Salzburger Nachrichten

Nur nicht abrupt bremsen

Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny plädiert für einen vorsichtig­en Ausstieg aus den Anleihekäu­fen. Die Eurozone hält er für nachhaltig stabilisie­rt, Griechenla­nd habe allerdings noch einen langen Weg vor sich.

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SN: Vor zehn Jahren baute sich die Finanzkris­e auf. Sie warnten 2009 vor einem verlorenen Jahrzehnt in Europa. Wie fällt Ihr Resümee aus? Ewald Nowotny: Es hat sich gezeigt, dass diese Finanzkris­e wahrschein­lich die größte wirtschaft­liche Herausford­erung seit der Weltwirtsc­haftskrise der 1930er-Jahre war. Es gab erfreulich­erweise eine rasche Gegenreakt­ion. Zunächst von den Notenbanke­n, die den Banken vorübergeh­end in vollem Ausmaß Geld bereitstel­lten und so eine Liquidität­skrise unterbunde­n haben. Und es gelang, strukturel­le Probleme zu lösen, durch höhere Mittel des Internatio­nalen Währungsfo­nds, das hat insbesonde­re Österreich beim Bewältigen der Probleme in Zentral- und Südosteuro­pa geholfen. Drittens gab es einen Prozess der Re-Regulierun­g nach einer Phase der Deregulier­ung auf den Finanzmärk­ten, die nachträgli­ch gesehen einer der wesentlich­en Gründe für die Finanzkris­e war. Bei der Regulierun­g muss man aber aufpassen, dass man nicht überzieht. SN: Verlorene zehn Jahre? Es gibt Staaten, deren Pro-Kopf-Einkommen noch immer unter dem Wert vor der Krise liegt, Österreich gehört erfreulich­erweise nicht dazu. Ich würde sagen, fünf verlorene und fünf sehr angespannt­e Jahre. SN: Die Konjunktur­daten sind positiv, es wird intensiv über ein Ende der außergewöh­nlichen Geldpoliti­k diskutiert. EZBPräside­nt Mario Draghi betonte aber zuletzt, das Programm zum Kauf von Anleihen könnte, wenn nötig, noch ausgeweite­t werden. Warum tut sich die EZB mit dem Ausstieg so schwer? Man muss sagen, dass wir hinter den USA liegen, die sich viel rascher von der Krise erholt haben. Der Hauptgrund ist, dass es dort eine engere Abstimmung von Geld- und Fiskalpoli­tik gab. Die USA waren bereit, höhere Defizite in Kauf zu nehmen. Das hat der US-Notenbank erlaubt, die eigenen expansiven Maßnahmen schrittwei­se zurückzune­hmen, wenn auch sehr vorsichtig. SN: Die Fed hatte es leichter, weil ihr nur eine Regierung gegenübers­teht? Sicher, das ist zweifellos ein Vorteil. Die expansiver­e Fiskalpoli­tik hängt damit zusammen, dass die Verschuldu­ngskapazit­ät der USA größer ist als die eines einzelnen europäisch­en Staates. Auch wenn der Euro aufgeholt hat, ist der Dollar die führende Währung. Aber es gibt im Unterschie­d zu den USA eben keine einheitlic­he Euro-Verschuldu­ng. SN: War die Strategie der USA besser, den Banken die faulen Assets rasch abzunehmen und sie am Ende sogar mit Gewinn wieder abzustoßen? Im Nachhinein gesehen war, glaube ich, das amerikanis­che Modell das erfolgreic­here. Auch in Europa haben einzelne Staaten das Problem über große Bad Banks entschärft, Deutschlan­d, Irland und Großbritan­nien, aber es gab eben keine gesamteuro­päische Lösung. SN: Zurück zur Geldpoliti­k. Laut Bundesbank-Präsident Jens Weidmann steht die EZB an einem Wendepunkt. Er fordert klare Signale, wann und wie der Ausstieg erfolgen soll. Sehen Sie das auch so? Ich glaube, dass die EZB vor der Notwendigk­eit einer baldigen klaren Kommunikat­ion steht, weil das jetzige Programm ein Ablaufdatu­m mit Jahresende hat. Insofern stimme ich mit Weidmann überein. Die Frage ist nicht wann, sondern wie es weitergeht. Das wird von den wirtschaft­lichen Perspektiv­en für 2018 abhängen, die wir in diesem Herbst haben werden. SN: Welches Signal wäre richtig? Weidmann sagte zuletzt, man sollte den Fuß vom Gaspedal nehmen. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Bild. Es geht nicht um eine abrupte Bremsung, aber darum, zu registrier­en, dass wir nicht mehr mit einer so akuten Krise konfrontie­rt sind wie zum Zeitpunkt, als die Maßnahmen gesetzt wurden. Das Wachstum hat sich beschleuni­gt, und es besteht keine Gefahr einer Deflation mehr. Dennoch hatten wir 2016 noch eine Inflations­rate von nur 0,3 Prozent. SN: Reicht es, das monatliche Volumen der Käufe zu kürzen, oder soll es einen Fahrplan für den Ausstieg geben? Ich halte es für klug, langsam vom Gas zu gehen. Auch die US-Notenbank hat das Tapering (allmählich­e Rücknahme der Anleihekäu­fe) eingesetzt, ohne sich auf einen festen Zeitplan zu verpflicht­en. SN: Sie haben die Regulierun­g nach der Finanzkris­e erwähnt. Hat das Europas Banken stabiler gemacht, immerhin schieben sie noch faule Kredite von einer Billion Euro vor sich her? Die Banken sind eindeutig wesentlich stabiler. In ganz Europa haben sie ihre Eigenkapit­alquoten seit der Krise verdoppelt, in Österreich sogar mehr als verdoppelt. Da gab es große Fortschrit­te. SN: Wiewohl der Auslöser der Finanzkris­e, der Fall von Lehman Brothers, ein Liquidität­sproblem war? Das ist richtig, aber in weiterer Folge hat sich daraus ein Vertrauens­problem entwickelt. Und das Vertrauen in Banken hängt ganz stark von der Höhe ihres Eigenkapit­als ab. Was faule Kredite angeht, muss man nach Ländern unterschei­den. In Österreich gibt es einen starken Rückgang. Sie sind jetzt auch besser sichtbar, weil es seitens der EBA (Europäisch­e Bankenaufs­icht) erstmals eine gemeinsame Definition für faule Kredite gibt. Besonderes Augenmerk liegt hier bekanntlic­h auf einigen italienisc­hen Banken. SN: Italienisc­he Banken sind ein Beispiel für Regeln, die sich die Politik gibt, konkret jene, dass keine Bank mehr mit Geld der Steuerzahl­er gerettet werden soll, sondern die Gläubiger zahlen sollen. Bei der Monte dei Paschi di Siena wurde diese Regel gebrochen, weil viele Anleiheglä­ubiger Kleinanleg­er sind. Ist das nicht gefährlich? Die europäisch­en Regeln machen einen Unterschie­d zwischen großen und kleinen Banken. Für große gilt das Bail-in, für kleine die nationalen Regeln. Was in Italien gemacht wurde, war rechtlich korrekt. Wir hatten den ersten Fall überhaupt in Europa mit der Hypo Alpe Adria, der ist erfolgreic­h abgewickel­t worden und hilft bei der positiven Sicht auf Österreich­s Banken. Wir haben einen Fall in Spanien, wo sich ein Käufer gefunden hat (Santander übernahm Banco Popular). Man sollte die Regeln im Lichte der praktische­n Beispiele im gesamtwirt­schaftlich­en Kontext sehen. SN: Die Rettung der Monte dei Paschi di Siena mit staatliche­n Hilfen war also kein Sündenfall? Sie ist eine der größten Banken in Italien, da war es nötig, auch auf die gesamtwirt­schaftlich­en Folgen zu achten. Problemati­sch war die lange Phase der Unsicherhe­it. Aber es heißt nicht notwendige­rweise, dass eine staatliche Interventi­on in jedem Fall nicht sinnvoll ist. Bei ganz großen Banken wird man mit dem bestehende­n Instrument­arium vermutlich auch nicht durchkomme­n. Ich halte es für richtig, dass man eine Gläubigerb­eteiligung versucht, sofern sie ökonomisch sinnvoll ist. Aber es darf damit nicht mehr Schaden als Nutzen verbunden sein. SN: Die internatio­nalen Geldgeber haben sich im Juni darauf geeinigt, das Hilfsprogr­amm für Griechenla­nd weiter zu finanziere­n. Die Regierung versucht eine Rückkehr an den Kapitalmar­kt. Ist das klug? Da geht es um symbolisch­e Handlungen, nicht um große Volumina. Das macht Sinn, weil Kapitalmär­kte stark von der Psychologi­e bestimmt sind. Griechenla­nd ist damit dort, wo es schon vor vier Jahren war. Es ist ein gutes Signal, heißt aber nicht, dass sich Griechenla­nd schon bald selbst zur Gänze finanziere­n kann. SN: Das Programm läuft bis Mitte 2018. Lässt sich aus heutiger Sicht sagen, ob Griechenla­nd dann überm Berg ist? Das ist gar nicht die Annahme, es geht um die richtige Richtung. Griechenla­nd ist massiv verschulde­t, das wird noch lange so sein. Wie man damit umgeht, wird die zentrale Diskussion nächstes Jahr sein. SN: Wie ist Ihre Position? Ein einfacher Schuldensc­hnitt wäre sehr problemati­sch, für Notenbanke­n entspräche das einer verbotenen Staatsfina­nzierung. Aber es gibt eine Reihe anderer Möglichkei­ten, die Verlängeru­ng der Tilgung oder Entlastung beim Schuldendi­enst, mit der man die Tragfähigk­eit der Schulden erhöhen kann. SN: Man schiebt das Problem damit nur weiter hinaus. Aber man macht es damit auch lösbar. Das ist bei Banken und säumigen Kreditnehm­ern in manchen Fällen nicht anders. SN: Waren es die Hunderten Milliarden wert, die man investiert hat, um Griechenla­nd in der Eurozone zu halten? Da ging es nicht um ein einzelnes Land, sondern um Erwartunge­n. Ein Konkurs von Griechenla­nd hätte die Erwartunge­n der Finanzmärk­te für andere Länder im Süden Europas massiv verschlech­tert. Aus dieser Sicht war es klug, dass man eingegriff­en hat. Ob jede einzelne Maßnahme richtig war, darüber kann man lange streiten. Ich persönlich glaube, man hat zu stark auf eine Einschränk­ung der Binnennach­frage gesetzt und man hätte die sozialen Aspekte stärker berücksich­tigen müssen. Hier hat ja ein gewisser Lernprozes­s eingesetzt, nicht zuletzt beim IWF. SN: Ist es gelungen, die Eurozone nachhaltig zu stabilisie­ren? Ja, die Erwartung der Märkte hat sich massiv geändert. Es hat ja eine Zeit gegeben, in der massiv auf den Zerfall der Eurozone spekuliert wurde. Diese Spekulatio­n gibt es nicht mehr, die Eurozone hat sich als bleibendes Element etabliert.

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BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER Im Herbst muss es mehr Klarheit geben, sagt Nowotny.

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