperren geht nicht mehr.“S. Schmiedtbauer, Bürgermeisterin