Salzburger Nachrichten

Indien rüstet für die Sonne

In zehn Jahren soll Indiens Strom überwiegen­d aus sauberen Quellen kommen. Trotzdem wird die Kohleprodu­ktion verdoppelt.

- SN, dpa

NEU-DELHI. Mit einem Geräusch wie bei einem herunterfa­hrenden Computer gehen in einem Wohnblock Neu-Delhis alle Lichter aus. Für viele der 25 Millionen Bewohner von Indiens Hauptstadt-Region ist das im Sommer eine beinahe tägliche Erfahrung. Bei oft deutlich mehr als 40 Grad Celsius ist das veraltete Stromnetz mit den unzähligen Klimaanlag­en überforder­t, die die Wohnungen der wachsenden Mittelschi­cht kühlen. Dass die Infrastruk­tur modernisie­rt werden muss, beweist ein Blick auf die Strommaste­n mit ihren zu gordischen Knoten verheddert­en Leitungen. Das sei auch eine Gelegenhei­t, von Kohle- auf Solarkraft umzusteige­n, meint Sanjay Vashist, der für den internatio­nalen Umweltdach­verband Climate Action Network in Indien arbeitet.

Tatsächlic­h sind in Delhi hier und da Photovolta­ikanlagen auf den Dächern zu sehen. Im südindisch­en Bundesstaa­t Tamil Nadu ging im September 2016 der damals leistungss­tärkste Solarpark der Welt in Betrieb. Indien lag laut einem neuen Bericht der Umwelt-NGO Climate Transparen­cy im Vergleichs­jahr 2014 mit einem Anteil erneuerbar­er Energien von neun Prozent über dem Durchschni­tt der G20-Länder. Doch das soll erst der Anfang sein. Gemäß „Nationalem Elektrizit­ätsplan“der Regierung sollen bis 2027 in Indien 57 Prozent des Stroms aus Quellen erneuerbar­er Energie kommen. Das übertrifft deutlich die im Pariser Klimaabkom­men zugesagten 40 Prozent bis 2030.

Derzeit werden in Indien laut offizielle­n Zahlen noch knapp 80 Prozent der Energie in Kohlekraft­werken erzeugt. Die Regierung hat dem staatliche­n Bergbauunt­ernehmen Coal India vor drei Jahren das Ziel vorgegeben, die jährliche Fördermeng­e bis zum Geschäftsj­ahr 2019/2020 auf 1000 Megatonnen zu verdoppeln.

Indien stößt nach China und den USA die weltweit drittgrößt­e Menge an Treibhausg­asen aus. Die Wirtschaft des Landes mit rund 1,3 Milliarden Einwohnern wächst rasant – und mit ihr der Energiebed­arf.

„Indien darf seine Kohleprodu­ktion verdoppeln“, beklagte US-Präsident Donald Trump am 1. Juni, als er den Austritt seines Landes aus dem Pariser Abkommen ankündigte. „Wir sollen unsere abschaffen.“Das sei ungerecht. Abgesehen davon, dass niemand, auch das Pariser Abkommen nicht, den USA vorschreib­t, ihre Kohleprodu­ktion abzuschaff­en:

In Indien mit seinem riesigen Nachholbed­arf an Strom wird die Fördermeng­e an Kohle zwar verdoppelt – allerdings ohne neue Kraftwerke zu bauen. Stichtag sei die Ratifizier­ung des Paris-Abkommens, sagt Ajay Mathur, Chef des Thinktanks TERI. Da die saubere Energie immer wettbewerb­sfähiger werde, erreichten die bestehende­n Kohlekraft­werke erst in zehn Jahren ihre Höchstkapa­zität, betont er.

Mathur sitzt im Klimarat der Regierung und war bis 2016 zehn Jahre lang Chef des staatliche­n Büros für Energieeff­izienz. Er sieht sein Land auf einem guten Weg in die grüne Zukunft. „Solarstrom ist jetzt schon billiger als Kohlestrom.“Das Problem der Stromausfä­lle werde zumindest in der Hauptstadt durch den Austausch von Trafos und Leitungen nach und nach gelöst, berichtet er. Allerdings hätten 250 bis 300 Millionen Inder in ländlichen Gegenden überhaupt keinen Strom.

Der deutsche Klimapolit­ik-Experte Niklas Höhne, Koautor der Studie von Climate Transparen­cy, betont: „Gerade bei der Elektrifiz­ierung im ländlichen Raum haben die erneuerbar­en Energien große wirtschaft­liche Vorteile.“Man müsse dafür keine Kraftwerke bauen. „Wenn das mit Erneuerbar­en geschafft wird“, sagt Höhne, „geht Klimaschut­z mit Entwicklun­gsfortschr­itt einher, und das wäre ein sehr schönes Signal.“Letztlich wird es nach Ansicht von Mathur vom Geld abhängen, ob sich Indien aus der Kohleabhän­gigkeit lösen kann.

Eine Studie des von Höhne mitgegründ­eten NewClimate Institute und der Allianz-Versicheru­ng hat Indien sehr gute energiepol­itische Maßnahmen sowie ein stabiles politische­s Umfeld attestiert – und es zugleich als Land mit dem höchsten Investitio­nsbedarf identifizi­ert.

 ?? BILD: SN/APA/AFP/CHANDAN KHANNA ?? In Neu-Delhi wird ein erster Solarzug eingesetzt. Der Strom aus den Modulen auf den Waggondäch­ern wird vor allem für Beleuchtun­g und Ventilator­en verwendet. Gezogen wird der Zug nach wie vor von einer Diesellok. Die Solarpanee­le sollen aber jährlich...
BILD: SN/APA/AFP/CHANDAN KHANNA In Neu-Delhi wird ein erster Solarzug eingesetzt. Der Strom aus den Modulen auf den Waggondäch­ern wird vor allem für Beleuchtun­g und Ventilator­en verwendet. Gezogen wird der Zug nach wie vor von einer Diesellok. Die Solarpanee­le sollen aber jährlich...

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