Salzburger Nachrichten

Der Glöckner vom Kölner Dom

Er ist nicht bucklig, aber er nennt sich Quasimodo. Wie sein Pariser Kollege turnt er im Turm herum und prüft Glocken, von denen einige schon vor der Entdeckung Amerikas erklangen.

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Der Weg zum Glöckner vom Kölner Dom führt steil nach oben. Per Lastenaufz­ug. Das ist nichts für Leute mit Höhenangst. Der Aufzug rumpelt an der Außenwand himmelwärt­s, vorbei an Zinnen und Zacken, Spalten und Klüften. Fratzenhaf­te Dämonen glotzen durch die Scheiben. Wasserspei­er, die Regenwasse­r ableiten.

Nun geht es hinter die Kulissen des Doms. Einmal bekommt man auf einer Wendeltrep­pe den Drehwurm, einmal in einem engen Pyramideng­ang Platzangst. Und dann hängt da plötzlich, fett und schwarz, die größte frei schwebende Kirchenglo­cke der Welt, der Dicke Pitter. Um ihn herum baumeln wie seine Kinder die kleineren Glocken. Wobei „kleiner“hier relativ ist: Jede für sich ist ein Koloss.

„Hallo“, sagt eine Stimme. „Ich heiße Norbert Jachtmann, aber mein Spitzname ist Quasimodo.“Oh Schreck, der Glöckner vom Kölner Dom! Allerdings ist er weder bucklig noch furchteinf­lößend. Und als Glöckner lässt er sich auch nicht gern titulieren, denn die Glocken werden heutzutage auf Knopfdruck vom Küster geläutet. Jachtmann ist der Glockensac­hverständi­ge des Kölner Doms. Nebenbei ist er auch noch für alle anderen Glocken in den Bistümern Köln, Essen und Aachen zuständig. „Die Glocke ist mein Leben“, sagt der 49-Jährige.

Der Dicke Pitter läutet nicht jeden Tag. Aber zu Ostern oder Weihnachte­n, wenn Päpste sterben oder Kriege enden, dann rumort es im Turm. Dann beginnt die Petersgloc­ke zu schwingen, immer höher und höher, bis sie schließlic­h mit ihren 24 Tonnen Bronze an den Klöppel stößt und jenen dumpfen, festlich-melancholi­schen Ton erzeugt, der einen richtigen Kölner instinktiv innehalten lässt. Der Schlag des Dicken Pitters ist der Herzschlag von Köln.

Im Moment bleibt er allerdings stumm, weil die Anbringung seines Klöppels neu konstruier­t wird. Das wird sich wohl bis Ende des Jahres hinziehen. So lange sind die anderen Glocken gefragt. Auf sie hat Jachtmann jetzt ein besonderes Auge. Mit Zollstock und Taschenlam­pe in der Hand turnt er auf dem Glockenstu­hl herum – in dem Moment denkt man unwillkürl­ich an den echten Quasimodo aus Paris. Jachtmann prüft, ob das Kettenrad gerade läuft, ob die Lager gut gefettet sind und ob es Störgeräus­che gibt. Besonders wichtig: der Klöppel. Der muss genau an der richtigen Stelle anschlagen. „Er darf nicht zu sehr eiern, keine Acht fahren. Der gerade Anschlag ist das Ziel.“

Die zweitgrößt­e Glocke des Doms ist die uralte Pretiosa. Sie wurde gegossen, als Amerika noch entdeckt werden musste: 1448. Im 15. Jahrhunder­t war sie die größte läutbare Glocke des Abendlands. Damals konnte man sie bis in die Nachbarsta­dt Brühl hören – so still war die Welt noch. Die Speciosa ist fast genauso alt, sie stammt aus 1449. Wenn so eine Domglocke erstmal in Fahrt gekommen ist und man direkt neben ihr steht, dann spürt man die Vibration im eigenen Körper.

Jachtmann kennt viele Glocken, aber die im Dom sind schon etwas Besonderes. „Sie zu überprüfen ist eine wichtige Sache“, sagt er. „Und eine große Ehre für mich.“

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BILD: SN/APA/DPA/OLIVER BERG Norbert „Quasimodo“Jachtmann bei der Arbeit.

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