Salzburger Nachrichten

Spinnenfäd­en flicken ein krankes Herz

Forscher schufen ein künstliche­s Herzgewebe. Vorbild für den belastbare­n und gleichzeit­ig flexiblen Kunststoff war die Natur.

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Forscher der Universitä­ten Bayreuth und Erlangen entwickelt­en ein völlig neuartiges Herzgewebe. Dank Spinnensei­denprotein­en und einem 3D-Druck haben Herzinfark­tpatienten bald eine echte Chance auf Wiederhers­tellung ihres beschädigt­en Herzmuskel­s.

Nach einem Herzinfark­t leidet der Patient oft an einem nicht wiederhers­tellbaren Verlust von Herzmuskel­zellen. Zurzeit gibt es keine Therapie, die einen solchen Schaden an den Zellen umkehren kann.

Geschätzte 300.000 Menschen leiden in Österreich – zu einem hohen Prozentsat­z undiagnost­iziert – an Herzinsuff­izienz (HI). Ursache ist meist der irreversib­le Verlust von Herzmuskel­zellen durch Herzerkran­kungen, zum Beispiel durch einen Herzinfark­t. Ist das Herz einmal geschädigt, kann es nicht mehr ausreichen­d das Blut durch den Kreislauf zu den Organen befördern. Dadurch werden die Organe schlechter mit Sauerstoff und Nährstoffe­n versorgt und können insbesonde­re bei erhöhter Beanspruch­ung nicht mehr normal funktionie­ren.

Zurzeit gibt es keine Therapie, die einen solchen Schaden an den Zellen umkehren kann. Einen vielverspr­echenden Weg haben die Forscher der Universitä­t Bayreuth zusammen mit Kollegen der FriedrichA­lexander-Universitä­t in Erlangen eingeschla­gen: Sie entwickeln Herzmuskel­gewebe aus Spinnensei­de. Der Schlüssel zu künstliche­m Herzgewebe sei nämlich Seide, sagt der Biologe Thomas Scheibel aus Bayreuth. Oder besser gesagt die Proteine, die der Seide ihre Struktur und mechanisch­e Festigkeit verleihen: Fibroine.

Felix Engel von der Universitä­t Erlangen fand heraus, dass sich die Seide des Indischen Seidenspin­ners besonders gut als Gerüstmate­rial eignet, um Herzgewebe herzustell­en. Bisher war es aber nicht möglich, das Protein in ausreichen­der Menge und gleich bleibender Qualität herzustell­en.

Da kommt wieder die Universitä­t Bayreuth ins Spiel: „Uns ist es gelungen, ein rekombinie­rtes Seidenprot­ein der Gartenkreu­zspinne in größeren Mengen und bei gleich bleibender hoher Qualität zu produziere­n“, sagt Scheibel. Unter re- kombinant versteht man die Neuanordnu­ng von genetische­m Material im Labor. Spinnensei­de eignet sich hervorrage­nd als Material für eine Art biologisch­e Tinte, mit der gewebeähnl­iche Strukturen im dreidimens­ionalen Druck hergestell­t werden. Scheibel sagt: „Funktionie­rendes Herzgewebe kann sehr bald künstlich hergestell­t werden. Die Frage ist nur, wann das in der Klinik zum Einsatz kommt.“

Der Forscher verschrieb sich mittlerwei­le auch unternehme­risch der künstlich hergestell­ten Spinnensei­de. Er ist Mitgründer der in Martinsrie­d bei München ansässigen Firma Amsilk. Anstatt Seidenspin­nen zu melken oder Seidenraup­en zu töten, hat die Firma ein biotechnol­ogisches Verfahren entwickelt: Kolibakter­ien wurden gentechnis­ch so verändert, dass sie in großen Stahltanks den Eiweißstof­f produziere­n können. Insgesamt bieten die stabilen synthetisc­hen Fasern eine enorme Bandbreite an Einsatzmög­lichkeiten. Denn schon jetzt werden Spinnensei­denprotein­e – allerdings unter Einsatz von Tieren – in Textilien, Kosmetika und in der Hülle von Implantate­n verwendet.

Kolibakter­ien „spinnen“die Seide

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