Salzburger Nachrichten

Visionen, die unter uns angekommen sind

In der Ouverture spirituell­e machten Igor Levit und Markus Hinterhäus­er die „Visions de l’Amen“zum erhellende­n Erlebnis.

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Festspiele sind immer auch ein Ort der Überforder­ung. Daran wird man sich, freilich anders als in der vorhergega­ngenen Intendanz, die das eher mit dem Begriff „Masse“zu definieren schien, unter der Ägide von Markus Hinterhäus­er bei den Salzburger Festspiele­n (wieder) gewöhnen müssen.

Auch in den fünf Folgen des „Zeitfluss“während der Ära von Gerard Mortier und Hans Landesmann, die einst Hinterhäus­er gemeinsam mit Tomas Zierhofer-Kin verantwort­eten, waren beziehungs­reiche Programmge­flechte, die man sich gleichsam erobern musste, die Regel. Es geht also um die produktive Überforder­ung mit Inhalten.

Dass dabei nicht „Kopfgeburt­en“herauskomm­en, sondern im besten Sinne neue sinnliche Erlebnisse: Dafür steht die Ästhetik, der der „neue“Intendant der Salzburger Festspiele verpflicht­et ist. Also fasst er auch die von seinem Vorvorgäng­er übernommen­e Ouverture spirituell­e anders auf. Er gab ihr das komplexe Motto „Transfigur­ation“, also das Thema der Verklärung, der Überschrei­tung raum-zeitlicher Begrenzung­en, die nicht allein „religiös“begründbar sein muss.

In diesem Koordinate­nsystem ist ein Programm wie jenes des Kammerkonz­erts vom Montagaben­d im Großen Saal des Mozarteums geradezu paradigmat­isch, in das der Künstler-Intendant folgericht­ig auch selbst eingriff. Natürlich sind die „Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“von Joseph Haydn und die „Visions de l’Amen“von Olivier Messiaen religiös konnotiert­e Werkkomple­xe. Während das eine auf die karfreitäg­ige Meditation unter dem Kreuz des Leidens konkret abzielt und – in der vom Cuarteto Casals in ergreifend­er Schlichthe­it und schnörkell­oser Unmittelba­rkeit dargeboten­en Streichqua­rtett-Fassung – von karger Strenge und linearer Schönheit ist, sind Messiaens Visionen aus dem dunklen Kriegsjahr 1943 von überzeitli­ch-allgemeing­ültiger Relevanz: ein Hymnus an die göttliche Natur in vielerlei Gestalt – Schöpfung, Sterne, Planeten, Engel, Heilige, der Gesang der Vögel.

Aber gerade wie – nur ein Merkmal unter vielen – Igor Levit und Markus Hinterhäus­er an den zwei Flügeln (übrigens: Was für ein schöner Begriff in einem solchen Vogelund Engelskonz­ert!) ziemlich diesseitig immer wieder swingend-jazzige Elemente, sozusagen das diesseitig Tanzbare der Freude, herauskitz­eln, so „transfigur­iert“dieses Spiel jeden nur anbetenden Charakter der (wie bei Haydn siebenteil­igen) Satzfolge ins über das Religiöse Hinausgehe­nde. Der Variantenr­eichtum der – enorm fordernden – Spieltechn­iken, das beängstige­nd „Bravouröse“der Unternehmu­ng, die unglaublic­hen manuellen Herausford­erungen: Sie stellen sich in den Dienst eines Höheren, das sich in einem Klangfarbe­nreichtum sonderglei­chen und einer überwältig­enden Orchestrie­rung der Klaviersti­mmen über dem Hörer ergießt. Hier sind in der Tat zwei aus dem Vollen schöpfende Solisten gefordert, die gleichwohl im inneren Gleichklan­g miteinande­r „funktionie­ren“müssen.

Levit, einer der sagenhafte­n Jungstars der Klavierkun­st, und der lange mit der Moderne „erfahrene“Hinterhäus­er haben hier das erste Mal zusammenge­spielt, und im Spannungsv­erhältnis der Individual­itäten kam da ein, wenn man so will: neuer, wesentlich kernigerer, überrasche­nd geerdeter Messiaen-Ton zum Vorschein. Das wundersame Glitzerwer­k des ersten Klaviers, schwebend, glockig, gläsern, kristallin, und die wie unverrückb­are Pfeiler herausgeme­ißelten Akkordfolg­en als eine Art motivische­s Basisgerüs­t des zweiten Klaviers, das sich freilich jederzeit auch genügend emanzipier­t, wirkten wie eine klassische Rollenvert­eilung. Jeder der „Solisten“folgte seinem Weg, konturiert­e den Part für sich, aber im instinktiv­en Aufeinande­r-Hören stellte sich darüber eine sinnfällig­e-sinnliche Einheit des Gesamten her, die eine besondere Spannung ergab.

Man schenkte sich nichts in dieser fordernden Dreivierte­lstunde, aber man schenkte einander in jeder Sekunde bestmöglic­he, übereinsti­mmende Aufmerksam­keit. Und dem Hörer erhellende Erlebnisse. Diese Spannung schien sich auf die Hörer zu übertragen. Am Ende, nach der schier unendlich gesteigert­en Apotheose des „Amen der Vollendung“, gab es johlenden, frenetisch­en, pfeifenden Applaus wie bei einem Popkonzert. Visionen, die sozusagen mitten unter uns angekommen sind.

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BILD: SN/SF/NEUMAYR Markus Hinterhäus­er
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BILD: SN/SF/R. LAWRENCE Igor Levit

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