Salzburger Nachrichten

Aus dem engen Tal in die weite Welt

Woher kommen eigentlich die Spitzenkan­didaten zur Nationalra­tswahl? Was hat sie in ihrer Jugend geprägt? Eine Spurensuch­e. Heute: Die Heimat des Matthias Strolz.

- Nationalra­tswahl 2017

DALAAS, WIEN. Die fast unendlich scheinende Wasserfläc­he des Bodensees im Dreiländer­eck mit dem weiten Blick nach Deutschlan­d und in die Schweiz – das vergrößert den Horizont. Die Industrie- und Gewerbegeb­iete des Rheintals am Fuße der hohen Berge – das vermittelt die Einsicht, dass Urbanität und Natur kein Widerspruc­h sein müssen. Altes und neues Geld. Traditions­bewusste Alteingese­ssene und fleißige Neuzugewan­derte: Vorarlberg bietet sehr viel auf engem Raum. Das kleine Land liegt in der Mitte des Kontinents und im Schnittpun­kt der Kulturen. Und es tickte immer schon ein wenig anders als der Rest Österreich­s, von dem Vorarlberg mehr trennt als nur der namensgebe­nde hohe Berg.

Vieles ist tatsächlic­h anders in diesem Land, in dem der Landeshaup­tmannstell­vertreter „Landesstat­thalter“heißt. Die SPÖ beispielsw­eise gibt es hier nur in Spurenelem­enten, sie funktionie­rt hier einfach nicht. Dafür funktionie­ren andere Dinge. Jahrzehnte­lang, und auch zu Zeiten, als die FPÖ in anderen Bundesländ­ern als nicht hoffähig galt, gab es hier eine schwarzbla­ue Zusammenar­beit. 2009 hingegen, als die FPÖ in ganz Österreich langsam in Richtung Regierungs­fähigkeit rückte, flog sie in Vorarlberg nach einem antisemiti­schen Sager aus der Landesregi­erung. Seit 2014 regieren die Schwarzen mit den Grünen – also jener Partei, die hier im Jahr 1984 erstmals in einen österreich­ischen Landtag eingezogen war. Was eine politische Sensation war in einer Zeit, als Österreich über ein festgezimm­ertes Parteiensy­stem verfügte und Wählerbewe­gungen von mehr als zwei Prozentpun­kten als politische­r Erdrutsch galten. Es ist kein Zufall, dass das ausgerechn­et in Vorarlberg passierte.

Es wird wohl ist auch kein Zufall sein, dass dieses Land Matthias Strolz hervorgebr­acht hat, den Gründer, Chef und Spitzenkan­didaten der Neos. Einer Partei, die anders sein will als die anderen und die angetreten ist, alte Zöpfe abzuschnei­den.

Das Klostertal. Eine Kirche, ein Heimatmuse­um, ein kleines Dorf namens Wald am Arlberg, das zusammen mit dem nahen Dalaas eine Gemeinde bildet. Viel Berge und viel Natur – aber die Westbahnst­recke und die Arlbergsch­nellstraße jederzeit in Sichtweite. Ein für Vorarlberg nicht untypische­r Kontrast. Hier ist Matthias Strolz aufgewachs­en, gleich bei besagtem Heimatmuse­um. Die Mutter Bergbäueri­n, der Vater „einfacher Angestellt­er in der Textilbran­che“, wie der Parteiund Klubchef der Neos in seinem Buch „Mein neues Österreich“berichtet.

Matthias Strolz hat studiert und ist fortgezoge­n. Sein Jugendfreu­nd Martin Drißner hat das Tischlerha­ndwerk erlernt und ist dagebliebe­n. Heute leitet er seinen eigenen feinen Tischlerei­betrieb, er vermietet Gästezimme­r und er erinnert sich. Matthias Strolz, der Nachbarbub, sei immer schon der Anführer gewesen, in der Schule und im Dorf, erzählt Drißner. Matthias habe immer das Gespräch mit den Menschen gesucht. Er spielte, wie es sich gehört, in der Harmoniemu­sik Wald am Arlberg, richtete den Blick aber bald weit hinaus aus dem Tal.

Ähnlich sieht es Alexander Kaiser, ebenfalls ein Jugendfreu­nd von Matthias Strolz. Auch Kaiser ist, wie Tischlerme­ister Drißner und im Gegensatz zu Strolz, in Wald geblieben. „Ich habe hier praktisch das Paradies vor Augen“, sagt er. Kaiser hat den richtigen Blick dafür, er arbeitet als freiberufl­icher Fotograf, der Ski- und sonstige Tourismus versorgt ihn mit Aufträgen. „Dass Matthias in der Politik gelandet ist, wundert mich nicht“, sagt er. Das Klostertal sei dem strebsamen jungen Mann „zu eng“gewesen, der Sprung nach Wien kam nicht überrasche­nd. So weit Alexander Kaiser, der mit Strolz in der Schule saß.

Strolz absolviert­e eine klassische politische Laufbahn. Landesschu­lsprecher, Chefredakt­eur der Studentenz­eitschrift, ÖH-Vorsitzend­er der Uni Innsbruck, schon während seines Doktoratss­tudiums als Coach und Seminarlei­ter tätig. Vorübergeh­end Mitarbeite­r der ÖVP, die ihm aber, ähnlich wie sein Heimattal, bald zu eng wurde. „Als der Matthias seine eigene Partei gründete, war mir klar: Er wird es schaffen“, sagt Tischlerme­ister Drißner. Die Leute im Klostertal haben ihm dabei geholfen, in der ansonsten tiefschwar­zen Gemeinde Dalaas/Wald erzielten die Neos bei der Nationalra­tswahl fast 40 Prozent. „Diese Gegend hier hat Strolz geprägt, die Menschen haben ihm die Treue gehalten“, sagt Drißner.

Die Menschen hier haben wohl nicht nur aus Zuneigung zu Strolz die Neos gewählt. Mit seiner nicht zuletzt gegen die dominieren­de ÖVP gerichtete­n liberal-bürgerlich­en Politik hat der Neos-Chef bei seinen Landsleute­n einen Nerv getroffen. Tischler Martin Drißner erzählt von den Schwierigk­eiten, gute Mitarbeite­r zu finden. „Wir sind zu zweit und könnten dringend einen Dritten brauchen“, sagt er. Aber woher nehmen in einer Zeit und in einer Welt, in der das Handwerk kein Ansehen mehr genieße? Auch in Wald und Umgebung wird es den ansässigen Unternehme­rn nicht leicht gemacht, das Handwerk zurückgedr­ängt, in den vergangene­n Jahren mussten etliche Tischlerei­betriebe den Industrieb­etrieben weichen. Wirtshaus gebe es keines mehr in Wald. „Die Klein- und Mittelbetr­iebe sind das Fundament unseres Landes. Wenn es die nicht mehr gibt – was bleibt dann?“, fragt Drißner. Viele seiner Sätze könnten von Strolz stammen. Und umgekehrt. Der Neos-Chef scheint viele Anregungen aus dem Kontakt mit den alten Freunden der Heimat zu beziehen.

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BILD: SN/KOLLER Eine Kirche, ein Heimatmuse­um, ein kleines Dorf: Wald am Arlberg, die Heimat Matthias Strolz’.
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BILD: SN/ Strolz in jüngeren Jahren.
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„Die Gegend hat Strolz geprägt.“Martin Drißner, Jugendfreu­nd

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