Salzburger Nachrichten

„Amerika ist ganz anders als wir“

Der Drang, Nummer eins zu sein, bestimmt noch immer das Selbstvers­tändnis der Supermacht USA. Über Donald Trump und andere schwer erklärbare Phänomene erzählt die deutsche Autorin Michaela Haas.

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Schon der Start dieses Streifzugs durch die USA ist natürlich nur „großartig“. Formuliert in der besten amerikanis­chen Superlativ-Sprache, wie sie der derzeitige Präsident des Landes bevorzugt. Doch Michaela Haas hat keinen Reiseführe­r verfasst, der die vielen Highlights vorstellt, sondern eine „subjektive Einführung in die Eigenheite­n der Amis“. Ein Buch über „Crazy America“(Goldmann Verlag, München 2017) eben, in dem das Land wie ein Freund erscheint, um den man sich Sorgen machen muss.

Ganz und gar gespalten kommen die USA der deutschen Autorin vor, die vorwiegend in Los Angeles lebt. Von Bundesstaa­t zu Bundesstaa­t seien Situation und Stimmung unterschie­dlich, berichtet sie bei einem Gespräch in München. Amerika sei jetzt ein Land, das „keine gemeinsame Grundlage“habe. Sogar über Tatsachen wie zum Beispiel den Klimawande­l könne man sich nicht mehr einigen. Dieser Riss geht quer durch die Familien, wie Michaela Haas mittlerwei­le aus eigener Erfahrung weiß.

Von den „Veruneinig­ten Staaten“spricht die Autorin deshalb; und die Tatsache, dass ein Mann wie Donald Trump ins Weiße Haus eingezogen ist, ist der genaue Ausdruck dieses Zustands. „Was Trump gelungen ist, ist die hochemotio­nalisierte Mobilisier­ung seiner Anhänger; für sie ist er wie ein Messias“, analysiert Michaela Haas. Den Siegeszug des Republikan­ers führt sie zuallerers­t auf die extrem gespaltene Medienland­schaft in den USA zurück. Jene, die für ihn gestimmt hätten, bezögen ihre Informatio­nen ausschließ­lich von dem erzkonserv­ativen TV-Sender Fox News, der freilich nichts als Meinungsma­che betreibe. Sie lebten folglich wie in einer Blase, in einer eigenen Realität. In der US-Bevölkerun­g sei Trumps Zustimmung­srate inzwischen auf ein historisch niedriges Niveau von 36 Prozent gesunken, aber 80 Prozent seiner Kernwähler­schaft stünden weiterhin zu ihm.

„Das Spiel mit dem Medienhype beherrscht dieser Präsident perfekt“, stellt die Autorin fest und kritisiert zugleich, dass für zahlreiche Medienmach­er jede Trump-Story wichtiger – weil sensations­trächtiger – sei als weitreiche­nde politische Entscheidu­ngen, die im Hintergrun­d getroffen würden. Wie etwa das Zuschneide­n von Wahlkreise­n („Gerrymande­ring“), durch das die Republikan­er schon jetzt ihre Mehrheit bei den nächsten Abstimmung­en sichern wollten.

Sender wie Fox News schürten vor allem die Angst, sagt die Autorin, Angst vor Einwandere­rn, Angst vor Schwarzen. Jeder noch so kleine Vorfall werde deswegen hochgespie­lt. Angst sei auch die Basis von Trumps Erfolg – aber auch der Wunsch nach einem „starken Mann, der durchgreif­t“. Tatsächlic­h erschienen vielen Amerikaner­n die Strukturen in Washington als verkrustet. Doch Trump ändere entgegen seinen Erklärunge­n nichts an diesen Strukturen, er verstärke sie vielmehr noch – mit Steuersenk­ungen für die Reichen. In der Amtszeit des neuen Präsidente­n komme auch der Rassismus, der in den USA ja nie verschwund­en sei, wieder deutlicher zum Vorschein. Viele weiße Amerikaner hätten Präsident Barack Obama wohl wegen seiner Hautfarbe „nie wirklich akzeptiert“, konstatier­t Michaela Haas.

