Reden gegen die Enge des Geistes
Festakte sind ewig gleiche Rituale. Immer dieselbe Form. Trotzdem schaut man hin und hört zu. Es werden nämlich Reden gehalten.
Jahr für Jahr werden die Salzburger Festspiele eröffnet. Die Musik spielt auf. Es wird höflich gegrüßt. Festakt! Das Wort kann Langeweile hervorrufen. Festakt, das bedeutet Ritual und Wiederholung. Jedenfalls gilt das für die Form eines solchen Akts. Da gibt es wenig Unterschied, ob ein Kulturfestival beginnt oder ein Feuerwehrhaus in einer Kleingemeinde eingeweiht wird. Hier Felsenreitschule, dort Dorfplatz. Beide haben mehr miteinander zu tun, als man meinen möchte. Sie gleichen der antiken Agora. Felsenreitschule oder Dorfplatz funktionieren als Fest- oder Versammlungsort und – ja, auch das – als Marktplatz. Dort geht es aber nicht nur um geschäftiges Treiben. Es geht auf diesen Plätzen auch ums Zuhören. Diese Plätze waren Geburtsort der öffentlichen Rede. Eröffnung oder Einweihung ohne Rede? Das ist wie eine Messe ohne Predigt: eine rituelle Zeremonie, der der Stoff zum Nachdenken fehlt.
Bisweilen werden Reden bloß geschwungen. Dann lohnt sich Hinhören nicht. Dann wird eine Pflicht erfüllt. Das ist schade. Plätze für die öffentliche Rede jenseits der rituellen Pflicht, jenseits üblicher Floskeln sind nämlich rar.
Der Befund mag erstaunen. Es herrscht doch das Gefühl, dass sich im Angebot der digitalen Möglichkeiten jeder jederzeit zu Wort melden kann. Stimmt schon. Aber welchen Wert hat eine Äußerung, wenn sie in selbst gebauten Räumen verhallt, hinter Türen, die für andere Meinungen versperrt sind, hinter denen nur der eigene Social-Network-Freundeskreis dauernd um sich selbst rotiert?
Eine Rede, eine öffentliche Äußerung in geschliffener Form – nicht bloß dahingesagt, sondern so gemeint –, ist etwas anderes. Sie weitet das Denken der Zuhörer, lässt sie nicht im eigenen Denksumpf stecken. Um so einer Rede Platz zu geben, eignen sich Festakte. Gerade das Außerordentliche, das ein Festakt wie die Eröffnung eines Riesenereignisses wie der Salzburger Festspiele darstellt, sprengt den üblichen Rahmen der Aufmerksamkeit. Es ist, da kann es sich um ein inhaltlich noch so raffiniert angelegtes Kulturfestival handeln, ein Megaevent. Dorthin zieht es die Aufmerksamkeit – auch von vielen, die sonst Kunst und Kultur fernstehen. Dort müssen Reden gehalten werden. Dem Inhalt muss keiner zustimmen. Wichtig ist, dass eine Rede bei einem Großereignis die biedermeierliche Gedankenstube, die neuerdings hochgezüchtete Verengung des Geistes mit Mitteln einer um sich selbst strudelnden Info-Flut, brechen kann. Zumindest einen Festakt lang.