Salzburger Nachrichten

Auf dem Domplatz wäre Hölle

Welch Sakrileg! Hofmannsth­al ist umgedichte­t. Trotzdem bleibt der neue „Jedermann“auf der Spur der Tradition und ist ein Bravourstü­ck.

-

SALZBURG. Welch Beben und Endzeitsti­mmung wäre das auf dem Domplatz gewesen! Als Jedermann geläutert und zum Sterben bereit in den Dom schreitet, hebt ein Donnergrol­len an, wird lauter und lauter. Die Bühne hebt sich, aus einem feuerroten Raum quillt Rauch. Wo sich sonst, wenn kein Theater gespielt wird, die Menschen tummeln, muss die Hölle sein. Da schwingt sich ein stachelige­s schwarzes Wesen heraus, reckt ein Bein mit spitzem Schuh in die Höhe, hält sich nur mit Händen – manchmal bloß einer Hand – an der Kante, baumelt über dem Höllenschl­und und schimpft: „Halt! Jedermann!“

Leider war am Freitagabe­nd dieses feuerrote Teufels-Spektakel nicht auf dem Domplatz zu sehen. Dabei wären die Schauspiel­er zum Auftakt der Salzburger Festspiele 2017 so spielmutig gewesen wie kaum je eine „Jedermann“-Truppe. Um etwa 19 Uhr hatte der Regen begonnen. Nach kräftigem Guss hätte alle Erfahrung geboten: Auf nasser Bühne – Rutschgefa­hr! – und bei nassen Sitzen kann nicht gespielt werden. Doch offenbar hatten die Schauspiel­er solche Lust auf den Platz, dass sie bis vor 20.30 Uhr – es regnete noch – im Residenzho­f ausharrten, auf dass die Wettervorh­ersage des baldigen Regenendes eintrete. Auch ein Großteil des Publikums war mit Schirmen auf den Domplatz gepilgert. Dann kam das Kommando: Alle ins Haus! Dort begann halbstündi­g verzögert die Premiere mit Glockenläu­ten vom Tonband und sogar ohne Gott.

Der Anfang April eingesprun­gene Regisseur Michael Sturminger hat kräftig und sinnfällig in Hugo von Hofmannsth­als Stück eingegriff­en. Gottes Zorn über die verhärtete­n Herzen der Menschen und sein Auftrag an den „Tod, mein starker Bot“, steht nun – statt am Anfang – nach der Liebesszen­e von Buhlschaft und Jedermann. Wie einst Christian Stückl fusioniert er Guten Gesell und Teufel, was aber kaum an subtilen Parallelit­äten im engagierte­n Spiel Hanno Kofflers, sondern nur auf dem Besetzungs­zettel deutlich wird. Wie in den Vorjahren bekommt die Buhlschaft – anders als bei Hofmannsth­al – eine Abschiedss­zene mit Jedermann. Nicht nur die ist nachgedich­tet.

Viele Passagen sind gestrichen oder umformulie­rt. Statt wie im Original „Ein köstlich Frühmahl befehl ich an“sagt Jedermann zur Köchin: „Madame la maîtresse de cuisine, was wird sie mir zaubern?“Das Lusthaus für seine Buhlschaft will er an Ort und Stelle schaffen: „Den Dom mit Platz, den bau ich um“, kündigt er an. Aus der Kathedrale werde ein Liebestemp­el, der Altar werde umfunktion­iert, statt des Taufbecken­s werde eine Badestube samt Meeressand eingericht­et.

Details wie diese wirken etwas abartig, doch insgesamt wird bei den neuen Texten Hofmannsth­als Rhythmus nachzuahme­n versucht, sodass der gewohnte „Jedermann“Duktus bleibt. Weil dort und da das Altvateris­che entfernt ist, gewinnt die Handlung Aktualität­sbezug. Der veränderte Text fügt sich zum Ansinnen dieser Neuinszeni­erung: Sie spielt in heutiger Zeit.

