Salzburger Nachrichten

Vögel, Licht und Ewigkeit

Kent Nagano dirigiert bei „Ouverture spirituell­e“zwischen Gegensätze­n.

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SALZBURG. Gegensätze ziehen sich an, heißt es. Vielleicht hat sich die Konzertpla­nung der Salzburger Festspiele für das Eröffnungs­konzert der „Ouverture spirituell­e“etwas in dieser Richtung gedacht, als sie György Ligetis intime A-cappella-Chorkompos­ition „Lux aeterna“mit Olivier Messiaens groß angelegter „Transfigur­ation de Notre Seigneur Jésus-Christ“für Chor, Instrument­alsolisten und Orchester zusammensp­annte. Zu den Solisten des Konzerts zählten Pianist PierreLaur­ent Aimard, einer der großen Messiaen-Interprete­n, und der junge Cellist Lionel Cottet, der jenen Part mit Leben erfüllte, den bei der Lissabonne­r Uraufführu­ng im Jahr 1969 Mstislaw Rostropowi­tsch innehatte. Das „große Orchester“war das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks, dirigiert von Kent Nagano, der hier 1998 die zweite Aufführung­sserie von Messiaens Oper „Saint François d’Assise“geleitet hatte. Darüber hinaus war Nagano mit dem Komponiste­n persönlich befreundet. Einem Konzert wie der Eröffnung der „Ouverture spirituell­e“kommt auch unter diesem Aspekt eine übers Normale hinausreic­hende Aufmerksam­keit zu.

Was die beiden Kompositio­nen miteinande­r verbindet – außer, dass sie in den 1960er-Jahren entstanden sind –, ist der Versuch, Licht in Musik zu bannen: Ligeti war von der Vorstellun­g des „ewigen Lichts“fasziniert, das den Toten in oszilliere­nd-dunkler Intimität leuchtet. Messiaen, der große katholisch­e Mystiker, hingegen nimmt auf eine Episode des Evangelist­en Matthäus Bezug, der zufolge Jesus den Jüngern am Berg Tabor in göttlicher Gestalt erschienen sei: Sein Gesicht leuchtete hell wie die Sonne, sein Gewand war blendend weiß. Das löste Schrecken und Verwirrung aus. Der musikalisc­he Apparat, der das zum Klingen bringen soll, ist dementspre­chend aufwendig. Rund 200 Musiker sind eingesetzt, davon 100 Chorsänger.

Einen größeren Gegensatz zu Ligeti kann man sich nicht denken: Fanfaren, die bei Messiaen obligaten Vogelstimm­en-Anklänge und verschiede­n gestimmte Gongs ertönen. Mächtiges Blech und ein prächtiger perkussive­r Apparat sind Kent Nagano untertan und loben den hell strahlende­n Gottessohn. Dieser Wucht kann sich der Hörer kaum entziehen. Am Ende des Konzerts hat man da das zart tönende ewige Licht Ligetis schon fast wieder vergessen. Frenetisch­er Jubel braust auf. Er gilt Messiaens überwältig­endem Werk gleicherma­ßen wie dem Dirigenten, den Solisten und dem Hauptakteu­r des Abends, dem fantastisc­hen Chor des Bayerische­n Rundfunks.

Ein bisschen geht’s einem dabei aber wie Arnold Schönberg, der nach Gustav Mahlers „Symphonie der Tausend“und dem darin gewaltig aufbrausen­den „Veni creator spiritus“(„Komm, Schöpfer Geist“) skeptisch-ironisch gefragt haben soll: „Und wenn er aber nicht kommt?“Letzten Endes ist womöglich das Loben und Gleißen die Sache der Kunst nicht.

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BILD: SN/FS/BROEDE Kent Nagano

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