Dämme gegen autoritäre Strömungen
Der Kampf gegen undemokratische und autoritäre Machtgelüste ist eine Pflicht nicht nur für Politiker, sondern für jeden Bürger und jede Bürgerin.
Die Angriffe auf demokratische Sitten rollen schon seit etlichen Jahren. Sie sind spürbar in den jungen Demokratien Osteuropas, die erst seit dem Zusammenbruch des totalitären kommunistischen Blocks ihre Schritte in Richtung Rechtsstaatlichkeit, Liberalität und demokratische Spielregeln gelenkt haben. Die Beispiele Ungarn und Polen zeigen recht deutlich, wie nationalistische Politiker mit autoritärem Gehabe versuchen, nach und nach den gesellschaftlichen Konsens durch administrative Maßnahmen auszuhöhlen und demokratische Institutionen zu unterminieren. Es sind erstaunlicherweise nicht Altkommunisten, die sich da in der Abschaffung der Demokratie üben, sondern eher konservative Politiker, die ihre Klientel mit nationalistischen Slogans begeistern wollen.
In Westeuropa haben diese Parteien in jüngster Zeit einige Dämpfer erhalten, ohne dass es schon Anlass gäbe, sich erleichtert zurückzulehnen. Die Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich haben den rechten Parteien nicht jene Erfolge gebracht, die sie sich erhofft hatten. Dort und auch bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich hat sich gezeigt, dass die Neigung großer Wählergruppen, sich auf ein nationalistisches Experiment einzulassen, sehr schwach entwickelt ist. Das kann sich aber jederzeit wieder ändern. Jede Verstärkung einer Flüchtlingswelle aus Afrika oder dem Nahen Osten, jeder Terroranschlag in Europa hätte das Potenzial, den Populisten Stoff für Propaganda zu liefern und den Sinn großer Wählergruppen wieder in eine ganz andere Richtung zu lenken.
Seit mit der Wahl Donald Trumps zum USPräsidenten die autoritären Tendenzen Zugriff auf ein Land gewonnen haben, dessen politische Gründungsvoraussetzung die liberale Demokratie war, gibt es Anlass zu weit größerer Sorge. Denn das Muster, mit dem autoritäre Populisten Macht erringen und dann zu festigen versuchen, wird unter Trump in den USA wieder deutlich sichtbar.
Der Mann und seine Einflüsterer müssen sich dabei keineswegs die Mühe machen, Kreativität zu entwickeln. Sie kopieren einfach das russische Modell des Autokraten Wladimir Putin. Die Wahrheitsverdrehung, die „alternativen Fakten“, die Diffamierung jeglicher abweichender und nicht genehmer Berichterstattung als „fake news“– das alles hat nicht so sehr den Zweck, die Tatsachen zu verdrehen, als das Publikum völlig zu verwirren. Die Verdrehungen und die Lügen der Herrschenden vergiften nicht nur das Meinungsklima, sondern hinterlassen schließlich den Eindruck, dass es keine Wahrheit mehr gibt.
Nichts ist mehr sicher, weil alles und jedes infrage gestellt wird. Aber nicht, um den Tatsachen auf den Grund zu gehen, sondern um eine Nebelwand des grundsätzlichen Zweifels um das Leben zu legen. Alles, was liberal und demokratisch ist, was den zivilisierten Umgang der Menschen miteinander fördert, wird von den Trumps und Orbáns, den Kaczyńskis und Erdoğans dieser Welt infrage gestellt, als „Lüge“, als falsch verstandene „political correctness“diskreditiert.
Wenn aber niemand mehr irgendjemandem trauen kann, wenn es keine Wahrheit mehr gibt, dann fällt es den Bürgerinnen und Bürgern schwer, für eine Wahrheit zu kämpfen, sich gegen die autoritären Tendenzen dieser Politiker zur Wehr zu setzen.
Die Verteidiger einer politischen Kultur der Liberalität haben lange Zeit den Fehler begangen, auf die Vernunft dieser autoritären Politiker zu hoffen. Donald Trump, so dachten sie, werde schon an seinem Amt reifen, er werde – umstellt von klugen Beratern – schon zur Vernunft kommen. Die Institutionen der „checks and balances“haben in den USA bisher funktioniert. Doch der Mann wühlt weiter, um genau diese Institutionen auszuhöhlen.
Deshalb ist es in den USA, in Ungarn, in Polen, in der Türkei und wo immer sich autoritäre Politiker in eine Machtposition manövrieren, notwendig, dass die Bürger selbst gesellschaftlichen Widerstand gegen diese Tendenzen leisten. Das beginnt bei gesundem Misstrauen gegen die Propaganda der Mächtigen, bei kritischem Medienkonsum, beim bewussten Einhalten der Regeln von Höflichkeit und ziviler Mäßigung. Wir müssen uns den Begriffen und Parolen der antidemokratischen Manipulatoren widersetzen, weil nur so ein Damm gegen die von autoritären Mächten gewünschte Verrohung zwischenmenschlicher Beziehungen errichtet werden kann.