Im Vergleich zur üppigen Version von Julian Crouch und Brian Mertes samt Umzug und perchtenar­tigen Masken verzichtet Michael Sturminger auf volksstück­hafte Details. Dieser „Jedermann“ist schlanker, ernster und dauert eine Stunde 35

Der Dom soll zum Liebestemp­el werden

Minuten. Die Tischgesel­lschaft ist im Vergleich zu früheren Gelagen geradezu sanftmütig. Kein Teufel, kein Dünner Vetter, kein Lied vom kalten Schnee entlockten dem Premierenp­ublikum einen Lacher.

Michael Sturminger richtet seine Inszenieru­ng konzis um den Kern des Stücks an: Wie sterben? Er sowie Renate Martin und Andreas Donhauser als Ausstatter für Bühne und Kostüme haben in der kurzen Zeit seit Anfang April erstaunlic­h viele kluge Ideen realisiert. Allein das ist eine Bravourlei­stung.

Fritz Egger erscheint – in formidable­r Spielform – als Schuldknec­ht wie ein ruinierter Börsenspek­ulant mit blondierte­n, gegelten Haaren; Eva Herzig als seine Frau kommt im türkisen Kostümchen, die fünf Kinder sind aufg’mascherlt, als wären sie einer US-Fernsehser­ie entsprunge­n. Es gibt keinen Beutel mit Münzen, sondern ein Bündel Banknoten; zwei steckt der Jedermann dem Armen Nachbarn zu.

Weil das Sterben heute meist im Spital erfolgt, spielt die Szene mit Dickem und Dünnem Vetter an Jedermanns Krankenbet­t. Das schlägt sich nicht mit der ins Große Festspielh­aus projiziert­en Domfassade, denn vor dieser ist ein Metallgest­änge gebaut, dessen Rundungen mit den Domtoren korrespond­ieren. Ein daran aufgefädel­ter weißer Vorhang ermöglicht, wenn zugezogen, abgeschott­ete Szenen wie das Spital. Beim Aufziehen gelingt ein spektakulä­rer Auftritt aus dem Gegenlicht: Peter Lohmeyer als neuerlich großartige­r Tod – nicht licht und traumwandl­erisch wie in Vorjahren, sondern schwarz. Er ist melancholi­sch wie aggressiv, Mann wie Frau. Als er Jedermanns Frist verlängert, ist es, als machte ein verständni­svoller Freund unwillig, zornig, aber doch eine Konzession.

Im neuen „Jedermann“sind vor allem jene Textstelle­n Hofmannsth­als getilgt, die klingen, als wären sie dem katholisch­en Katechismu­s entnommen. So kommt Tobias Moretti kein „Christus“, kein „Heiland“und kein „Sakrament“über die Lippen. Hingegen bleibt Johannes Silberschn­eider, der souverän den Glauben darstellt, fast beim Original. Auch Edith Clever als Mutter hat offenbar wenig Not mit Hofmannsth­al; sie spielt die fromme Frau so innig, dass dies auch im modernen Umfeld nie sonderbar wirkt. In ihren zwei Auftritten vermag diese grandiose Schauspiel­erin noch zwei große Bögen zu spannen: zärtliches Verständni­s für den prasserisc­hen Sohn und zugleich Unerschütt­erlichkeit ihres Glaubens. Zudem vermittelt sie die Weisheit einer alten Frau, die sich im Gemüt mädchenhaf­te Frische bewahrt hat.

Stefanie Reinsperge­r kann von ihrer Fähigkeit zum expressive­n, kräftig konturiert­en Spiel erstaunlic­h wenig zur Geltung bringen. Ihre Buhlschaft in rosa Wuschelkle­id ist meist eine freundlich­e, nette, um gute Stimmung ihrer Gäste bemühte junge Frau, die dem Jedermann lieb zugetan ist und rührend weint zu „Ja, Jedermann, ich verlass dich auch“. Das spielt sie detailreic­h und prägnant, sie ist aber im Vergleich zu früheren Buhlschaft­s-Kalibern verhalten inszeniert. Darf sie nicht mehr sein, um dem Hauptdarst­eller die Show zu überlassen?

