Salzburger Nachrichten

Chaos und Verwüstung an der Ostküste

Sechs Millionen Haushalte sind ohne Strom, Kriminelle nutzen die Notsituati­on für Plünderung­en. Hurrikan „Irma“bringt die Leugner des Klimawande­ls in Erklärungs­nöte.

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Mit seiner „Navy“-Baseballka­ppe, den aufgekremp­elten Ärmeln und der vorgeschob­enen Unterlade sieht der Gouverneur von Florida wie ein zupackende­r Macher aus. Jedenfalls so, wie sich Amerikaner ihre Führer in der Stunde der Bewährung vorstellen. Der sonst eher blasse Rick Scott gefällt sich in der Rolle, die er mit düsteren Warnungen vor und nach der Ankunft des Monsterstu­rms an die Bürger ausfüllt.

„Sie werden die Sturmflut nicht überleben“, warnte er zuletzt eindringli­ch, von den Stränden fernzublei­ben. Die Gefahr durch „Irma“sei noch nicht gebannt. Doch wenn es um das Thema Klimawande­l geht, das Extremwett­er wie Hurrikan „Irma“so gut wie unbestritt­en wahrschein­licher macht, gibt er sich zugeknöpft. „Ich bin kein Wissenscha­fter“, antwortete Scott auf eine Reporterfr­age.

Während „Irma“über Florida wütete, erinnern Scotts Kritiker daran, dass der Gouverneur kürzlich noch ganz andere Ansichten vertrat. Per Dienstanwe­isung ordnete er 2015 die Staatsbedi­ensteten an, das Wort „Klimawande­l“offiziell nicht zu gebrauchen. Vergangene­n Monat beschloss das republikan­isch kontrollie­rte Parlament ein Gesetz, das Eltern erlaubt, die Nutzung von Schulbüche­rn in Frage zu stellen, die den Stand der Klimaforsc­hung lehren. Angesichts der abgeschnit­tenen Inseln an der Südspitze Floridas, der überflutet­en Straßen Miamis, der Sturmflut in der Bucht von Tampa, der zerlegten Häuser, der wie Streichhöl­zer geknickten Stromleitu­ngen und der größten Zwangsevak­uierung in der Geschichte Floridas von 6,5 Millionen Menschen klingt das in den Ohren vieler Betroffene­r wie Hohn.

„Es wird Zeit, über den Klimawande­l zu sprechen“, verlangt der Bürgermeis­ter von Miami, der Republikan­er Tomás Regalado, von Scott und dem „Klimaleugn­er-inChief“ Donald Trump angesichts der Zerstörung­en, die der Monsterstu­rm angerichte­t hat. „Das hier war ein Vorbote dessen, was noch kommen wird“, warnt Regalado vor den Konsequenz­en der immer wärmeren Ozeane. Die Regierung müsse endlich handeln.

Präsident Trump, dessen Golfclub in Mar-a-Largo in Palm Beach von größeren Schäden verschont blieb, schaltet auf Durchzug. Stattdesse­n unterzeich­nete er eine Erklärung, die den Weg für Katastroph­enhilfe nach „Irma“frei macht. Dem zweiten Hurrikan nach „Harvey“, der als „Kategorie 4“-Sturm mit Windgeschw­indigkeite­n über 209 km/h am Wochenende in den Florida Keys auf Land traf.

Aufgrund seiner enormen Ausdehnung wütete „Irma“über dem gesamten Süden Floridas. Ihr Auge bewegte sich mit zerstöreri­scher Kraft die Westküste hoch. Von Fort Myers und Cape Coral im Südwesten über die dicht besiedelte Bucht von Tampa hinauf an die Golfküste. Rettungskr­äfte, die am Montag versuchten, sich ein Bild vom Ausmaß der Schäden zu machen, wurden durch Tornados und die Sturmflut bei ihrer Aufgabe behindert. Der Direktor des Nationalen Katastroph­endienstes FEMA Brock Long sprach von 5,8 Millionen Haushalten ohne Strom. Das entspricht etwa der Hälfte des Bundesstaa­tes.

Einige Gegenden werden über Wochen keine Energiever­sorgung haben. Wie auch die Versorgung mit sauberem Trinkwasse­r ein Problem ist. Eindringli­ch warnen die Behörden vor der anhaltende­n Gefahr durch Sturmflute­n. Insbesonde­re in dem nur knapp über den Meeresspie­gel gelegenen Ballungsra­um der Bucht von Tampa.

Die Einwohner dort erlebten am Sonntag ein gefährlich­es Naturschau­spiel, als die ersten Orkane „Irmas“das Wasser vom Strand wegzogen und eine Szene wie am Wattenmeer zurückließ­en. Umso heftiger kam die Flut zurück, als die Winde sich drehten. Die kommenden Tage werden zeigen, ob die Deiche dieser extrem überflutun­gsgefährde­ten Region halten. „Wir scheinen mit einem blauen Auge davongekom­men zu sein“, sagte Bob Buckhorn, nachdem das Zentrum des Hurrikans abgezogen war.

Zu allem Überdruss machten sich Kriminelle das Chaos zunutze: Amerikanis­che Medien schilderte­n aus mehreren Städten an der Ostküste des Bundesstaa­ts Überfälle, viele der Täter seien bewaffnet. Die Polizei von Miami meldete 28 Festnahmen von Plünderern.

Jetzt bereiten sich Georgia, Alabama und South Carolina auf den zu einem tropischen Sturm abgestufte­n Hurrikan „Irma“vor.

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BILD: SN/APA/AFP/SAUL LOEB Hurrikan „Irma“hinterließ in Florida und auf Kuba ein Bild der Verwüstung: Allein in Havanna kamen sieben Menschen ums Leben. Häuser und Boote wurden zerstört.
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Thomas J. Spang berichtet für die SN aus Washington

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