Stefan Zweig haderte mit dem Ausweis
„Alberne Reiseformalitäten“und „Zoll-Idioten“beklagte Stefan Zweig im Exil. Die zermürbende Rastlosigkeit des Flüchtlings spiegelt sich in seinen Büchern.
SALZBURG, SÃO PAULO. Ist es ein bemüht korrekter Blick, den Stefan Zweig aufsetzt? Lauert Verachtung in diesem Lächeln? Oder blitzt aus dem Gesicht der Horror der Einreiseund Aufenthalts-Bürokratie, mit denen der Flüchtling seit Monaten gehadert hat? Einige Wochen zuvor – noch in New York – hatte er „alberne Reiseformalitäten“und „ZollIdioten“beklagt, die ihm die Zeit stählen. In seiner Stefan-Zweig-Biografie berichtet Oliver Matuschek zudem, wie verbittert der Schriftsteller, sechs Jahre nachdem er Salzburg verlassen hatte, da bekannte: „Das lohnt sich alles nicht.“
Fast zeitgleich, als der Fotograf in Rio de Janeiro im November 1940 für Stefan Zweigs brasilianischen Ausländerausweis abdrückt, wird diesem fast 10.000 Kilometer entfernt die Staatsbürgerschaft formell aberkannt. Seine Heimat ist mittlerweile in Adolf Hitlers vermeintlich tausendjährigem Reich aufgegangen, dessen Bürokraten führen ihn als „Zweig, Stefan Israel“. Von diesem konkreten Auswuchs seiner Ächtung dürfte er allerdings – Oliver Matuschek zufolge – in Rio noch nichts gewusst haben.
Da er sie aber längst befürchtet hatte, war er 1934 aus seinem Haus auf dem Kapuzinerberg weg- und nach England gezogen. Im Sommer 1940 war er aus Angst vor Hitlers Einmarsch mit seiner zweiten Ehefrau Lotte über Liverpool in die USA geflohen. Um dort den Aufenthalt zu verlängern, hätte er ausreisen und in einer US-Botschaft die Ein- reise neu beantragen müssen. So gingen er und Lotte nach Brasilien.
Wie hat sich das Exil auf sein Schreiben ausgewirkt? Um dies zu erörtern, findet eine bemerkenswerte Konferenz statt: Zehn Wissenschafter aus Brasilien und fünf aus Österreich, Deutschland und Italien treffen sich am 19. und am 20. September in der Universitätsbibliothek von São Paulo zur „Conferência Stefan Zweig – Os anos de exílio“. An Kilometern gemessen begründet damit das Salzburger Stefan-Zweig-Zentrum – nach Konferenzen in Verona, Mühlhausen, London, Yale, Berkeley oder Moskau – seine bisher weiteste universitäre Partnerschaft.
Seit Jahren werde mit der Casa Stefan Zweig kooperiert, dem privaten Verein, der das letzte Wohnhaus von Lotte und Stefan Zweig in Petrópolis als Gedenkstätte pflege, erläutert Klemens Renoldner, Leiter des Stefan-Zweig-Zentrums. Nun werde mit dieser Konferenz, die österreichische Botschaft und deutsches Goethe-Institut unterstützten, der Kontakt zur größten Universität Brasiliens etabliert.
Dabei ist Stefan Zweig in Brasilien heutzutage fast vergessen. „Es gibt nur ein paar neue Übersetzungen“, sagt Klemens Renoldner. „Einzelne Bücher sind nie übersetzt worden“, auch an Universitäten beschäftigte sich kaum jemand mit dessen Werk. Zu seinen Lebzeiten hingegen sei er bejubelt worden, „er war ein Superstar“. Damals seien in Brasilien über fünfzig Buchtitel in riesigen Auflagen in Umlauf gewesen. Auf seiner Tournee 1936 hätten einige Lesungen wiederholt werden müssen, denn zu den 1500 Besuchern im Theater hätten „noch einmal so viele auf der Straße gewartet“. Danach habe Stefan Zweig Freunden geschrieben, er werde in Brasilien gefeiert wie Charlie Chaplin oder Marlene Dietrich.
Die Brasilianer wiederum seien stolz gewesen, so eine „Weltberühmtheit“zu empfangen, schildert Klemens Renoldner. Dank des Erfolgs und dank guter Beziehungen zur brasilianischen Regierung habe er – anders als in den USA – rasch ein dauerhaftes Aufenthaltsvisum bekommen. Trotzdem musste er Antrag über Antrag stellen.
Für Stefan Zweig muss diese Berühmtheit in Brasilien Genugtuung gewesen sein, nachdem er sein Publikum in Deutschland und Österreich verloren hatte, wo seine Bücher verboten waren. „Da kommt er nach Brasilien und erlebt diesen Rummel!“, stellt Klemens Renoldner fest. „Das hat seine Liebe zu Brasilien mitbefördert“, wie er sie 1941 im Buch „Brasilien. Ein Land der Zukunft“zum Ausdruck bringen sollte. Doch das Land seines Triumphs wurde auch das Land seines endgültigen Unglücks: Vor 75 Jahren, am 23. Februar 1942, nahmen er und seine Frau Lotte sich in Petrópolis das Leben.
Was ihn zermürbt hat, kommt in Büchern zum Ausdruck, die er im Exil verfasst oder begonnen hat. Klemens Renoldner erkennt darin zwei Koordinaten: „Die eine Energie richtet sich auf den Rückblick.“Diese Trauerarbeit am Verlust der Heimat und die Rückbesinnung auf Österreich seien in „Rausch der Verwandlung“, „Clarissa“, „Welt von Gestern“und schließlich in der „Schachnovelle“zu erkennen.
Das andere im Exil elaborierte Thema sei jenes des Odysseus, „des sinnlos Herumirrenden, der nicht nach Hause findet“. Stefan Zweig habe sich mit den Seglern Ferdinand Magellan und Amerigo Vespucci beschäftigt. Schon in „Maria Stuart“gehe es um Heimatlosigkeit – erst in Frankreich, dann in Schottland. In all diesen Büchern fänden sich Spiegelungen der Lebenserfahrungen Stefan Zweigs.
Auch im Exil sollte er sich Österreich und Europa zugehörig fühlen. In einem Interview 1939 in Chicago stellte er fest: Im Exil sei manchmal die künstlerische Kraft durch äußere Bedrückung paradoxerweise eher gesteigert als verringert. Und oft seien im Exil entstandene Werke für die jeweilige Nationalliteratur von zentraler Bedeutung. Als Beispiele nannte er Ovids „Tristia“, Dantes „Göttliche Komödie“und Thomas Manns Romane. Klemens Renoldner resümiert: Im Exil geschaffene Werke seien repräsentativ für die Gesellschaft des Herkunftslandes. „Exilwerke stehen nicht außerhalb der Geschichte.“
„Wir, die wir mit und in den alten Begriffen leben, sind verloren.“Stefan Zweig, Tagebuch Mai 1940