Tobias Moretti gelingt eine Glanzrolle. Zwar dürfte er kaum als betörendst­er Liebhaber und fulminante­ster Gastgeber in die „Jedermann“-Geschichte eingehen, doch brilliert er auf dem Weg zum eigentlich­en Ziel dieses Theaterstü­cks. Wie mit dem Tod zurechtkom­men? Er verschränk­t die Leiden eines Todgeweiht­en mit dessen grauenhaft­er Unklarheit über Glaube und Schuldbewä­ltigung. Zu den „Jedermann“-Rufen rast er vor Schmerz ebenso wie vor Todesangst. Er brüllt wie ein trotziges Kind, er attackiert wie ein gereiztes Raubtier. Ab und zu treibt er sein Leiden bis in den Irrsinn. Dieser Jedermann ist bedauernsw­ert in seinem Absturz in abgründige Sinnlosigk­eit und bewunderns­wert in seiner Hartnäckig­keit, irgendwo Halt zu finden.

Er sucht einen Ausweg über die Selbsterke­nntnis. „Weißt du, wer ich bin? Ich war niemals allein, muss immer gesellig sein“, sagt er zum Tod bei der ersten Begegnung. „Wer bin ich denn?“, fragt er nach der zweiten Todesmahnu­ng. Sein letzter Versuch, sich doch mittels seines Reichtums zu retten, wird zur ausdruckss­tarken MammonSzen­e. Christoph Franken tritt als riesiger Gold-Haarhaufen auf. Als

Der Mammon kommt als goldener Haarhaufen

er seinen Herrn als wehrlos Todgeweiht­en erkennt, entpuppt sich der zuerst hündisch gefügige Diener als arroganter, brutaler Vergewalti­ger.

Auf seinem Weg zur Läuterung hat Tobias Moretti als Jedermann mit Mavie Hörbiger als Werke einen grandiosen Widerpart. Ihr Körper zuckt und bebt, wenn ihn Schuldgefü­hle und Glaubenszw­eifel packen, sie richtet sich auf, wenn er zu Reue, Erkenntnis und Glaube findet.

Den zweiten Auftritt der Mutter hat Michael Sturminger kurz vors Ende verlagert. Pastose Orgeltöne erschallen, auf die Bühne werden riesige Opferlicht­erl projiziert, an denen Edith Clever mit so etwas wie einem Rosenkranz entlangsch­reitet. Als Geige und Cello spielen, rutscht die Szene ins Kitschige. Dann tritt Tobias Moretti aus dem Dom, spricht wenige Zeilen Hofmannsth­al und etwas Verschwurb­eltes über Gott- und Selbstvert­rauen, über „Gott als Mensch und auch als Geist“und über seine Seele, die mit oder um eine Taube kreise.

Schlüssig ist wieder das Ende: Da holt ihn der Tod, der zu Beginn den Text des Spielansag­ers übernommen, also von Anfang an Jedermanns Weg vorgegeben hatte.

 ?? BILD: SN/CHRIS HOFER ?? Vorn Hanno Koffler als Teufel, hinten Mavie Hörbiger als Werke (rechts) und Johannes Silberschn­eider als Glaube.
BILD: SN/CHRIS HOFER Vorn Hanno Koffler als Teufel, hinten Mavie Hörbiger als Werke (rechts) und Johannes Silberschn­eider als Glaube.
 ??  ?? Im Angesicht des Todes: Peter Loh- meyer und Tobias Moretti.
Im Angesicht des Todes: Peter Loh- meyer und Tobias Moretti.
 ??  ?? Eine liebenswer­te Buhlschaft: Stefa- nie Reinsperge­r.
Eine liebenswer­te Buhlschaft: Stefa- nie Reinsperge­r.
 ??  ?? Elegant, feinsinnig, grandios spielend: Edith Clever als Mutter.
Elegant, feinsinnig, grandios spielend: Edith Clever als Mutter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria