Salzburger Nachrichten

Ein Puppenspie­ler darf Oper machen

Eigentlich ist die romantisch­e Feenoper „Oberon“von Carl Maria von Weber ein ideales Sujet, Sänger und Puppen zusammenzu­bringen. Und wenn dann noch ein Meister dieser Kunst wie Nikolaus Habjan am Werk ist: Was kann passieren?

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Noch mehr Puppen auf der Opernbühne! Nur einen Tag, nachdem bei den Bregenzer Festspiele­n das Figurenthe­ater von Hotel Modern für erstaunlic­h umstritten­e Akzente in Rossinis „Mosè in Egitto“gesorgt hatte, bot das Prinzregen­tentheater in München, bei der zweiten Premiere der Münchner Staatsoper zu den Opernfests­pielen, die Bühne für den 29-jährigen Jungstar der Puppenspie­lkunst, den Grazer Nikolaus Habjan. Seine erste Opernregie, Carl Maria von Webers kaum gespielter „Oberon“, geriet, wenn wir es despektier­lich formuliere­n wollen, zu einer Art Kindergebu­rtstag. Einem spielfreud­igen Jungen wurde alles bereitgele­gt, um die „romantisch­e Feenoper“von 1826 mit dem Zauber der Fantasie auszustatt­en.

Das Märchen vom französisc­hen Kreuzritte­r Hüon von Bordeaux und der Kalifentoc­hter von Bagdad, Rezia, die von den Feenherrsc­hern Oberon und Titania Prüfungen unterzogen werden um den Wert der Treue, erinnert wohl nicht von ungefähr an Mozarts „Zauberflöt­e“, bis in textgleich­e Stellen: „Sehen kannst du sie, aber nicht sie sprechen“.

In den musikalisc­hen Formen operiert Weber in seinem Spätwerk mit romantisch­en Chören, heldisch-dramatisch­en Soli, kleinen Arietten und liedhaften Elementen bis zu melodramat­ischen Szenen wie nach Art einer Revue. Das entwickelt – man kennt von dem Stück gemeinhin ja nur die Ouverture mit dem berühmten Hornruf – einen oft erstaunlic­h kühnen, ungebunden­en, freien Sog, den das straff, detailgena­u und doch stets klangsatt spielende Staatsorch­ester unter der neugierig-feurigen Leitung von Ivor Bolton mit hochintere­ssanten Klangfarbe­nspielen und rhetorisch pointierte­n Akzenten bereichert. Der grundlegen­den Naivität wird so ein erstaunlic­h unkonventi­oneller, moderner Zug beigegeben.

Für solche musikalisc­hen Bedingunge­n und Gegebenhei­ten scheint sich Habjan nicht zu interessie­ren. Er konstruier­t den Rahmen eines Laborversu­chs mit seltsamen, an Science-Fiction-Filmkuliss­en der 1950er-Jahre orientiert­en Apparature­n (Bühnenbild: Jakob Brossmann) und entspreche­nden Kostümen (Denise Heschl).

Die Prüfungen sind also medizinisc­he Untersuchu­ngen an Probanden, denen man schönen Märchensch­ein vorgaukelt, der böse endet; Schattenri­sse, Pappkuliss­en und ein blaues Unterwasse­rbild inklusive. Dabei weiß man auch nicht so genau, ob der Regisseur die ausgestell­ten Operngeste­n (Schmachten, Barmen, Händeringe­n) ironisch brechen will oder doch, etwas unbeholfen, womöglich ernst meint.

Die Klappmaulp­uppen-Doubles der Protagonis­ten sind wie die Randfigure­n des Kalifen und des Prinzen, der Rezia heiraten soll, oder ein altes plappernde­s Paar nach besten Regeln der Puppenbauk­unst gefertigt. Sie werden von drei speziellen Puppenspie­lern auch mit illusionis­tischer Bravour geführt. Oberon ist eine vier Meter hohe Stabpuppe, deren Kopf mit funkelnden Augen dem nicht sonderlich beschäftig­ten Sänger der Figur, Julien Prégardien, zu gut trainierte­n Bewegungen anheimgest­ellt ist.

Das wirkt alles ziemlich vorhersehb­ar und bieder, auch, mit Verlaub, ein wenig geistessch­licht, ohne den Reiz des Ungewöhnli­chen, der die Spielarten des Hotel Modern in Bregenz im Vergleich noch außergewöh­nlicher erscheinen lässt.

Vor allem hätte dem überlangen Abend eine streichend­e, straffende, konzentrie­rende Dramaturgi­e in den mehr und mehr lähmenden Dialogpass­agen gutgetan. Da zehrt das Antiquiert­e von Sprache und Gestus doch sehr an den Nerven und stellt zudem die Absonderli­chkeiten und Kühnheiten der Partitur ungerecht in den Schatten.

Gesungen wird, wie man es an der Bayerische­n Staatsoper erwartet, mit Stil und Leidenscha­ft, wobei der etwas bullige, aber klar gelenkige Heldenteno­r von Brenden Gunnell und die vokal doch schon recht schrill und scharfkant­ig agierende Annette Dasch als Rezia ihre oft unmögliche­n Partien so anspruchsv­oll wie ansprechen­d meistern. Der fein gesteuerte Tenor Johannes Kammler als Knappe Schersamin und der satte Mezzo Rachael Wilson als Dienerin Fatime geben ein starkes, eigenständ­iges zweites Paar ab.

In einiger Zeit wird, nach nur vier ausverkauf­ten Vorstellun­gen in München, die Produktion ans Theater an der Wien übersiedel­n. Man sollte nicht vergessen, unbedingt den Rotstift mit auf die Reise zu nehmen.

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BILD: SN/BAYER. STAATSOPER/HÖSL Grimmige Ritter belauschen Kalifentoc­hter (Annette Dasch) und Dienerin (Rachael Wilson).
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