UNO fürchtet „ethnische Säuberung“
Myanmar stoppt die Gewalt gegen die Minderheit der Rohingya nicht. Mehr als 300.000 Zivilisten wurden bereits vertrieben. Ein „zynischer Trick“soll sie laut UNO an der Rückkehr hindern.
Wie die Lage im Nordwesten Myanmars genau aussieht, können auch die Vereinten Nationen nicht sagen. Die Regierung verweigert Menschenrechtsbeobachtern den Zugang in die umkämpfte Region im Bundesstaat Rakhine. Ein umfassendes Bild sei daher unmöglich zu bekommen, sagte UN-Menschenrechtskommissar Said Raad al Hussein gestern, Montag, in Genf. „Aber es sieht alles aus wie ein Paradebeispiel für ethnische Säuberungen“, stellte er fest.
Seit Ende August geht die Regierung von Myanmar mit aller Gewalt gegen die muslimische Minderheit der Rohingya vor. Unmittelbarer Auslöser waren Angriffe eine Gruppe von Rohingya-Rebellen auf Polizeiund Militärposten. Als Reaktion startete die Armee laut eigenen Angaben eine „Räumungsaktion“. Seither würden Menschen vertrieben, Dörfer niedergebrannt und fliehende Zivilisten erschossen, betonte Hussein unter Hinweis auf Satellitenbilder.
Am Sonntag riefen die RohingyaRebellen einen einseitigen Waffenstillstand aus, um Hilfslieferungen. zu ermöglichen. Ob, wann und in welcher Form es sie geben wird, ist unklar. Dramatisch bleibt die Lage jedenfalls für rund 310.000 Rohingya, die mittlerweile ins benachbarte Bangladesch geflohen sind. Einerseits ist ihre Versorgung in den zum Teil provisorischen Lagern schlecht, andererseits können die Flüchtlinge auch nicht mehr zurück.
Denn die Behörden in Myanmar wollen laut UN-Berichten nur Menschen zurück ins Land lassen, die die Staatsbürgerschaft nachweisen können. „Das scheint ein zynischer Trick zu sein“, sagte der Menschenrechtskommissar. So werde jede Rückkehr der Geflohenen verhindert. Denn die Rohingya, eine der am meisten verfolgten Minderheiten der Welt, gelten in Myanmar als illegale, staatenlose Einwanderer aus Bangladesch – obwohl sie in Wahrheit seit Generationen in Myanmar leben. Sie erhalten grundsätzlich nicht die Staatsbürgerschaft.
Sowohl Rohingya als auch die internationale Gemeinschaft hatten mit dem Wahlsieg von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi 2015 auf ein Ende der Unterdrückung gehofft. Doch Suu Kyi hat in dieser Frage nichts erreicht. Ihre überwiegend buddhistische Wählerklientel sympathisiert mit den radikalen Mönchen, die die Minderheit vertreiben wollen.
Die Militärs wiederum blicken zurück auf das Jahr 1942. Damals wollten die Rohingya mit Unterstützung des britischen Kolonialreichs einen eigenen Staat erkämpfen und scheiterten.
Suu Kyi, die mit einem Briten verheiratet war, steckt in einem Dilemma, das UN-Generalsekretär António Guterres trefflich beschrieb: „Die Lage ist kompliziert. Wir wollen eine bessere Behandlung der Rohingya. Wir wollen aber auch ein stabiles demokratisches Myanmar.“Suu Kyi muss lavieren und das fiel ihr immer besonders schwer: Sie gilt als eigensinnig und störrisch und reagiert leicht gereizt auf andere Meinungen.
Diese Eigenschaften passen nicht zum Bild der im Hausarrest leidenden Frau, die von den Militärs Demokratie forderte und 1991 mit dem Friedensnobelpreis belohnt wurde. Die De-facto-Regierungschefin hat zudem alle Hände voll mit den 103 Ethnien des Landes zu tun, von denen einige immer noch gegen Militär und Regierung kämpfen. Als sie gewählt wurde, glaubten ihre Wähler an ein Wunder. Suu Kyi, so schien es, würde alle Probleme des Landes bewältigen. Die Rohingya-Krise zeigt nicht nur ihre Grenzen. Sie verdeutlicht auch, dass das Schicksal der Minderheit nicht zu den Prioritäten ihres Lebens als Realpolitikerin zählt.