Ein Rettungsschirm für Moretti
Annemarie Fischer hilft aus, wenn Tobias Moretti nicht weiterweiß. Sie souffliert heuer beim „Jedermann“. Und braucht manchmal eine dicke Haut.
SALZBURG. Wenn der Jedermann auf dem Domplatz spielt, sitzt sie in der ersten Reihe. Dabei ist sie für so manchen Besucher interessanter als das Treiben auf der Bühne. Sie ist das Auffangnetz für die Darsteller. Wenn die oben nicht weiterwissen, suchen ihre Augen nach ihr. Annemarie Fischer souffliert heuer zum ersten Mal beim „Jedermann“.
„Die größte Herausforderung für mich ist, im richtigen Moment das Richtige zu tun“, sagt die 33-Jährige. „Nicht jede Pause ist ein Hänger“, erzählt sie. „Oft setzen die Schauspieler bewusste Kunstpausen.“Wenn ihre Hilfe benötigt wird, flüstert sie. Manchmal schreit sie. Je nachdem, wie weit die Schauspieler entfernt sind und wie laut es gerade ist. Manches funktioniert über Mundbewegungen, andere Hilfestellungen gibt sie mit Zeichen. Dabei funktioniert nicht immer alles einwandfrei. „Hüte dich, ein Hendl zu braten“, verstand schon mal einer, als sie ihm signalisieren wollte: „Hüte dich, in Händel zu geraten.“
Annemarie Fischer startet ab Herbst in ihre siebte Spielzeit als Souffleuse im Burgtheater. Für ihren Job gibt es keine spezifische Ausbildung, die meisten sind Quereinsteiger – oft Schauspieler oder Musiker. Die gebürtige Deutsche studierte Medienwissenschaften in Wien, bevor sie die feste Stelle am Theater bekam.
„Der Job ist sehr intensiv, man muss zu hundert Prozent da sein und darf kein großes Ego haben“, sagt sie. Den Leuten Kraft geben, das sei ihre Aufgabe. Sich gleichzeitig nicht von der Energie der Bühne erdrücken lassen.
„Du absorbierst sehr viel in diesem Job und musst dich selbst stark zurücknehmen“, sagt sie. Eine Kollegin habe ihr einmal geraten, es wie eine Golddusche zu sehen. Ein feiner Schauer aus Gold, der abschirmt, aber gleichzeitig durchlässig genug ist, um die Verbindung nach außen nicht zu verlieren.
Anpassen muss sie sich. Jederzeit. Laut genug sein, damit die Schauspieler sie hören. Leise genug, damit sich die Damen und Herren neben ihr nicht daran stö- ren. Frauen seien dafür besonders geeignet. „Das hat mit der Stimmfrequenz zu tun, habe ich einmal gehört“, sagt sie. Annemarie Fischer spricht bedacht, deutlich und lächelt viel. Man merkt ihr das Gespür für ihr Gegenüber an.
Früher war Annemarie Fischer selbst auf der Bühne. Heute gilt der Applaus denen, für die sie ein Rettungsanker ist. Dafür sieht sie Theatermomente, die sonst keiner sieht. „Vieles, was wir spielen, wird im Laufe der Proben herausgestrichen“, sagt sie. „Diese Momente gehören nur mir. Nicht selten denke ich, dass ich einen der besten Jobs der Welt habe.“
Alles, was Annemarie Fischer tut, tut sie mit Gefühl. Sogar das Umblättern. „Die Kunst des Umblätterns“nennt sie es. Sie greift das Papier am oberen rechten Ende und wartet, bis der richtige Moment da ist. Der Moment, in dem die Geräuschwelle laut genug ist, um mitzuschwimmen. Der Lärm das Rascheln übertönt. So begleitet sie das Ensemble des „Jedermann“Seite für Seite.
Das Angebot für den „Jedermann“kam spontan. Im April wurde Annemarie Fischer angerufen, seit Juni steht das Ensemble für die Proben auf der Bühne. Mit den Schauspielern des „Jedermann“versteht sie sich sehr gut. „Es ist ein wunderbares Team.“
Bei der Premierenfeier am Freitag mischte sich ein anderer Gast ins Spielgeschehen. Annemarie nahm wie üblich ihren Platz vor der Bühne ein. Plötzlich huschte etwas über ihre Füße hinweg. Es war ein Siebenschläfer, der schon in den vergangenen Jahren immer wieder für Aufsehen im Festspielhaus gesorgt hatte. Sie blieb in ihrer Rolle. „Es ist gut, dass ich nicht schreckhaft bin.“
„Nicht selten denke ich, dass ich einen der besten Jobs der Welt habe.“Annemarie Fischer, Souffleuse