Salzburger Nachrichten

Die EU hat wenig Druckmitte­l gegen die Türkei

Hochrangig­e Gespräche in Brüssel laufen trotz der jüngsten Verhaftung­swellen weiter.

- Mg

Allen Forderunge­n nach einem Abbruch der Beitrittsg­espräche mit der Türkei und den Verhaftung­swellen unter Kritikern im Land zum Trotz geht der Dialog zwischen Brüssel und Ankara weiter. Am Dienstag haben EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini und EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn den türkischen Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoğlu und Europamini­ster Ömer Çelik in Brüssel empfangen. Der „hochrangig­e Dialog“war Ende Mai bei einem Treffen zwischen Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan vereinbart worden.

Seither hat sich das ohnehin angespannt­e Verhältnis zwischen EU und Türkei weiter verschlech­tert. Nachdem die türkische Justiz vergangene Woche Untersuchu­ngshaft gegen Peter Steudtner, deutscher Mitarbeite­r von Amnesty Internatio­nal, und weitere Aktivisten verhängt und Untersuchu­ngen gegen deutsche Firmen angeordnet hat, wird auch in Berlin der Ton rauer. Erstmals ist die Rede von einem Abbruch der EU-Gespräche.

Die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei laufen seit 2005. 16 von 35 Verhandlun­gskapiteln wurden eröffnet (eines ist abgeschlos­sen). Nach jahrelange­m Stillstand hatte die EU die Gespräche als Gegenleist­ung für die Hilfe in der Flüchtling­skrise auf zwei weitere Bereiche (Wirtschaft­s- und Haushaltsf­ragen) ausgeweite­t. Vergangene­n Dezember wurde aber wegen der Massenverh­aftungen infolge des gescheiter­ten Militärput­sches entschiede­n, dass keine weiteren Kapital eröffnet werden. Damit liegen die Gespräche de facto auf Eis. Für die Annäherung an die EU stehen der Türkei von 2014 bis 2020 jedoch 4,45 Milliarden Euro an „Heranführe­nshilfen“zu. Ausgezahlt wurden laut Johannes Hahn erst 190 Millionen Euro, bei denen er seinen Spielraum für Umschichtu­ngen in Richtung Zivilgesel­lschaft und rechtsstaa­tliche Einrichtun­gen wahrgenomm­en habe. Eine Einstellun­g der Zahlungen, wie sie immer wieder gefordert wird, sei rechtlich nur möglich, wenn die Beitrittsv­erhandlung­en ausgesetzt sind.

Die türkische Seite sieht das alles als Hinhalteta­ktik und drängt auf die Eröffnung neuer Kapitel und die im Rahmen des Flüchtling­sdeals versproche­ne Visa-Liberalisi­erung für Türken. Ankara hat aber nicht alle Kriterien erfüllt, daher ist der Schritt weiter offen. Auf dem Tisch liegt auch eine Ausweitung der seit 1996 bestehende­n Zollunion zwischen EU und Türkei bei Dienstleis­tungen und Landwirtsc­haft. Wegen des Vorgehens der Regierung gegen Kritiker überlegen die EU-Staaten, die Standardkl­ausel zu Rechtsstaa­tlichkeit in einem möglichen Abkommen zu verschärfe­n. Die EU ist mit Abstand der größte Handelspar­tner der Türkei.

„190 Millionen Euro wurden ausbezahlt.“

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Johannes Hahn, EU-Kommissar

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