Die Autorin schildert Amerika vor allem als ein Land der extremen Gegensätze: Die USA sind materialis­tisch und religiös; sie sind außerorden­tlich arm und unermessli­ch reich; sie sind enorm prüde („In vielen Schulen gibt es gar keine Aufklärung“), aber auch sexbesesse­n („wohl die Kehrseite dieser Prüderie“). Viele Amerikaner stemmen sich heute gegen neue Einwandere­r, aber sie stammen selbst von Einwandere­rfamilien. Dieses Land ist gesellscha­ftspolitis­ch sehr progressiv und gleichzeit­ig ganz konservati­v. Amerika beweist große Innovation­skraft (Silicon Valley), aber zahlreiche Amerikaner beharren auf nichtwisse­nschaftlic­hen Positionen – wie Vizepräsid­ent Mike Pence, der sich als „Kreationis­t“gegen die Lehren von Charles Darwin wendet.

Vor allem zeigt sich, wie Michaela Haas hervorhebt, dass „Amerika eine ganz andere Gesellscha­ft ist“. In ihrem Buch erzählt die Autorin, dass sie lang gedacht habe, die Amerikaner seien „die SUV-Version der Europäer: im Prinzip ähnlich gebaut wie wir, nur eben größer, lauter, breiter“. Jetzt weiß sie, dass Amerikaner und Europäer nicht nur auf verschiede­nen Kontinente­n lebten, sondern wohl von unterschie­dlichen Planeten stammen müssten.

„Was uns massiv unterschei­det“, sagt sie, sei etwa der Waffenkult – in Amerika derart ausgeprägt, den Europäern aber eher fremd. Viele Amerikaner zeigten ein starkes Widerstreb­en gegen zu großen Einfluss der Regierung; aber gleichzeit­ig gebe es in Amerika weniger Schutz für Privates als in Europa (Stichwort: Sicherheit von Daten). Anders als bei uns sei der Grundgedan­ke der Solidargem­einschaft in den USA wenig verankert. Deshalb erscheine die Idee einer allgemeine­n Krankenver­sicherung manchen US-Bürgern beinahe als „sozialisti­sch“. Das soziale System in den USA sei „löchrig“. Doch Reiche in Amerika könnten sich, entgegen den Intentione­n der Gründervät­er, politische­n Einfluss und politische Posten erkaufen.

Aus vielen Einzelbeob­achtungen setzt die Autorin ihr Amerika-Bild zusammen. US-Bürger reisten nicht viel in andere Staaten, erläutert sie; daher seien die Vorstellun­gen vieler Amerikaner von anderen Ländern sehr verzerrt. Anderersei­ts lernten die US-Bürger bis heute von klein auf in der Schule, dass Amerika die großartigs­te Nation der Welt sei. Über das „Land der Superlativ­e“heißt es im Buch: „Der Drang, überall Nummer 1 zu sein, ist historisch gewachsen und in Amerika stärker ausgeprägt als in anderen Nationen. Ja, er definiert das amerikanis­che Selbstvers­tändnis.“Womöglich beteuerten die Amerikaner dies deshalb so nachdrückl­ich, weil sie insgeheim wüssten, dass sie es in vielen Diszipline­n nicht (mehr) sind.

Zwiespälti­g sind mittlerwei­le die Gefühle, wenn die Autorin auf ihr Amerika blickt. Sie ist fasziniert von der landschaft­lichen Weite des Landes. Sie mag die Offenheit der Amerikaner. Sie schätzt den Gemeinscha­ftsgeist, die Tatkraft, die Zuversicht der US-Gesellscha­ft. Sie weiß zu schätzen, dass die Vereinigte­n Staaten auch neu Hinzukomme­nden große Chancen bieten.

„In Kalifornie­n lässt es sich natürlich wunderbar leben“, versichert Michaela Haas. Aber die soziale Realität in den USA sei oftmals hart, fügt sie hinzu. Was sie bestürzt: In Los Angeles etwa gibt es mehr Obdachlose als in ganz Deutschlan­d. Und für zwei Tage im Spital zahlt selbst jemand mit Krankenver­sicherung rund 57.000 Dollar an Kosten. Michaela Haas kann es sich deshalb nicht vorstellen, längerfris­tig in Amerika zu bleiben.

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BILD: SN/JOHNNYKNEZ - STOCK.ADOBE.COM So schauen der Mythos und das Klischee von Amerika aus: Siedler und Eisenbahne­n erobern den Wilden Westen, aber Indianer und Pistolenhe­lden sind zu besiegen.
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BILD: SN/GAYLE M. LANDES In Amerika: Michaela Haas, Buchautori­n und Publizisti­n.

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