Al Gores Klimaschutz-Doku könnte aktueller nicht sein
WIEN. Es ist keine dankbare Position, Kassandra zu sein. Niemand mag die, die angesichts der Katastrophe „Ich hab dich doch gewarnt“sagen, aber in genau der Position findet sich Al Gore dieser Tage, in denen die Auswirkungen des Sturms „Harvey“, der desaströsen Baufehlentscheidungen in Houston und der laschen Klimapolitik die US-Medien bestimmen. Gore, unter Bill Clinton Vizepräsident, ist unermüdlicher Verfechter eines strengen Klimaschutzes, unter anderem vor zehn Jahren mit dem Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“, für den es sogar den Dokumentarfilmoscar gab. Nun, eine Dekade später, kommt „Immer noch eine unbequeme Wahrheit. Unsere Zeit läuft“ins Kino, wieder wird das Thema entlang von Al Gores Person und seiner eigenen Geschichte aufbereitet, was streckenweise befremdlich nah am Wahlkampfspot wirkt.
Das Regieduo Bonni Cohen und Jon Shenk begleitet Gore bei seiner Arbeit: bei Vorträgen vor Lokalpolitikern und Umweltschützern, unter anderem in Miami, Florida, das zum Zeitpunkt des Vortrags teilweise unter Wasser stand, bei Verhandlungen mit Diplomaten und weiteren Politikern, bei der Vorbereitung auf den Klimaschutzgipfel in Paris im Dezember 2015. Wieder und wieder trifft Gore auf Mitstreiter, die schon vor vielen Jahren seinem Appell gefolgt sind und sich auf lokaler Ebene um Klimaschutz bemühen, und das sind die ermutigenden Momente des Films. Und dann gibt es jene, in denen die Verzweiflung mit Händen greifbar wird, wenn Gore davon berichtet, wie er vor zehn Jahren kritisiert wurde, dass in „Eine unbequeme Wahrheit“eine Computersimulation demonstriert habe, wie es aussehen könnte, wenn New York City durch einen Hurrikan überflutet würde – und wie der Supersturm „Sandy“2012 dann genau das anrichtete.
Wer derzeit den US-Medien folgt, den Berichten von den dramatischen Auswirkungen von „Harvey“und „Irma“, dem wird mulmig zumute angesichts einer Dokumentation wie dieser, die auflistet, was alles zu langsam oder vollends schiefgelaufen ist, nicht nur in den USA, in Sachen Bodenversiegelung, Energiewende, der nicht enden wollenden Gier nach fossilen Brennstoffen, und angesichts einer US-Regierung, für die alle Klimaziele nur Wirtschaftsbremse sind. Wie stur die Trump-Administration die Gefahr des Klimawandels negiert, das mochten sich Gore und die Macher dieser Doku noch nicht ansatzweise ausmalen, mit ihm als direktem Antagonisten wäre „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“wesentlich drastischer ausgefallen.
So endet der Film mit einem Aufruf, der zuversichtlich klingt, aber in Wahrheit vor allem hilflos ist, und der sich zwar an US-Wähler wendet, aber genauso gut auf europäische Wählerinnen und Wähler zutreffen kann. Es mag unbequem sein. Aber es ist dringend.