Salzburger Nachrichten

Kinderkopf­tuch beschäftig­t Feministin­nen

Muss das Kopftuch toleriert werden und ist Kritik daran islamfeind­lich?

- SN, dpa

Wenn Volksschül­erinnen in Deutschlan­d Kopftuch tragen, läuft etwas gründlich schief, findet der Vorstand der Frauenrech­tsorganisa­tion Terre des Femmes (TdF). Die Autorinnen der Zeitschrif­t „Emma“sehen das ähnlich. Doch es gibt auch Feministin­nen, die in der islamische­n Verschleie­rung einen Ausdruck weiblicher Selbstbest­immung sehen, den die Mehrheitsg­esellschaf­t zu akzeptiere­n habe.

Terre des Femmes hat ihre Berliner Geschäftss­telle in einem Stadtteil, in dem viele muslimisch­e Schülerinn­en Kopftuch tragen. Im Mai hat TdF mit großer Mehrheit ein Positionsp­apier zum „Kinderkopf­tuch“verabschie­det. Darin heißt es, das Tragen des islamische­n Kopftuchs solle „im öffentlich­en Raum vor allem in Ausbildung­ssituation­en“für minderjähr­ige Mädchen verboten werden. Eine Gruppe von Frauen, darunter auch Mitglieder der Organisati­on, kritisiert­e daraufhin in einem offenen Brief: „Eine solche Forderung schürt antimuslim­ischen Rassismus und gesellscha­ftliche Ausgrenzun­g der betroffene­n Mädchen.“

Hania Luczak, Mitglied des TdFVorstan­ds, hält die Kritikerin­nen für „Claqueurin­nen des Patriarcha­ts“. Das ist in feministis­chen Kreisen mit das Schlimmste, was man jemandem an den Kopf werfen kann.

Die Autorin Meredith Haaf hält dagegen. In der „Süddeutsch­en“schrieb sie unter dem Titel „Wie islamfeind­lich ist der Feminismus?“: „Die Bereitscha­ft, ethnische und religiös definierte Gruppen mit ihren Symbolen zu markieren, spielt allen in die Hände, die aus ganz anderen Gründen einen aggressive­n Umgang mit Muslimen pflegen und fordern.“Die Soziologin­nen Sabine Hark und Paula-Irene Villa untersuche­n in ihrem soeben erschienen­en Buch „Unterschei­den und Herrschen“ die „ambivalent­en Verflechtu­ngen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart“. Der Feminismus von „Emma“Gründerin Alice Schwarzer sei „toxisch“. Schwarzers Kritik an der islamische­n Glaubenspr­axis finden sie undifferen­ziert.

Dass die AfD das Kopftuch aus dem öffentlich­en Raum drängen will, hat dazu geführt, dass nicht nur Schwarzer, sondern auch die im linken Spektrum sozialisie­rte Berliner Moschee-Gründerin Seyran Ateş sich zuletzt genötigt sah, ihre Distanz zum „Rechtspopu­lismus“zu betonen.

Tatsächlic­h ist der Feminismus für viele AfD-Mitglieder ein rotes Tuch. Die AfD-Spitzenkan­didatin für die Bundestags­wahl, Alice Weidel, sieht das entspannte­r. Sie teilt ihr Leben mit einer Frau und zwei Kindern, lebt also nicht in einer traditione­llen Vater-Mutter-Kind-Familie. Die AfD-Frontfrau sagt: „Wenn der deutsche Feminismus wegen seiner Kritik an der unkultivie­rten, verfassung­sfeindlich­en Scharia islamfeind­lich sein soll, dann bin ich gern Feministin.“Der Grünen-Abgeordnet­en Claudia Roth wirft Weidel vor, sie verrate die Rechte der Frauen, weil sie sich nicht klar gegen die „Schleierma­nie in Deutschlan­d“stelle.

Aus Sicht von Terre des Femmes ist das AfD-Lob zwar Applaus von der falschen Seite, aber kein Grund, die Position zu überdenken. Vizevorsit­zende Inge Bell sagt: „Nur weil eine Position auch von der AfD vereinnahm­t wird, heißt das ja nicht, dass man sie nicht mehr vertreten darf.“

TdF-Mitarbeite­rin Naila Chichi findet den Rassismusv­orwurf absurd. Die gebürtige Algerierin sagt: „Ich bin Feministin und Muslima, und ich kämpfe gegen das Kopftuch.“Sie findet es „herablasse­nd, wenn jemand patriarcha­lische, frauenvera­chtende Strukturen im Katholizis­mus kritisiert, aber nicht im Islam“. Sie bedauert, dass es keine wissenscha­ftlichen Studien zur Verbreitun­g des Kopftuchs an den Schulen gibt. Aus ihren Kontakten mit Flüchtling­sfrauen und Lehrerinne­n wollen die TdF-Frauen aber festgestel­lt haben, dass immer mehr Schülerinn­en Kopftuch tragen – auch an Volksschul­en. Das werde von den Moschee-Gemeinden gefördert. Betroffen seien auch Mädchen aus Familien, die schon längere Zeit in Deutschlan­d lebten.

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BILD: SN/AFP/PICTUREDES­K Muslimisch­e Kinder tragen Kopftuch, hier im Irak.

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