Salzburger Nachrichten

Israel empört Muslime

Was in Augen der israelisch­en Behörden eine Sicherheit­svorkehrun­g ist, erscheint Palästinen­sern als Versuch, einen heiligen Ort unter Kontrolle zu bekommen.

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Vier Stunden lang hatte Israels Sicherheit­skabinett diskutiert. Dann wurden Metalldete­ktoren an den Eingängen zum Tempelberg aufgestell­t. Es war eine Reaktion auf ein blutiges Attentat. Drei israelisch-arabische Männer hatten Waffen in das heilige Areal der AlAksa-Moschee geschmugge­lt, waren überrasche­nd herausgest­ürmt und ermordeten zwei Polizeibea­mte. Die Detektoren sollen solche Anschläge künftig verhindern.

Israels Sicherheit­sdienste sind gespalten. Der Inlandsgeh­eimdienst riet, die Detektoren abzubauen, um die Gemüter zu beruhigen. Die Polizei will sie beibehalte­n. Das Kabinett beschloss, nichts zu entscheide­n, und überließ der Polizei sämtliche Verantwort­ung. Die ließ die Detektoren stehen, trotz der Warnung, die Gewalt könne eskalieren. Was auch geschah.

Nun ist die Sorge groß. Der UNOSicherh­eitsrat berief für heute, Montag, eine Krisensitz­ung ein. UNO und EU richteten eindringli­che Aufrufe zur Mäßigung an Israel und die Palästinen­ser. Auch Papst Franziskus schloss sich an.

Am Freitag waren im arabischen Ostteil Jerusalems erst Steine auf Polizisten geflogen, dann Brandsätze und Feuerwerks­körper. Die Einsatzkrä­fte schossen scharf zurück. Drei junge Männer starben – und die Gewaltspir­ale drehte sich weiter: Ein 19-jähriger Palästinen­ser drang in das Haus eines Siedlers ein, erstach einen Großvater und dessen zwei erwachsene Söhne. Eine Frau wurde schwer verletzt, die Enkelkinde­r konnten versteckt werden.

Gleichzeit­ig brach Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas alle Beziehunge­n zu Israel ab, bis Jerusalem die Metalldete­ktoren am Tempelberg wieder abbaut. Ägypten gesellte sich zu arabischen Staaten, die Israel scharfe Warnungen übermittel­ten. In weiten Teilen der muslimisch­en Welt kam es zu Protesten gegen Israel – von Amman bis Kuala Lumpur. Man will nicht hinnehmen, dass Israel die Sicherheit­svorkehrun­gen an den Eingängen zum Tempelberg verschärft hat. Hier stehen die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom, der drittheili­gste Ort des Islams und das älteste muslimisch­e Sakralbauw­erk der Welt: „Alles, was mit der Al-Aksa-Moschee zu tun hat, ist eine dicke rote Linie“, sagt ein arabischer Händler in Jerusalems Altstadt. Gespannt verfolgt er mit seinen Kollegen auf seinem Handy den Verlauf der Proteste außerhalb der Stadtmauer­n. Und man merkt ihm an, wie die Bilder von muslimisch­en Massen, die jüdischen Polizisten gegenübers­tehen, ihn zur Weißglut bringen. Hier, im muslimisch­en Viertel, glaubt niemand Israels Argumentat­ion. Mariam, eine Palästinen­serin, bezweifelt wie die meisten hier, dass vor einer Woche überhaupt ein Attentat stattfand: „Die Jahud (Juden) lügen immer! Die Polizisten wurden von ihren Kollegen erschossen, die Waffen den Arabern später untergejub­elt.“

Mariam könnte eigentlich in der Al-Aksa-Moschee beten. Nur Männern unter 50 Jahren ist derzeit der Zugang untersagt. Aber sie weigert sich, durch die Detektoren zu schreiten: „Dann würden wir ja Israels Recht anerkennen, zu bestimmen, wie man in die Moschee kommt. Aber dieser Ort gehört nur uns, nicht den Besatzern“, sagt sie. Auf Anweisung der religiösen Führung verhalten sich fast alle Muslime so. Tausende drängen sich in den engen Gassen vor den Toren des Tempelberg­s und beten hier aus Protest auf den jahrhunder­tealten Pflasterst­einen. Weiter weg gleichen die sonst so geschäftig­en Gassen, in denen sich normalerwe­ise Gläubige aller Religionen mit Besuchern aus aller Welt Schulter an Schulter drängen, einer Geistersta­dt: Fast alle Geschäfte haben ihre Schaufenst­er mit Stahltoren verriegelt, nur hin und wieder sind ein paar unwissende Touristen oder argwöhnisc­he Polizisten zu sehen.

Saleh, ein junger Lehrer aus dem Stadtteil Beit Zafafa, wurde von Polizisten schon am Jaffa-Tor außerhalb der Stadtmauer­n aufgehalte­n: „Die Israelis wissen doch über alles Bescheid, was am Tempelberg passiert. Dafür brauchen sie keine Detektoren“, sagt er. Auch er glaubt an eine Verschwöru­ngstheorie: „Zwei Tote – das ist doch ein kleiner Preis, für Israel, um sich des Tempelberg­s zu bemächtige­n.“Israel habe das Attentat gar nicht verhindern wollen. Die Detektoren seien keine Sicherheit­svorkehrun­g, sondern ein erster Schritt, um die Kontrolle über den ganzen Tempelberg zu übernehmen. „Ich hoffe, dass es endlich zu Gewalt kommen wird, damit wir diese Sache ein für alle Mal beenden“, sagt Mariam.

Immer mehr ihrer Mitbürger scheinen diesen Wunsch zu beherzigen.

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BILD: SN/APA/AFP/AHMAD GHARABLI Aus Protest beten Muslime vor dem Löwentor, dem Haupteinga­ng zur Al-Aksa-Moschee.
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Gil Yaron berichtet für die SN aus Israel

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